Der Krieg im Irak war ein großer dicker Fehler,” wetterte Donald Trump im Februar 2016 im Republikanischen Vorwahlkampf in South Carolina. „Sie haben gelogen. Sie meinten, dass es dort Massenvernichtungswaffen gebe. Es gab aber keine! Und sie wussten, dass es dort keine gab!”
Mit „sie” war die Regierung von George W. Bush (2001-2009), des 43. US-Präsidenten, gemeint. Ein republikanischer Kandidat bezichtigte also einen republikanischen Präsidenten offen der Lüge. Ein Tabubruch! Trump wusste aber genau, was er tat. Die Mehrheit der amerikanischen Öffentlichkeit, auch die Wähler der Republikaner, teilten die Meinung des New Yorker Milliardärs. Der Konflikt im Nahen Osten war äußerst unpopulär. Schon 2008 kostete er dem Kriegsbefürworter und Republikaner John McCain, die Wahl. Barack Obama gewann unter anderem wegen der Ankündigung, den Konflikt ein für alle mal beenden zu wollen.
Trumps Attacke auf offener Bühne führte zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen dem politischen Quereinsteiger und dem jüngeren Bruder von George W., Jeb Bush, der auch in der republikanischen Vorwahl antrat. Trump kritisierte, dass sich Jeb zu spät und aus reinem politischem Opportunismus gegen den von seinem Bruder gestarteten “desaströsen” Krieg gestellt habe. Trump hingegen sprach sich zwar vor der Invasion des Irak im März 2003 für Militärschläge gegen Bagdad aus, aber schon 2004 verkündete er dann öffentlich: „Der Irak ist ein schrecklicher Fehler!”
Neben der Finanzkrise von 2008 diskreditierte kein anderes Ereignis die traditionelle Parteielite der Republikaner mehr als George W. Bushs Entscheidung, Saddam Hussein zu stürzen. Der Krieg trug direkt zur Implosion der Grand Old Party und deren Übernahme durch den Emporkömmling Trump bei. Kein Irakkrieg, kein Präsident Donald Trump.
Die Ursprünge des Irakkriegs liegen in den Anschlägen vom 11. September 2001, die Amerika völlig unvorbereitet trafen, obwohl die Geheimdienste gewarnt hatten, dass mit Attacken auf amerikanischen Boden durch das radikalislamische Terrornetz al-Kaida zu rechnen sei. Nach Pearl Harbor 1941 war es der einschneidendste Angriff auf amerikanischen Boden mit weitreichenden gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen.
Für Europa ist es schwer verständlich, was 9/11, wie der 11. September in den USA genannt wird, auslöste. Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs fühlte die Nation eine existenzielle Bedrohung. Die Gefahr eines nuklearen Konflikts während des Kalten Kriegs war für die meisten einfach zu abstrakt. Über Nacht wurde das Land in einen regelrechten Sicherheitsstaat verwandelt. An jeder Ecke lauerte Gefahr. Es herrscht grenzenlose Paranoia. Das Weiße Haus rechnete mit einer Serie von Anschlägen, womöglich sogar unter Einsatz von Massenvernichtungswaffen.
Das 9/11 aber weitreichende Konsequenzen für die republikanische Partei haben würde, war nicht abzusehen. Das ist vor allem Bushs Vizeverteidigungsminister, Paul Wolfowitz, zu verdanken. Für diesen stand schon am Abend des 11. Septembers fest, dass der irakische Diktator Saddam Hussein in irgendeiner Form an den Anschlägen beteiligt gewesen sein könnte. Für alle, die Wolfowitz gut kannten, kam diese Schlussfolgerung nicht überraschend: Seit Ende des Golfkriegs von 1991, in dem die USA unter George H. W. Bush es aus „Prudence” (Besonnenheit) vorgezogen hatten, trotz einem überwältigendem Sieg den Irak nicht zu besetzten, lobbyierte er für die Befreiung des Landes von Saddam Husseins Diktatur. Angetrieben wurde Wolfowitz von einer idealistischen, politischen Strömung, die sich in den 1980ern und 1990ern in der republikanischen Partei ausbreitete: dem Neokonservatismus.
Bis heute gibt es schier endlose Debatten über dessen genauen Inhalt und Ursprung. Fest steht, dass Wolfowitzs Interpretation unter dem Eindruck des amerikanisches „Sieges” im Kalten Krieg den Export von Amerikas Demokratie unter Waffengewalt in den Nahen Osten beinhaltete. Alle Mensch streben demnach nach Freiheit und Menschenwürde, so der wenig kontroverse Teil der Ideologie. Die USA als „letzte beste Hoffnung der Menschheit”, wie Abraham Lincoln das Land einst nannte, sollten den Unterdrückten dieser Erde helfen das Ideal der Freiheit zu erreichen. Hindernisse wie diktatorische Regime müssten notfalls mit amerikanischen Waffen hinweggefegt werden.
