Vor zwei Jahren bekamen Sie in einem Hotelzimmer erstmals Einblick in das „Ibiza-Video“. Erinnern Sie sich an einen bestimmten Moment, in dem Sie dachten, das wird einschlagen?
Bastian Obermayer: Ich saß mit Kopfhörern da und habe versucht, mich an den österreichischen Zungenschlag zu gewöhnen. Und dann höre ich, wie Strache der vermeintlichen Oligarchin sagt, dass er der Strabag Aufträge wegnehmen und sie ihr zuschanzen würde – sie müsse nur eine Baufirma wie die Strabag gründen. In diesem Moment war mir klar: Wenn das stimmt, ist das ein korruptes Angebot, und das ist eine große Geschichte.

Mit welchen Auswirkungen haben Sie vor der Veröffentlichung gerechnet und was kam anders?
Bastian Obermayer: Es kam fast alles anders. Wir haben uns im Vorfeld relativ wenig Gedanken über Auswirkungen gemacht. Das sieht man auch daran, dass Frederik Obermaier und ich uns das Wochenende nach Veröffentlichung freigenommen hatten. Mit Rücktritten, Demonstrationen und Neuwahlen in so kurzer Zeit haben wir nicht gerechnet.

Haben Sie dem behäbigen Österreich eine so schnelle Veränderung schlicht nicht zugetraut?
Bastian Obermayer: Das hat mehr damit zu tun, dass man, wenn man eine Geschichte so lange vor sich hat, irgendwann nicht mehr einschätzen kann, wie der Blick von außen darauf sein wird. Und auch die Brisanz des Materials zieht man dann in Zweifel. Bei manchen Geschichten ärgern wir uns, dass es nach Veröffentlichung niemanden interessiert. Und andere explodieren – wie diese.

Wenige Monate nach dieser Explosion bastelt Strache schon wieder an seinem politischen Comeback. Hat Sie das überrascht?
Bastian Obermayer: Im Nachhinein betrachtet wundert mich das schon. Ich frage mich aber, ob er damit langfristig Erfolg haben wird. Denn die Verachtung, die Herr Strache auf Ibiza für demokratische Werte gezeigt hat, wird er nicht so schnell abstreifen können.

Diese „Verachtung“ war vielen Wählern aber schon kurz nach Ihrer Enthüllung egal. Strache erhielt Tausende EU-Vorzugsstimmen, die FPÖ wäre ohne Spesen-Affäre bei der Nationalratswahl glimpflich davongekommen. Letztlich hat diese der Partei das Genick gebrochen. Ärgert Sie das?
Bastian Obermayer: Nein, ich schaue da sehr neutral drauf. Ich fand es interessant, dass es das war, was seine Anhänger wirklich gestört hat. Generell ist Österreich beim Thema Strache ähnlich polarisiert wie die USA mit Donald Trump. Es gibt Anhänger, denen es komplett egal ist, was er tut. Ich bin aber froh, dass heute ein Großteil der Leute auf die Frage, ob Strache Kanzler werden sollte, Nein antworten würde.

Apropos Kanzler: Wie nehmen Sie im Rückblick die Rolle von Sebastian Kurz wahr?
Bastian Obermayer: Es ist erstaunlich, wie unbeschadet er aus dieser Sache herausgekommen und wie leicht er von einer stramm rechten Koalition in eine mit den Grünen gewechselt ist. Ich hoffe, dass die Bevölkerung irgendwann hinter seine „Message Control“ blickt. Denn ich finde es besorgniserregend, dass man mit Null-Botschaften durch solche Krisen durchmarschieren kann.

Sorgen haben Sie sich vor Veröffentlichung über Straches Reaktion auf das Video gemacht. Hätte er behauptet, die Falle erkannt und nur gespielt zu haben, wäre die Geschichte gestorben, oder?
Bastian Obermayer: Sie wäre deutlich umständlicher geworden. Wir hätten nicht am 17. Mai damit rausgehen können, sondern hätten das Video nach Belegen durchforsten müssen, dass er nicht spielt. Aber wie wollen Sie das beweisen? Es wäre sehr schwierig gewesen. Wir sind also froh, dass seine Reaktion eine andere war.

