Wir haben hier das gleiche Problem, das ihr 2015 in Österreich und Deutschland gehabt habt. Bei uns sind es aber nicht die Muslime, sondern die Mexikaner, die illegal ins Land kommen“, sagt Don Howard, ein pensionierter Raumfahrtingenieur Mitte 60 mit ruhiger Stimme und einem freundlichen Lächeln. „Aus diesem Grund kann ich nur wieder Trump wählen!” Für Don ist es die sechste Wahlkampfveranstaltung von Donald Trump seit 2016. An diesem sonnigen Tag Ende Oktober ist es aber das erste Mal, dass die „Make America Great Again Victory Rally“ des amerikanischen Präsidenten Station in seinem Heimatort, Goodyear, einem Vorort von Phoenix, der Hauptstadt des westlichen Bundesstaates Arizona, macht.
Don trägt stolz ein T-Shirt mit der Inschrift „Fake News CNN sucks“ („Fake News CNN ist scheiße“). Er hat sich direkt vor der Kameracrew von CNN platziert. Immer wieder versucht er, sich ins Bild zu drängen. Unser Gespräch wird jäh von lauten „USA, USA“-Rufen und dem Lied „I Am Proud To Be an American“ („Ich bin stolz, Amerikaner zu sein“) unterbrochen, das aus den Lautsprechern dröhnt. Der Song kündigt die unmittelbare Ankunft Trumps an. Nur wenige Minuten davor ist die Air Force One mit dem Präsidenten an Bord unter dem tosenden Beifall seiner Unterstützer auf der Landebahn des Goodyear-Flughafens aufgesetzt. Die Düsentriebwerke der Boeing 747 wirbeln Spiralen von goldenem Staub in Richtung der Tribüne, die zwischen zwei Hangars speziell für die Rally aufgebaut ist. Der Sand scheint die Wüstenluft im Tal für einen Augenblick noch trockener zu machen. Kurz verschwindet das rollende Flugzeug hinter einer riesigen, von einem Kran hängenden, sonnendurchfluteten amerikanischen Fahne, ehe es links neben der Tribüne haltmacht.
Ein paar Augenblicke später klettert der Präsident auf das Podium. Seine Stimme ist noch etwas heiser. Die Tausenden Fans, die an diesem strahlenden Nachmittag nach Goodyear pilgern, kommen dennoch voll auf ihre Rechnung. Trump ist der geborene Showman. Innerhalb weniger Minuten zieht er die Menge mit seiner gewohnten Mischung aus Anschuldigungen, Beleidigungen und Übertreibungen in den Bann. Zum Schluss wird er dann auch noch zu den Klängen von YMCA tanzen. „Wir werden gewinnen, gewinnen, gewinnen!“, tönt er. Die globale Pandemie, das „China-Virus“, wie er sagt, erwähnt er trotz bis dato 6000 Todesopfern in Arizona lediglich kurz.
Das Publikum nimmt es ihm nicht übel. Haben die meisten bis zur Ankunft des Präsidenten noch brav ihre Masken getragen, sieht man jetzt nur mehr vereinzelt Leute mit Mund-Nasen-Schutz. Gut möglich, dass das damit zu tun hat, dass Donald Trump selbst die Bühne unmaskiert betritt.
Es ist bereits sein zweiter Wahlkampfstopp in Arizona an diesem Tag und der letzte in diesem Wahljahr 2020. Arizona ist ein wichtiger „Swing State“. Kein republikanischer Präsident hat seit der Gründung des Bundesstaates im Jahr 1912 eine Präsidentenwahl ohne Sieg in Arizona gewonnen. Der „Grand Canyon“-Staat hat 11 Stimmen im Wahlkollegium zu vergeben. Die gute Nachricht für Trump: Mit nur einer einzigen Ausnahme seit 1952 gab Arizona immer einem republikanischen Kandidaten den Vorzug. Die schlechte Nachricht: Wie so viele von der Tendenz her republikanische Swing States wird der Staat zusehends demokratischer. Das ist vor allem dem Wahlbezirk Maricopa County zu verdanken, in dem Goodyear liegt. Der Verwaltungsbezirk hat 4,5 Millionen Einwohner und schließt die Hauptstadt Phoenix und deren Umgebung ein.
Urbane Räume wie Phoenix sind mehrheitlich demokratisch, ländliche Gegenden dagegen überwiegend republikanisch gesinnt. Dazwischen liegen Vorstädte („Suburbs“) wie Goodyear. Einst waren sie republikanische Hochburgen. Trump gewann die Vorstädte des Bezirks 2016 knapp. Inzwischen wächst hier der Anteil an demokratischen Wählern rasant. Ein Grund dafür ist die steigende Latinobevölkerung. Alleine seit 2018 gibt es laut einer statistischen Erhebung 100.000 mehr hispanische Wähler im gesamten Bundesstaat. Ein 2010 eingeführtes Einwanderungsgesetz mit dem Kürzel SB 1070, das als eines der strengsten in den USA gilt, und die harte Politik von Joe Arpaio, dem Sheriff von Maricopa County, der illegale Einwanderer in Zeltstädte in der Wüste pferchte, sie in Sträflingskleider steckte und angekettet schwere Arbeit verrichten ließ, mobilisierten die Latinos vor allem für die demokratische Partei.
