Portugals Staatsoberhaupt Marcelo Rebelo de Sousa hat sich mit einem Kantersieg eine zweite fünfjährige Amtszeit in dem von der Corona-Pandemie besonders hart getroffenen Land gesichert. Der 72 Jahre alte konservative Politiker kam bei der Präsidentenwahl am Sonntag auf gut 61 Prozent, wie die nationale Wahlbehörde nach Auszählung von mehr als 99 Prozent der Stimmen mitteilte.
Damit holte der frühere Jus-Professor und TV-Journalist neun Prozentpunkte mehr als bei seinem ersten Sieg vor fünf Jahren. Mit der absoluten Mehrheit vermied er eine Stichrunde am 14. Februar.
Reportage aus dem Corona-Hotspot Portugal
Die Leichenhalle des Krankenhauses Barreiro Montijo in Lissabon ist voll. So voll, dass nun vor dem Krankenhaus zwei Kühlcontainer aufgestellt wurden, um die vielen Coronatoten bis zur Bestattung aufzubewahren. Immer mehr an Covid-19 erkrankte Menschen sterben in Portugal, weil es auf den Intensivstation keine freien Betten mehr gibt.
Man müsse inzwischen vielerorts die Regeln der Katastrophenmedizin – also die „Triage“ – anwenden, sagt Miguel Guimarães, Chef der Ärztekammer. Mit dramatischen Folgen: Wenn es für zwei Notfallpatienten nur ein Beatmungsgerät gibt, hat derjenige mit den besseren Überlebenschancen Vorrang.
„Die Krankenhäuser befinden sich am Limit“, räumt Gesundheitsministerin Marta Temido ein. Vor vielen Spitälern stauen sich die Rettungswägen, die wegen der Überfüllung der Krankenhäuser oftmals stundenlang warten müssen, bis sie ihre Covid-19-Patienten an die Notaufnahme übergeben können.
Feldlazarette im ganzen Land
Deswegen werden nun im ganzen Land Feldlazarette aufgebaut. Allein zwei provisorische Hospitäler wurden dieser Tage in der Hauptstadt Lissabon installiert: auf dem Unicampus und auf dem Trainingsareal des nationalen Fußballverbandes.
Im Frühjahr, während der ersten Coronawelle, war Portugal noch als Musterknabe gefeiert worden. Als Land, das dank einer disziplinierten Bevölkerung und vorausschauenden Regierung im Kampf gegen Corona offenbar alles richtig gemacht hatte.
Doch möglicherweise hat sich die Nation am Südwestzipfel Europas zu sehr auf ihren Lorbeeren ausgeruht. Und darauf vertraut, dass sie auch die neue Viruswelle nur am Rande streifen würde. Das war ein Trugschluss: Portugal wird seit einigen Tagen von einem wahren Corona-Tsunami überrollt.
Ein Tsunami, der das EU-Land am Atlantik über Nacht zum schlimmsten Hotspot Europas und sogar der Welt machte. Die Ansteckungskurve geht steil nach oben. Nach Berechnungen der amerikanischen Johns Hopkins Universität schoss die 7-Tage-Häufigkeit auf über 820 Fälle pro 100.000 Einwohner.
Täglich kommen momentan 14.000-15.000 neue Infektionsfälle hinzu. Zudem wurden zuletzt mehr als 270 Coronatote in 24 Stunden gemeldet. Höchststände und absolute Horrorzahlen für dieses vergleichsweise kleine Land, in dem 10,3 Millionen Menschen leben. Und das zu den beliebtesten Urlaubsländern Europas zählt, in dem die Briten die größte Besuchernation sind.
Die Situation sei „dramatisch“, bekennt der sozialistische Regierungschef António Costa. Auch weil die höchst ansteckende britische Virusvariante als Infektionstreiber wirke. „Vergangene Woche hatte die britische Mutation einen Anteil von acht Prozent an allen Fällen. Jetzt sind es schon 20 Prozent. Und nach den Prognosen können es bald 60 Prozent sein“, sagt Costa.
Der britische Erregertyp B 1.1.7. ist auf dem Weg zur vorherrschenden Variante in Portugal zu werden. „Dieser Virusstamm breitet sich mit schwindelerregender Geschwindigkeit aus”, warnt Maria João Brito, Chefepidemiologin des Lissaboner Krankenhauses Dona Estefânia. Ein Szenario, das inzwischen ganz Europa besorgt.
Präsidentschaftswahl zur Unzeit
Ausgerechnet inmitten dieser katastrophalen Virusexplosion fanden am Sonntag in Portugal Präsidentenwahlen statt. Die Mobilisierung von neun Millionen Stimmberechtigten sei ein Risiko, hatten Epidemiologen gewarnt. Doch eine Verschiebung der Wahl sei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich gewesen, erklärte die Regierung.
Die Regierung hatte das Land Mitte Jänner und nach langem Zögern in den Lockdown geschickt: Gastronomie, Einzelhandel und Schulen sind geschlossen. Die Menschen dürfen nur aus „zwingend notwendigen“ Gründen vor die Tür. Neben dem Aufsuchen des Supermarktes und der Arbeitsstätte galt am Sonntag auch der Besuch des Stimmlokals als wichtiger Grund, um das Haus zu verlassen.
Angesichts des neuen Corona-Dramas im Land gibt Premier Costa zu, dass es ein Fehler war, über Weihnachten und Silvester die Zügel locker zu lassen. „Mit den heutigen Daten hätten wir nicht erlaubt, was wir damals erlaubt haben.“ Familien- und Freundestreffen in Privaträumen waren über die Festtage praktisch ohne Limit möglich, Bars und Restaurants waren geöffnet.
Katastrophe auch beim Nachbarn Spanien
Beim großen iberischen Nachbarn Spanien mit 47,3 Millionen Bewohnern nahm die lockere Corona-Tour einen ähnlich verhängnisvollen Ausgang. Das Königreich folgt im globalen Corona-Ranking der Johns Hopkins Universität auf Platz vier – hinter dem Kleinstaat Andorra und Israel. Die wöchentliche Inzidenz neuer Infektionen schnellte auf über 520 Fälle pro 100.000 Einwohner.
Innerhalb von 24 Stunden registrierten die spanischen Gesundheitsbehörden zuletzt 43.000 neue Infektionen – die Zahlen verdreifachten sich seit Weihnachten. 28.000 Menschen liegen mit Covid-19-Komplikationen im Krankenhaus, davon 4000 auf den Intensivstationen, die wie in Portugal vor dem Kollaps stehen. Täglich werden derzeit annähernd 400 Coronatote gemeldet.
Auch in Spanien scheint die britische Virusvariante eine immer größere Rolle zu spielen. Ein Sprecher der Madrider Gesundheitsbehörden räumte am Wochenende ein, dass diese Mutation inzwischen für bis zu 33 Prozent aller Infektionsfälle verantwortlich sei.
Laxer Umgang
Zugleich rächt sich in der Hauptstadtregion Madrid der laxe Umgang mit der Epidemie. In Madrid, einem der schlimmsten nationalen Hotspots, gab es in den letzten Monaten keine nennenswerten Beschränkungen im öffentlichen Leben. Bars, Restaurants und Einkaufsstraßen waren voll. Und auch jetzt sind Gastronomie und Einzelhandel noch bis 21 Uhr geöffnet.
Auch Spaniens staatlicher Chefepidemiologe, Fernando Simón, räumte Versäumnisse in der Corona-Vorbeugung ein: „Vielleicht haben wir es über Weihnachten mehr krachen lassen, als es angebracht gewesen wäre.“
unserem Korrespondenten Ralph Schulze