Chicago ist die Stadt von Barack Obama. Hier hat er seine ersten politischen Schritte als „Community Organizer“ getan, hier hat er Michelle kennengelernt, die Anwältin, die in der berüchtigten South Side aufwuchs. Er war der erste schwarze Senator für Illinois, der Bundesstaat, in dem Chicago liegt. Heute wohnen die Obamas in einer Villa in Washington, DC, aber in Chicago werden ihre Auftritte immer noch umjubelt.
Hinter den Kulissen der großen Umarmung aber grummelt es ein wenig. Obama, der in der Partei großen Einfluss hat, wenngleich kein Amt mehr, wollte damals zwar, dass Joe Biden eine schwarze Frau als Vizepräsidentin ernennt, ein Akt, dem Harris letztlich ihre Kandidatur zu verdanken hat. Aber er wollte Susan Rice, seine ehemalige Sicherheitsberaterin. Michelle wiederum hatte sich mit den Bidens überworfen, nachdem die ihrer Freundin Kathleen Biden die kalte Schulter zeigten, der Ex-Frau von Hunter, schrieb Maureen Dowd in der „New York Times“.
Gleichviel; Obama hat Harris früh unterstützt, und sie ihn auch. Und so war alles vergeben und vergessen, als der frühere Präsident, umjubelt von den Delegierten, auf die Bühne des United Center trat. Er sei „fired up und ready to go“, wiederholte er seinen alten Slogan. Der frühere Präsident hat nun weißgraue Haare und auch nur noch wenige davon, wirkt aber abgesehen davon nicht gealtert. Er warnte die Demokraten, zu siegessicher zu sein. „Es ist immer noch ein knappes Rennen“, sagte er. Aber Amerika sei bereit für eine Präsidentin Kamala Harris, und die sei bereit. Dazu skandierte das Publikum: „Yes, she can“, auch das ein Obama-Slogan. „Wir haben die Chance, jemanden zu wählen, der sein ganzes Leben damit verbracht hat, den Menschen die gleichen Chancen zu geben, die Amerika ihr gegeben hat. Jemanden, der euch sieht und euch zuhört“, sagte Obama weiter über Harris. „Sie wird sich für jeden Amerikaner einsetzen.“
Michelle Obama: „Amerika, Hoffnung kommt zurück“
Obama zog auch kräftig über seinen Nachfolger vom Leder. Trump jammere seit acht Jahren herum; er sei wie der Nachbar, der den ganzen Tag mit dem Laubbläser vor dem Fenster herumhänge. Er beklage sich über die Größe der Massen auf seinen Veranstaltungen — dabei machte Obama eine Handgeste, die eine kleine Größe andeutet — und verliere keinen Schlaf darüber, ob es seinen Kindern gut gehe. Für die Demokraten aber gehe es darum: „Wer kümmert sich um unsere Kinder?“
Vor Obama sprach seine Frau Michelle, die an den Herzen der Delegierten zupfte, als sie von Barack als die „Liebe ihres Lebens“ sprach. „Amerika, Hoffnung kommt zurück“, sagte sie — unter dem Motto „Hope“ war auch Obama angetreten. Dann wurde sie scharf. Frauen aus der Mittelklasse wie sie und Kamala hätten für ihren Erfolg hart gearbeitet. Sie hätten nicht, wie Trump, ein paarmal Pleite machen und neu anfangen können. Trump fühle sich von der Existenz zweier hart arbeitender, gebildeter, erfolgreicher Menschen bedroht, die schwarz seien. „Wer erzählt ihm, dass er sich um einen Job für Schwarze bewirbt?“ (Trump hatte behauptet, Immigranten würden Schwarzen die Jobs wegnehmen). Das löste unter anderem in sozialen Medien den Trend aus, dass Schwarze mit Stolz ihre Jobs präsentieren.