Vor vier Jahren wurde Arpaio durch eine demokratische Koalition bestehend aus Latinos und urbanen weißen Wählern schließlich aus dem Amt gewählt. In den letzten Umfragen führt Joe Biden knapp vor Trump. Trotzdem halten nicht wenige Latinos Trump und der republikanischen Partei gerade wegen deren harter Einwanderungspolitik nach wie vor die Treue. „Wenn man in dieses Land will, soll man das gefälligst legal machen“, erzählt Susannah Calderon aus Mesa, die zusammen mit ihrem Ehemann zur Rally gekommen ist, in einem Englisch mit spanischem Akzent: „Meine Mutter ist aus Mexiko legal eingewandert. Das ist der einzig richtige Weg.“ In der linken Hand hält sie ein Wahlkampfplakat, auf dem „Viva Trump“ steht. Wenn man die Wirtschaft retten wolle, so die Pensionistin, könne man nur Trump wählen. Zum Abschluss des Gesprächs unterstreicht sie mehrmals, dass sie auch die Law-and-Order-Politik des Präsidenten gut finde: „Blue Lives (die Leben von Polizisten) und White Lives Matter!“
Obwohl man bei der Rally da und dort auch auf Gruppen junger Unterstützer trifft, sind es vor allem Pensionisten, die sich an diesem regulären Arbeitstag eingefunden haben. Die meisten wollen nicht mit Vertretern der „Fake News“-Medien sprechen. Als der Journalist Jim Acosta von CNN einen Liveeinstieg machen will, geht die Menge auf ihn los. „Du bist eine Schlampe“, ruft ein Mann. „Fuck you, Jim!“, ein anderer. „CNN Sucks. Fake News suck!“, tönt es im Chor. Während der Wahlkampfveranstaltung zeigt Trump immer wieder auf die Journalisten im abgesperrten Pressebereich. „Schaut euch die Fake News an! Sie sind so korrupt!“, wettert er, woraufhin die elektrisierte Masse Beleidigungen brüllt. Betont gelassen steigt Acosta die Bühne herunter und sagt höhnisch: „Ah, die brechen mir heute das Herz!“ Dann ertönt es im Sprechchor: „Hunter Biden, Hunter Biden!“ Hunter ist Sohn von Joe Biden, der den Behauptungen konservativer Medien nach unter Mitwisserschaft seines Vaters in korrupte Geschäfte verwickelt sein soll. Trumps Unterstützer glauben, dass die Mainstream-Medien das wahre Ausmaß der Verstrickungen in ihrer Berichterstattung unterschlagen. Eine Teilnehmerin erzählt mir: „In den letzten Jahren sind 40.000 Jobs verloren gegangen. Die Biden-Familie hat damit zu tun. Die hat unser Land verkauft.“
Gleich neben dem Pressebereich steht Amber Garrison, die zusammen mit ihrer Tochter Madison hier ist. „Er ist der beste Präsident, den wir je hatten!“, meint Amber. „Ich unterstütze ihn voll und ganz. Vergiss bitte nicht: Wegen ihm sind wir das erste Mal seit 20 Jahren nicht im Krieg!“ Später auf der Bühne kommt der republikanische Senator Rand Paul zu Wort. Er lobt Trump ebenfalls dafür, Amerika in keinen „endlosen Krieg“ verwickelt zu haben. Paul wird sich zu Ende der Rally maskenlos den Weg durch die Menge bahnen. Der 13-jährigen Schülerin Madison gefällt es vor allem, dass Trump kein Berufspolitiker ist „und nicht so emotional wie andere Politiker“ sei.
Amber ist eine „stay-at-home mum“ aus den Vorstädten. Trump gewann diese Wählerschicht vor vier Jahren knapp. Dieses Jahr scheinen ihm die weißen Frauen in den Suburbs jedoch davonzulaufen. Einer Analyse der Website „FiveThirtyEight“ nach unterstützen ihn von ihnen 2020 nur noch 45 Prozent gegenüber 54 Prozent, die für Joe Biden sind. Zumindest scheint dem Präsidenten Ambers Stimme aber sicher.
