Die Luftballons sind gefallen, Bruce Springsteens Born in the USA ist verklungen, Tränen sind geflossen, Fahnen wurden geschwenkt, „USA! USA! USA!“ wurde gerufen und Kinder haben erklärt, wie man „Kamala“ ausspricht. Alle, die bei den Demokraten Rang und Namen haben — und sogar ein paar Republikaner —, sind aufgetreten. Alle betonen, wie großartig Kamala Harris ist, wie fröhlich, wie klug, wie zäh, wie entschlossen. Sie ist eine von uns, aber stärker.

Eine der wichtigsten Wahlen der Geschichte

Sie habe Drogenkartelle zerschlagen und den großen Banken in der Immobilienkrise von 2008 die Stirn geboten und denen mehr Geld abgezwungen. Sie kämpfe für ein besseres Amerika, dafür, dass Amerika die Welt führe, für uns alle, nicht nur für Demokraten. „Wie are not going back“, wir gehen nicht zurück, ruft die Menge.

Kamala selbst trat erst am Ende des Parteitags der Demokraten in Chicago auf die Bühne, vorgestellt vor ihrer jüngeren Schwester Maya. Maya erzählt, wie ihre Mutter beide Töchter zum Kämpfen erzogen habe, und wie Kamala sie immer verteidigt habe. Heute wäre „Mami“ so stolz auf Kamala. Eigentlich war uns Beyonce oder Taylor Swift als Vorprogramm versprochen worden, aber immerhin trat die Sängerin Pink auf. Und die Chicks, vormals Dixie Chicks, sangen die Nationalhymne.

Vorausgegangen sind, wie auch an den Vortagen, zahlreiche Auftritte, sorgfältig komponiert, um die Herzen der fast 5000 Delegierten zu berühren. Aber auch um dem Konkurrenten Donald Trump, der für die Republikaner antritt, eins einzuschenken. So bringt der Reverend Al Sharpton, ein schwarzer Communityführer aus New York, vier junge Männer mit, die — fälschlicherweise verurteilt — Jahrzehnte im Gefängnis saßen. Trump hatte damals eine ganzseitige Anzeige in der New York Times geschaltet, in der er die Todesstrafe für die „Central Park Five“ forderte. So jemand, forderte Sharpton, dürfe nicht Präsident werden. Auch der schwarze TV-Komiker D.L. Hughley attackiert Trump, der bezweifelt hat, ob Harris schwarz sei. „Kamala war schon schwarz, als Trump noch kein Republikaner war“, bemerkt er.

Bekannte sich zur NATO

Es gibt viele ernste Momente. Lehrerinnen, Mütter und Mitschüler aus Uvalde, Texas und aus anderen Städten erinnern an die vielen Schulkinder, die von verrückten Waffennarren umgebracht worden sind und erzählen, wie sie heute noch traumatisiert seien. Es spricht auch Gabby Giffords, die Abgeordnete aus Arizona, der ein politischer Gegner in den Kopf schoss — ein wenig merkt man ihr das heute noch an. Kamala unterstütze ihren Kampf für Waffenkontrolle, sagt sie

Ihr Mann Mark Kelly, der Soldat im Irak war, findet Trump als Commander in Chief völlig ungeeignet. Der buckele vor Diktatoren und habe gesagt, Wladimir Putin solle in Europa machen, was er wolle. „Ich weigere mich, unter Trump zu dienen, dessen Golfkumpel entscheiden, in welchen Krieg wir ziehen“, meint ein anderer Offizier.

In die gleiche Kerbe schlägt Leon Panetta, Verteidigungsminister und CIA-Chef von Barack Obama, der Osama Bin Laden töten ließ. Trump lasse die europäischen Alliierten und die Ukraine im Stich. Damit sei Amerika schon in den dreißiger Jahren gescheitert. Kamala aber verstehe, dass sie der Ukraine gegen Russland helfen müsse und dass das Militär dafür da sei, Amerika zu schützen und nicht, gegen Amerikaner vorzugehen und Immigranten in Lager zu sperren.

Pink und „The Chicks“ sorgten für Stimmung

Dann noch Innenministerin Deb Haaland, die erste indianische Frau in einer Bundesregierung. Sie sagt, ihr Volk beschütze die Erde, und Kamala beschütze die Erde ebenfalls, aber Trump glaube nicht an Klimawandel. Tim Walz, der designierte Vize hat in Minnesota großen Ärger mit einem Stamm, über dessen Gebiet eine Pipeline gebaut wird, aber bei dem Parteitag geht es um Harmonie.