In der politikwissenschaftlichen Fachsprache wird das interventionistischer Unilateralismus genannt. Unilateral, also einseitig, weil die USA nach den Verfechter dieser Strömung zufolge für ihr Einschreiten keine Erlaubnis von multilateralen Institutionen wie der UNO einholen müssen. Das Problem für Wolfowitz allerdings war, dass nachrichtendienstliche Irak-Experten im CIA und dem Pentagon es von Anfang an für ausgeschlossen hielten, dass Saddam Hussein in Allianz mit der al-Kaida die USA angreifen würde. Wolfowitz blieb dennoch unbeirrt. Am 15. September unterstrich er in einer Konferenz mit dem Präsidenten erneut, dass der Irak und Al Kaida kooperiert haben könnten.
Bush zeigte sich zunächst wenig interessiert. Erst als Wolfowitz später an dem Tag von einer temporären Okkupation des Südirak sprach, um die Ölfelder unter Kontrolle zu bringen, während irakische Freiheitskämpfer Bagdad stürmen würden, fing er Feuer.
Wolfowitz setzte an diesem Spätsommertag 2001 eine Kettenreaktion in Gange, die in die Invasion im März 2003 münden sollte. Die von ihm geplante Neuordnung des Nahen Ostens untermauerte er durch die angebliche Gefahr, die von Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen ausging, welche letztlich dann auch als eigentlicher Kriegsgrund herhalten musste. Aufgrund der ihm präsentierten Informationen zu Saddams vermeintlichen Waffenprogrammen, die allesamt auf dubiose Quellen gründeten und teilweise von Mitarbeitern in seinem Umfeld bewusst manipuliert worden waren, glaubte Bush, er habe keine Wahl: Saddam musste weg, oder früher oder später würde ein Atompilz über einer amerikanischen Stadt emporwachsen.
Wolfowitz und Bush einte die Idee der universellen Freiheit und der Einzigartigkeit der amerikanischen Demokratie. Nach Saddams schnellem Fall träumten die Neokonservativen in der Bush-Administration und die Falken der republikanischen Parteieliten von einem „American Empire”, einer neuen amerikanischen liberalen Hegemonie, in der Diktatoren demokratischen Kräften und amerikanischer Feuerkraft weichen würden. Für viele Beobachter in und außerhalb von Amerika verschmolz die republikanische Partei spätestens ab diesem Zeitpunkt mit dem Neokonservatismus.
Das fesselte sie allerdings auch an den Ausgang des Krieges. Und der verlief dann ganz anders als vorgesehen: Nicht nur wurden keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Der Krieg kostete Hunderttausende Iraker und Tausende Amerikaner das Leben. Die finanziellen Ausgaben der USA betragen laut letzten Erhebungen bis dato mehr als zwei Billionen Dollar. Zusätzlich brannten sich die Folterszenen von Abu Ghraib, inszeniert von amerikanischen Soldaten, unweigerlich in das globale kollektive Unterbewusstsein ein. Bis heute untergraben sie jeden moralischen Führungsanspruch der USA.
Bushs aggressive Politik erschöpfte die amerikanische Öffentlichkeit und trieb einen Keil zwischen die konservativen Parteielite und die republikanische Wählerschaft. Die Skepsis der Basis gegenüber Washington DC und dem sogenannten „Deep State”, dem tiefen Staat nahm signifikant zu. Auch unterstrich der Konflikt in den Augen vieler konservativer Amerikaner die völlige Abgehobenheit eines global gesinnten republikanischen Establishments, das mehr damit beschäftigt war, am anderen Ende der Welt Krieg zu führen, als sich den eigentlichen strukturellen Problemen des Landes zu widmen.
Diese interne Entfremdung wurde bis zum Aufstieg Trumps ab 2015/16 jedoch zum Großteil ignoriert. Dabei war offenkundig, dass der Krieg im Irak eine enorme Hypothek an den Wahlurnen darstellen würde. So konnte John McCain im Wahlkampf 2008 seine Unterstützung des Irakkriegs vor Wählern nur mehr zum Teil begründen. Er setzte auf die „Surge”, die Truppenaufstockung von 2007, was schließlich zu seiner Niederlage beitrug. Dass dadurch jedoch ein Machtvakuum innerhalb der Partei entstehen würde, welches Jahre später vom Außenseiter Trump ausgenutzt werden konnte, wurde unterschätzt.
Die Diskreditierung der alten Eliten um George W. Bush und der Neokonservativen, von denen viele heute so genannte „Never Trumpers” sind. also republikanische Gegner des Präsidenten, katapultierte eine Reihe politischer Randfiguren ins Zentrum der Partei. Konsequenzen für die Architekten des Krieges wie Paul Wolfowitz gab es aber keine. Allerdings gilt Neokonservativer in republikanischen Kreisen heute als Schimpfwort und wird und oft im gleichen Atemzug mit den verhassten „globalen Eliten” genannt. Dass nichtsdestotrotz gleichzeitig viele jener diskreditierten „Never Trumper” bis heute einflussreiche Jobs in Washington DC innehaben, scheint die Kritik des 45. Präsidenten am alten weltfremden Parteiestablishment nur zu bestätigen.