Und es gibt ja auch noch andere Wählergruppen, die Trump 2016 zum Sieg verholfen haben, etwa die Ultrareligiösen. Um die Menge aufzuheizen, spricht kurz vor Trump der Prediger Sam Rodriguez. Er beklagt, dass in seinem Bundesstaat der demokratische Gouverneur verboten habe, eine Bibelstunde abzuhalten. „Die Kasinos durften aber offen bleiben“, brüllt er ins Mikrofon. In einer Woche werden wir gegen den säkularen Totalitarismus zurückschlagen! Gott über den Menschen und die Menschen über der Regierung!“ Der Reverend mit puerto-ricanischen Wurzeln schneidet auch das mit Abstand wichtigste Thema für evangelikale Wähler an: „Mit uns wird es keine Abtreibung on demand geben!“
Tony Gardner, ein Highschool-Lehrer aus Goodyear, hat sich neben der riesigen amerikanischen Flagge links der Tribüne aufgepflanzt und gibt sich als religiöser Wähler zu erkennen: „Ich bin zuerst Christ, danach Amerikaner und dann erst ein Mann aus Arizona.“ Gardner gibt zu, Trumps persönliche Art nicht gut zu finden. „Ich habe ihn 2016 im Vorwahlkampf auch nicht unterstützt.“ Dennoch: „Er hat die Bundesgerichte und vor allem den Supreme Court konservativer gemacht. Das ist mir wichtig.“ Gleich mehrere Leute in der Menge tragen T-Shirts mit dem Bild der neuen konservativen Richterin Amy Coney Barrett, die zwei Tag zuvor im Weißen Haus im Beisein von Donald Trump angelobt wurde. Als besonderes Plus sieht Tony, dass Trump, selbst wenn er die Wahl verlieren sollte, wahrscheinlich politisch aktiv bleiben werde. „Er ist nicht so wie George W. Bush, der sich seit dem Ende seiner Amtszeit nur dem Malen von Ölgemälden widmet“, meint er mit einem verschmitzten Lächeln. Trump werde bis weit nach 2020 politischen Einfluss haben, ist Tony Gardner überzeugt.
Die präziseste Antwort, warum sie Trump unterstützen, kommt indessen von Patty Stetson, einer ehemaligen Professorin für Strafrecht aus Scottsdale, die in der Pension selbst angefertigte Bilderrahmen verkauft. „Ich wähle ihn aus drei Gründen: nationale Sicherheit, seine Einwanderungspolitik und weil er Jobs schafft.“ Speziell das Militär hat es ihr angetan. Barack Obama habe die amerikanischen Streitkräfte zerstört. „Es gab keine funktionierenden Flugzeuge und keine Munition mehr! Trump hat das geändert“, meint Patty. Ihre Freundin, Anneliese Goodwin, eine deutsche Auswanderin mit Familie in Paderborn, sagt: „Im Gegensatz zu Deutschland brauche ich keine 50.000 Genehmigungen, um ein Unternehmen zu gründen. Unter Joe Biden würde sich das ändern.“ Beide erzählen auch freimütig, warum sie Trump auch persönlich mögen. „Wenn man dem Präsidenten einen Brief schreibt, bekommt man prompt eine Antwort“, erzählt Patty. Sie habe Trump 2017 einen Brief geschrieben, in dem sie ihn aufforderte: „Setzen Sie so viele konservative Richter in die Bundesgerichte, wie Sie können!“ Trump habe sich prompt für den Ratschlag bedankt und versprochen, ihn zu befolgen, erzählt Patty Stetson.
Der Präsident redet an diesem Tag gut eine Stunde lang. Am wenigsten scheint es das Publikum zu interessieren, wenn er auf Außenpolitisches zu sprechen kommt. Als Trump erwähnt, dass die USA den Atomdeal mit dem Iran gekündigt haben, gibt es dafür kaum Applaus. Als er jedoch den zweiten Zusatzartikel der Verfassung erwähnt, der das Recht aller Amerikaner garantiert, Waffen zu tragen, tobt die Menge. Auch Trumps Attacken gegen Joe Biden, die Vize-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris und Washington im Allgemeinen kommen gut an. Besonders schießt er sich auf Miles Taylor ein, einen früheren hohen Beamten seiner Regierung und anonymen Autor eines viel beachteten Kommentars in der „New York Times“ und eines Buches, wo er den Präsidenten heftig kritisierte. Taylors Identität wurde dieser Tage enthüllt. „Er ist ein totaler Versager. Ein Widerling! Ich habe gehört, er arbeitet jetzt für CNN!“ Gegen Ende der Rally kommt Nigel Farage auf die Bühne. Trump nennt den Chef der britischen Brexit-Partei tatsächlich einen sehr „unkontroversiellen Politiker“.
Vor seinem Auftritt ist Farage abgeschirmt von der Menge mit Rand Paul und anderen republikanischen Politikern in einem Hangar gesessen. Im Gegensatz zum Rest der Veranstaltung wurde dort auch Alkohol ausgeschenkt. Merklich angeheitert sind einige Begleiter der Politiker, mit Plastikbechern gefüllt mit Bier und Margarita-Cocktails, zu ihren Sitzplätzen marschiert. Trump sei der einzige westliche Staatsmann, der sich offen gegen die Kommunisten stelle, so der ehemalige Ukip-Boss. „Ihr wählt nicht nur euren Präsidenten! Ihr wählt den Anführer der freien Welt!“, feuert er die Menge an. Eine halbe Stunde später hebt Trump zu den Klängen von Frank Sinatras „My Way“ mit der Air Force One in den Sonnenuntergang ab. Zurück bleiben seine Fans und die Frage, wie lange Farages Behauptung in Zukunft noch wahr sein wird.