Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (beide CDU) haben vor einem Scheitern des Gipfeltreffens zum EU-Budget und dem Corona-Hilfsfonds am 17. und 18. Juli gewarnt. "Mit jedem Tag, den wir verlieren, werden wir sehen, wie Menschen ihre Jobs verlieren und Unternehmen pleite gehen", sagte von der Leyen am Donnerstag in Brüssel.
"Ich fahre nach Brüssel am 17. Juli mit dem Willen, eine Einigung herbeizuführen", sagte Kanzlerin Merkel bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit von der Leyen per Video-Schaltung in Berlin. Sie warnt davor, dass die EU ansonsten Anfang 2021 "vor dem Nichts" stehen könnte. Sollte eine Einigung nicht gleich klappen, müssten die Gespräche natürlich trotzdem weitergehen. "Aber es muss sowieso im Laufe des Sommers eine Einigung geben, eine andere Variante kann ich mir gar nicht vorstellen".
Deutschland hat seit Mittwoch den Vorsitz der 27 EU-Staaten und soll als Vermittler dazu beitragen, einen Konsens über das beispiellose Finanzpaket zu finden. Von der Leyen hatte einen siebenjährigen Budgetplan im Umfang von 1,1 Billionen Euro vorgeschlagen sowie einen Wiederaufbauplan nach der Coronakrise im Umfang von 750 Milliarden Euro. Noch sind die Positionen der EU-Staaten allerdings weit auseinander. Alle wüssten, wo die Schwierigkeiten lägen, sagte Merkel. Es sei wichtig, dass die Antwort auf die Krise "so gestrickt ist, dass sie wuchtig ist", betonte Merkel. Die ganze Welt schaue darauf, was die Europäische Union zustande bringe.
Merkel verwies darauf, dass die bisherige EU-Finanzperiode Ende des Jahres ausläuft. Ohne eine Einigung könne man dann "nur noch Agrarpolitik machen und sonst nicht mehr viel". Hintergrund ist, dass im Fall eines Scheiterns der Finanzverhandlungen die Agrarzahlungen auf dem Niveau des Vorjahres auch 2021 weiterlaufen würden, während die meisten anderen Ausgabenprogramme in der EU jeweils neu beschlossen werden müssten und dann auslaufen würden.
Von der Leyen gab sich recht optimistisch, dass letztlich eine Einigung gelingen werde. Die Grundzüge ihres Vorschlags würden nicht in Frage gestellt, das sei ein sehr gutes Zeichen, sagte sie. Ihr Vorschlag ist, die 750 Milliarden Euro als Schulden im Namen der EU auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen und dann über Jahrzehnte hinweg gemeinsam abzubezahlen.
Allerdings sind nach Angaben aus EU-Kreisen praktisch alle wichtigen Details nach wie vor umstritten, darunter auch die Grundfrage, ob auf Kredit aufgenommenes Geld als Zuschuss an EU-Krisenstaaten verteilt werden soll oder nur als Kredit. Außerdem wird darüber gestritten, nach welchen Kriterien das Geld vergeben und welche Bedingungen dafür erfüllt werden müssen. Auch der Umfang des Konjunkturprogramms und des Budgetplans sind offen.
Merkel will die Verknüpfung der europäischen Gelder mit der Rechtsstaatlichkeit beim Gipfel jedenfalls nicht in der Vordergrund stellen. "Damit man Fonds mit Rechtstaatlichkeit (...) verbinden kann, braucht man erstmal Fonds", sagte Merkel. Dies stehe bei dem Gipfel Mitte Juli "im Fokus". Es gehe darum, dass EU-Gelder "auf angemessene Weise genutzt werden", ergänzte von der Leyen. Es müsse möglich sein, bei Missbrauch "eine solche Situation zu beenden." Die EU-Kommission hatte schon 2018 vorgeschlagen, die Auszahlung von EU-Budgetmitteln an das Einhalten rechtsstaatlicher Prinzipien zu binden. Im Programm für die deutsche EU-Präsidentschaft heißt es, die deutsche Bundesregierung unterstütze den Vorschlag. Gegen Polen und Ungarn laufen wegen Verstößen gegen die Rechtstaatlichkeit Strafverfahren, die bis zum Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene führen können.
Von der Leyen hat Merkel für den 8. Juli zur Vorbereitung zu einem Treffen mit EU-Ratschef Charles Michel und EU-Parlamentspräsident David Sassoli nach Brüssel eingeladen. Für Ende nächster Woche wird dann ein Kompromissvorschlag von Michel erwartet, der den Weg zu einer Einigung ebnen soll.
Merkel und von der Leyen hatten in einer Videokonferenz mit Ministern und Kommissaren das Programm für die deutsche Ratspräsidentschaft in den nächsten sechs Monaten besprochen. Ein wichtiges Thema ist dabei auch das Verhältnis zu China - vor allem nach der Zuspitzung über das drastische chinesische Sicherheitsgesetz für Hongkong. Merkel sagte, der Dialog mit China solle trotzdem aufrecht erhalten werden, die Beziehungen seien wichtig und von strategischer Bedeutung.
Man werde über Menschenrechte ebenso sprechen wie über andere gesellschaftliche Bereiche, aber auch über das seit Jahren vorbereitete Investitionsschutzabkommen und Klimaschutz. Thema sollen auch die Beziehungen zu Drittstaaten sein. Diese seien sehr schwierig, weil die EU etwa in Afrika auch mit chinesischen Interessen konkurriere, machte Merkel deutlich. Man müsse jedenfalls hier eine Plattform finden.
Auf die Frage, ob die EU ähnlich wie die USA wegen des chinesischen Sicherheitsgesetzes für Hongkong über Sanktionen nachdenke, ging Merkel nicht direkt ein. Sie verwies aber auf die Stellungnahme der europäischen Außenminister, die ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht hätten.
Merkel und von der Leyen betonten ihr großes Einverständnis und Vertrauen als gute Basis für die enge Zusammenarbeit für Europa in den nächsten sechs Monaten. Auf die Frage, ob es gut sei, dass ausgerechnet zwei deutsche Frauen nun die Geschicke in der EU beeinflussen, sagte Merkel: "Früher haben das zwei Männer immer geschafft, jetzt müssen wir das als zwei Frauen schaffen, und wir sind da ganz selbstbewusst, dass wir das hinkriegen, glaube ich, nicht wahr, Ursula?"