Deutschlands Kanzler Olaf Scholz hat Russland vor den Vereinten Nationen "blanken Imperialismus" vorgeworfen und der Ukraine weitere Unterstützung auch mit Waffenlieferungen zugesichert. "Putin wird seinen Krieg und seine imperialen Ambitionen nur aufgeben, wenn er erkennt: Er kann diesen Krieg nicht gewinnen", sagte Scholz Dienstagabend vor der UNO-Vollversammlung in New York. "Er zerstört dadurch nicht nur die Ukraine, er ruiniert auch sein eigenes Land." Deshalb werde man keinen russischen "Diktatfrieden" akzeptieren - und auch keine Scheinreferenden, betonte Scholz. Damit spielte er auf die von kremltreuen Separatisten geplanten Abstimmungen in mehreren ukrainischen Regionen an, die am Dienstag angekündigt worden waren.
Die Ukraine müsse in der Lage sein, Russlands Überfall abwehren zu können, betonte Scholz. "Wir unterstützen die Ukraine dabei mit aller Kraft: finanziell, wirtschaftlich, humanitär und auch mit Waffen." Kurz vor der Abreise des Kanzlers nach New York hatte die deutsche Bundesregierung weitere Waffen aus Bundeswehrbeständen zugesagt, darunter vier schwere Artilleriegeschütze vom Typ Panzerhaubitze 2000.
"Das ist blanker Imperialismus"
Für das Agieren Russlands gebe es nur ein Wort, sagte der Kanzler: "Das ist blanker Imperialismus." Diese Rückkehr des Imperialismus sei nicht nur ein Desaster für Europa, sondern auch für die globale Friedensordnung. "Deshalb war es so wichtig, dass 141 Staaten den russischen Eroberungskrieg hier in diesem Saal eindeutig verurteilt haben." Im März hatten 141 der 193 UN-Mitgliedstaaten für eine entsprechende Resolution gestimmt. Die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Welt - China und Indien - enthielten sich allerdings.
Scholz verteidigte in seiner Rede auch die Sanktionen westlicher Staaten gegen Russland. Damit habe man das Versprechen eingelöst, das jedes der Länder mit dem Beitritt zu den Vereinten Nationen gegeben hat, nämlich "unsere Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren".
Scharfe Kritik an geplanten Referenden
Die angekündigten Abstimmungen in der Ukraine sind von zahlreichen westlichen Staaten - darunter auch Österreich - scharf verurteilt worden. Die Referenden seien ein Affront gegen die Grundsätze der Souveränität und der territorialen Integrität, auf denen das internationale System beruhe, hieß es aus dem Weißen Haus. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisierte die Abstimmungen als klaren Verstoß gegen die UNO-Charta.
Bewerbung um ständigen Sitz
Die deutsche Bewerbung um einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat erneuerte Scholz bei seiner Rede. Deutschland sei bereit, größere Verantwortung zu übernehmen - zunächst als eines der zehn wechselnden Mitglieder in den Jahren 2027 und 2028, perspektivisch aber auch als ständiges Mitglied. "Ich bitte Sie, unsere Kandidatur zu unterstützen - die Kandidatur eines Landes, das die Prinzipien der Vereinten Nationen achtet, das Zusammenarbeit anbietet und sucht."
Der Sicherheitsrat ist das wichtigste Gremium der Vereinten Nationen und für Konfliktlösung und Friedenssicherung zuständig. Ihm gehören 15 der 193 UNO-Mitgliedstaaten an. Fünf Atommächte sind ständig dabei und haben Vetorecht bei allen Entscheidungen: die USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich. Einige der anderen 188 Mitgliedstaaten wechseln sich auf den anderen zehn Sitzen alle zwei Jahre ab. Deutschland bewirbt sich alle acht Jahre für einen Sitz.
Gremium gilt als handlungsunfähig
Seit Jahren gilt das Gremium wegen gegenseitiger Blockaden der USA, Chinas und Russlands in zentralen Fragen als weitgehend handlungsunfähig. Über eine grundlegende Reform des Sicherheitsrats wird seit Jahrzehnten diskutiert, ohne dass es Fortschritte gibt. "Wir müssen unsere Regeln und Institutionen anpassen an die Realität des 21. Jahrhunderts", forderte Scholz. "Viel zu oft spiegeln sie die Welt von vor 30, 50 oder 70 Jahren. Das gilt auch für den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen."
Für ihn sei es völlig selbstverständlich, dass die aufstrebenden, dynamischen Länder und Regionen Asiens, Afrikas und des südlichen Amerikas größere politische Mitsprache auf der Weltbühne bekommen müssten. "Das liegt in unser aller Interesse." Denn daraus entstehe gemeinsame Verantwortung. "Nicht Nationalismus und Isolation lösen die Herausforderungen unserer Zeit. Mehr Zusammenarbeit, mehr Partnerschaft, mehr Beteiligung lautet die einzig vernünftige Antwort."
Putin-Unterstützer warnen vor einem "vollwertigen Krieg"
Der russischen Regierung nahestehende Persönlichkeiten in Russland warnen den Westen in den sozialen Medien, die russischen Gebietsgewinne zu akzeptieren oder einen "vollwertigen Krieg" zu riskieren. Der ehemalige russische Präsident und Putin-Unterstützer Dmitri Medwedew meinte etwa: "Das Eindringen in russisches Territorium ist ein Verbrechen, das es erlaubt, alle Kräfte der Selbstverteidigung einzusetzen."
Biden, Raisi und Selenskyj sprechen bei UNO-Generaldebatte
Mit einer Rede von US-Präsident Joe Biden wird am Mittwoch die 77. Generaldebatte der UN-Vollversammlung (ab 15.00 Uhr MESZ) in New York fortgesetzt. Sie wird circa um 16.45 Uhr MESZ erwartet. Am Mittwoch sollen neben Biden unter anderem auch der iranische Präsident Ebrahim Raisi sowie die neue britische Premierministerin Liz Truss sprechen. Zudem wird eine Videobotschaft vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erwartet.
Bei allen Reden dürfte der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine eine Hauptrolle spielen. Wegen des russischen Angriffskrieges darf Selenskyj mit Ausnahmegenehmigung per Video sprechen. Zuvor soll in der Nacht zum Mittwoch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz seine erste Rede vor der UNO-Vollversammlung halten.