Schockstarre nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim Bundesparteitag der SPÖ in der Wiener Messehalle: Mit bescheidenen 75 Prozent wurde Pamela Rendi-Wagner von den Delegierten als Parteichefin wiedergewählt. Statt die Bühne zu betreten, sich, wie es üblich ist, für das Ergebnis zu bedanken, und dann mit Blumen das Podium wieder zu verlassen, blieb Rendi-Wagner - offenkundig bitter enttäuscht - auf ihrem Platz sitzen.
Im Gespräch mit der Kleinen Zeitung äußerte sich Bautengewerkschafter Josef Muchitsch höchst verwundert über das Votum. "Man muss nicht immer einer Meinung sein. Das trägt man hinter den Kulissen aus, nicht auf dem Parteitag. Rendi-Wagner war die einzige, die bereit war, Verantwortung ganz vorne zu übernehmen. Sie hätte sich eine höhere Zustimmung verdient."
Kommentar
Von der Löwinger-Bühne zur Quatschbude
In seiner Begrüßungsrede enthüllte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, dass ihm die Delta-Variante „große Sorgen“ bereite. Ludwig hob im Zusammenhang mit der Pandemie ausdrücklich Rendi-Wagner hervor und sparte nicht mit Kritik an Bundeskanzler Sebastian Kurz. „Da stand nicht PR im Vordergrund, sondern sachpolitischer Verstand. Man kann die Bevölkerung eine Zeitlang hinters Licht führen.“ Auch in anderen Fragen nahm Ludwig die türkise ÖVP ins Visier. „Wenn man den U-Ausschuss mit der Löwinger-Bühne vergleicht, ist man nicht weit, das Parlament als Quatschbude zu diffamieren.“ Und später: „Ich bin gegen die Abschaffung des Karfreitags als Feiertag, gegen die Islam-Karte, aber auch gegen Demütigung katholischer Würdenträger.“
Parteitag als Public Viewing
In launigen Bemerkungen begann Rendi-Wagner ihre Rede. Zum Glück spiele Österreich am Abend erst um 21 Uhr. „Ich hätte sonst die historisch kürzeste Parteitagsrede halten müssen. Sonst wäre der Parteitag zum Public Viewing geworden.“
Die Parteichefin arbeitete sich in ihren 48-minütigen Ansprache über weite Strecken an der ÖVP ab: „Seitdem Kurz ÖVP-Chef ist, wechselt die Regierung im Zwei-Jahres-Rhythmus.“ In Sache Demokratie sei Österreich auf eine schiefe Ebene gekommen. Der türkise Führungszirkel habe „einen noch nie dagewesenen Tiefpunkt moralischen Anstands“ erreicht. Die SPÖ werde sich „der Zügellosigkeit, dem Hochmut mit aller Kraft entgegenstellen“. Das System Kurz habe nur den „eigenen Machterhalt als Ziel“. Und: „Mit diesem türkisen System ist kein Staat zu machen. Mit mir wird es keine Koalition mit dem System Kurz geben.“
Staatsbürgerschaft kein Thema
Rendi-Wagner hob süffisant hervor, dass gerade auch die ÖVP, die dem Slogan mehr privat, weniger Staat huldige, auf den zurückgegriffen haben. „Wo wären wir ohne den Staat in der Pandemie? Mehr privat, weniger Staat ist am Virus gescheitert.“ Die Parteichefin sprach sich für die Einführung der freiwilligen Vier-Tage-Woche sowie für einen Österreich-Scheck in Höhe von 1000 Euro aus. Auffällig war, dass Rendi-Wagner weder die Frage der Staatsbürgerschaft noch der Migration ansprach.
Die Gremien der Partei werden am Samstag verkleinert, die Vorsitzende hat künftig nur noch sechs Stellvertreter, darunter Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, der aus familiären Gründen nicht dem Parteitag beiwohnen kann, die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures und die frisch gekürte Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner.
Während interne Kritiker wie der niederösterreichische Landeschef Franz Schnabl und Ex-Bundesgeschäftsführer Max Lercher in Präsidium bzw. Vorstand integriert werden, verzichtet der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil auf eine Kandidatur am Parteitag. In einem Interview mit der Kleinen Zeitung hatte Ex-Kanzler Franz Vranitzky eine Lanze für den Burgenländer gebrochen: "Doskozil ist einer von uns."
Inhaltlich stehen zehn Leitanträge im Mittelpunkt, in denen unter anderem eine Arbeitszeit-Verkürzung, Reichen- und Erbschaftssteuern sowie die Abschaffung von Selbstbehalten im Gesundheitswesen gefordert werden. Abgehalten wird der Parteitag in Präsenz, 642 Delegierte sind eingeladen. Es gelten die 3G-Regel und Maskenpflicht.