In der Dämmerung setzte „Marine One“ sanft zur Landung an. Entschlossen entstieg Donald Trump mit Maske dem Helikopter, querte die offene Fläche und nahm die Stufen zum Balkon auf der Rückseite des Weißen Hauses. Nach Atem ringend nahm er vor laufenden Kameras die Maske ab und salutierte dem wieder abhebenden Hubschrauber, der in aufkommende Dunkelheit entschwebte. In liberalen Medien erntete Trump heftige Kritik für die Inszenierung. Sein Ex-Berater Anthony Scaramucci verglich den Einzug Trumps sogar mit den Auftritten des italienischen Diktators Benito Mussolini.
Nur eine halbe Stunde zuvor hatte Trump sich selbst aus dem Spital entlassen, obwohl der Infizierte eigentlich in strenger Isolation bleiben müsste. Laut Weißem Haus gab das Ärzteteam des Präsidenten aber das Okay für die Rückkehr. Genaueres über den Gesundheitszustand des US-Präsidenten ist nach wie vor nicht bekannt. Einige Mediziner spekulieren öffentlich, dass Trump nicht über den Berg sei und sich sein Zustand noch verschlechtern könnte.
Der Präsident dagegen scheint nur von einem Gedanken beseelt: sich wieder in den Wahlkampf zu stürzen. Am Dienstagmorgen verkündete er, dass er an der nächsten Präsidentschaftsdebatte am 15. Oktober in Miami teilnehmen werde. Er fühle sich „großartig“, sagte er.
Wenn es aber bis vor Kurzem ein Thema gab, das Trump nicht in den Mittelpunkt seines Wahlkampfs rücken wollte, war es das Coronavirus, das bereits über 200.000 Amerikanerinnen das Leben kostete. Neben seiner „Law and Order“-Message, angelehnt an Richard Nixons „Southern Strategy“ aus den 1960er-Jahren, hätte die Bestellung einer neuen konservativen Richterin zum Obersten Gerichtshof der zweite Eckpfeiler seiner Kampagne werden sollen. Die Aussicht, konservative Richter zu bestellen, mobilisiert traditionell die Rechte in den USA. Doch Trump hat die Rechnung ohne Virus gemacht. Just die Vorstellung der konservativen Richterin Coney Barrett, die die Nachfolge der liberalen Ikone Ruth Bader Ginsburg antreten soll, dürfte in der Vorwoche vor dem Weißen Haus zum Superspreader-Ereignis geraten sein, bei dem sich neben Personen aus Trumps Umfeld auch er selbst angesteckt haben könnte.
Bei der Feier wurden sämtliche Covidregeln ignoriert. Das werden die Demokraten ausschlachten. Corona wird in den nächsten Wochen eines der Hauptthemen des Wahlkampfes sein, selbst wenn sich der Präsident komplett erholen sollte.
So will Trump das Blatt wenden
Wie wird Trump das Blatt zu wenden versuchen? Indem er aus der Not eine Tugend macht und sich als Superman präsentiert, der das Virus persönlich besiegt hat. Präzedenzfall in der jüngeren US-Wahlkampfgeschichte gibt es keinen. Allerdings kletterten nach dem Attentat auf Ronald Reagan 1981 dessen Beliebtheitswerte nach oben. Das lässt auch Trump und sein Team hoffen.
unserem Korrespondenten Franz-Stefan Gady aus New York