Zwei Redner sind besonders bemerkenswert: Adam Kinzinger, ein früherer Republikaner und Abgeordneter aus Illinois, der sagt, er sei „stolz, mit euch im Schützengraben zu sein.“ Mit Trump seien die Republikaner nicht mehr konservativ, der habe die Seele der republikanischen Partei erstickt. Er sei ein schwacher Mann, der so tue, als ob er stark sei. Ein Täter, der das Opfer spiele. Kinzinger appelliert an alle Republikaner, überzulaufen. „Die Demokraten sind genauso patriotisch wie ihr.“

Dann Gretchen Whitmer, die Gouverneurin von Michigan, die lange als potentielle Präsidentin gehandelt wurde. Trump habe sie „diese Frau von Michigan“ genannt, das sei ein Ehrentitel. Wenn Frauen aus Michigan sich etwas vornehmen, das bekämen sie hin. Trump sei wahrscheinlich noch nie in einem Lebensmittelladen gewesen und sein erstes Wort sei „Chauffeur“ gewesen. Der Gedanke beschleicht einen, ob Whitmer nicht die bessere Kandidatin gewesen wäre, zupackend, witzig und klar.

Harris Auftritt ist eher sentimental. Sie erzählt ihre amerikanische Geschichte, eine von vielen großartigen Geschichten, sagt sie, eine Geschichte von der Tellerwäscherin zur Vizepräsidentin. Sie berichtet von ihrer Immigrantenfamilie und ihrer Schulzeit. Und sie preist Amerika als die „größte Demokratie, die die Welt jemals hervorgebracht“ habe. Für Amerika müssten wir kämpfen, für das Privileg und den Stolz, ein Amerikaner zu sein, so wie die Generationen vor uns.

Wie steht Harris zur Ukraine und zu Gaza?

Große Worte, aber wie ihre Ziele umgesetzt werden, womöglich gegen den Kongress, das bleibt unklar. Steuer für die Mittelklasse senken? Wie wird das gegenfinanziert? Das Recht auf Abtreibung sicherstellen? Das entscheiden die Staaten und bei Bundesgesetzen muss der Senat zustimmen. Gesundheitsvorsorge für Amerikaner? Die Forderung, das Medicare-Programm auf alle auszudehnen, nicht nur auf Rentner, hat sie fallengelassen. Der Ukrainekrieg — sie behauptet, Wolodymyr Zelinsky fünf Tage von dem russischen Einmarsch gewarnt zu haben — ist festgefahren.

Und der israelische Krieg in Gaza? Harris hat dem Druck der linken Ecke widerstanden, einen palästinensischen Sprecher zuzulassen, dafür gibt es einen Clip, der sie bei einem Auftritt der israelischen Lobbyorganisation AIPAC zeigt. Sie werde immer für das Israels eintreten, zu existieren, sagt sie, und Amerika werde immer dafür eintreten — sprich, Waffen liefern. Sicher, das Leiden in Gaza, das sei herzzerreißend, aber sie, und Joe Biden wollten den Krieg beenden. Dann würden die Geiseln zurückkehren und die Palästinenser könnten in Frieden und Würde leben.

Trump ist angezählt

Wie so vieles, ist auch das ein schönes Versprechen, aber bei dem Parteitag geht es ja darum, Kamala Harris in den schönsten Farben vorzustellen und nicht, unangenehme Probleme zu lösen. Donald Trump, derweil, ist nicht untätig geblieben. Er hat die Presse mit Erklärungen und Richtigstellungen beschossen, ein gutes Dutzend am Tag, wobei er sich nicht entscheiden kann, ob Harris eine gefährliche kommunistische Aktivistin ist oder eine untätige, unfähige Quotenfrau.

Tatsächlich ist das Rennen noch lange nicht entschieden; die Umfragen lavieren noch immer um die 50:50 herum. Harris größte Stärke ist die neuerliche Schwäche von Trumps. Der Ex-Präsident wirkt launisch und unfokussiert, seine konkrete Forderung ist das Schließen der Grenze. Ob das reicht, die Wahl zu gewinnen?