Aber es sei nicht garantiert, dass Kamala Harris und Tim Walz gewählt würden. „Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir etwas tun!“
Harris‘ Ehemann Doug Emhoff stichelte gegen Trump
Angefangen hatte die Sitzung mit dem „Roll Call“, als die Delegierten Harris und ihren Vize Chris Walz nominierten, begleitet von Musik aus ihrem Heimatstaat — Taylor Swift für Rhode Island, Beyonce für Texas, Eminem für Michigan, Prince für Minnesota und Bruce Springsteens „Born in the USA“ für New Jersey.
Harris selbst war auf einer Wahlkampfveranstaltung in einer Arena in Milwaukee, Wisconsin, wurde aber auf einem großen Bildschirm des United Center eingeblendet. Aber ihr Ehemann Doug Emhoff sprach, der erst seine Mutter grüßte. „Sie glaubt als einzige, Kamala habe Glück gehabt, mich abzubekommen, nicht umgekehrt.“ Und: „Ich liebe ihr Lachen“. Trump hatte sich auch darüber mokiert. Er fügte hinzu, Kamala könne eine wunderbare Rinderbrust zubereiten, ein klassisches jüdisches Festtagsessen. Harris muss sich Vorwürfen erwehren, Antisemitismus in der Partei zu dulden, deshalb streut Emhoff gerne solche Bemerkungen ein.
Parteitage der Demokraten als Mammutveranstaltungen
Die Parteitage der Demokraten und der Republikaner, der im Juli in Milwaukee, Wisconsin stattfand, haben einige Ähnlichkeiten. Sie sind Mammutveranstaltungen mit riesigen Bildschirmen, lauter Musik, Ballons, Cowboyhüten und schnell getakteten Reden. Und beide Parteien plädieren für die Einheit Amerikas.
Tammy Duckworth, Halb-Chinesin und die einzige Frau im Senat, die im Einsatz im Irakkrieg (und dort schwer verwundet wurde), sagte, sie habe dort für die Freiheit gekämpft. „Ich will nicht, dass ein fünffacher Drückeberger wie Trump meinen Töchtern die Freiheit wegnimmt, über ihren eigenen Körper zu bestimmen.“
Erst spätabends gab es einen kritischen Moment. Nancy Pelosi, die langjährige Vorsitzende der Demokraten im Repräsentantenhaus war im Chicagoer Studio des TV-Komikers Stephen Colbert eingeladen. Ihr Auftritt wurde von Protestlern gegen Israels Krieg in Gaza unterbrochen. Pelosi sagte, Israel sei attackiert worden, und habe das Recht, sich zu wehren. Deshalb sende Amerika Waffen. „Aber wir wollen nicht, dass Kinder in Gaza umgebracht werden“. Es müsse eine Zwei-Staatenlösung geben. Sie wurde von Rufern unterbrochen, die letztlich aus dem Studio gedrängt wurden. Die Gruppe hatte tagsüber vor dem israelischen Konsulat protestiert.
Unstimmigkeiten mit eigener Wählergruppe
Einen besonderen Auftritt hatte Bernie Sanders, der Linksaußen der Demokraten. Der langgediente Senator, der mehrfach als Präsident kandidiert hatte, zählte die Erfolge von Biden auf: Der habe Essenprogramme für Kinder und Senioren aufgelegt, Pensionen geschützt, Kinderarmut verhindert und die Kosten für Insulin gesenkt. Aber es sei noch viel zu tun, von zu hohen Mieten bis zu einer Gesundheitsvorsorge, wie sie jeder andere Industriestaat habe. „Wir brauchen eine Ökonomie nicht nur für die Milliardäre und die Oligarchen, sondern für alle.“ Deshalb werde er mit Kamala und Tim zusammenarbeiten. Die Agenda der beiden klingt auch ähnlich wie das, was Sanders immer gefordert hat. Ob das allerdings umgesetzt wird, ist eine andere Frage.
Aber nicht nur der sozialistische Flügel der Demokraten stellte sich hinter Harris, auch der kapitalistische. JB Pritzker, der Gouverneur von Illinois sagte, er sei ein echter Milliardär. Das einzige hingegen, woran Trump reich sei, sei Dummheit.