Strache will die Herausgabe des Videos, das ihn entlasten würde. Gudenus wollte das juristisch verhindern. Wie erklären Sie sich die unterschiedlichen Reaktionen?
Bastian Obermayer: Ich glaube, dass Strache auch kein Interesse an einer Veröffentlichung hat. Er will das Video in der Hand haben, um darauf Hinweise auf die Hersteller zu finden. Auch deshalb machen wir das nicht. Wirklich nichts in diesem Video spricht für Strache. Sieben Stunden lang beginnt er immer wieder von Strabag-Vergaben und einer Übernahme der „Kronen Zeitung“ zu sprechen, er selbst bringt illegale Spendenpraktiken in Spiel – und das alles ganz ohne Not oder Anfrage. Heute behauptet er, heldenhaft alles Illegale abgewehrt zu haben. Aber das ist schlicht nicht wahr.

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Können Sie ausschließen, dass noch etwas anderes auf diesem Video Skandal-Potenzial hätte?
Bastian Obermayer: Skandale liegen immer im Auge des Betrachters. Aber: Alles, was gesellschaftlich höchst relevant war, haben wir in Bild und Ton gezeigt. Und das, obwohl Strache und Gudenus ein Recht darauf haben, nicht gegen ihren Willen gefilmt zu werden. Dieses Recht wird aber vom öffentlichen Interesse übertrumpft. Alles andere, das von Interesse ist, haben wir in Artikeln und im Buch beschrieben.

Bereits kurz nach Veröffentlichung wurde die Frage nach den Drahtziehern laut. Hat es Sie geärgert, dass diese plötzlich im Vordergrund standen?
Bastian Obermayer: Ich fand es wirklich schon absurd, dass sich viele Medien plötzlich darauf fokussiert haben anstatt auf das Unerhörte, das in diesem Video gesagt wird. Natürlich ist das Interesse an den Hintermännern auch für mich nachvollziehbar. Aber egal, wer Strache diese Falle gestellt hat: Niemand hat ihn gezwungen, korrupte Ideen zu spinnen.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass deutsche Politiker nie in eine so schlecht gestellte Falle getappt wären. Halten Sie unsere Politiker für dümmer?
Bastian Obermayer: Nein, um Gottes willen. Ich glaube einfach, dass der deutsche Politiker-Typus schon sehr professionalisiert ist. In Österreich kennen und treffen sich die Leute, alles ist hier sehr nah. Deshalb halte ich die politische Szene für lockerer als jene in Deutschland. Und deshalb vielleicht auch offener für Dinge, die bei uns als „Das macht man nicht“ gelten.

Sie sind unvorsichtiger, weil sie weniger Konsequenzen fürchten?
Bastian Obermayer: Das kann sein. Vielleicht erahnen sie eine gewisse Beißhemmung bei manchen Medienvertretern, mit denen sie eng sind, vielleicht sogar seit Jahren.

Da stellen Sie uns heimischen Medienvertretern aber ein katastrophales Zeugnis aus.
Bastian Obermayer: Ich will nicht verallgemeinern. Aber wir sehen schon, dass es zwischen manchen Vertretern und Parteien Nähe gibt. Wenn es um die Übernahme einer Zeitung geht, hätten bei unseren Politikern wohl die Alarmglocken geschrillt.

Anfang Juni beginnt der Ibiza-U-Ausschuss. Sind Parteien an Sie herangetreten für Material?
Bastian Obermayer: Nein, es ist auch nicht unsere Aufgabe, zuzuliefern. Wir nehmen unseren Quellenschutz ernst und würden das Video nicht herausgeben. Wir werden aber gespannt zuschauen.

Trauen Sie dem Ausschuss eine gründliche Aufarbeitung zu?
Bastian Obermayer: Die Frage ist, ob eine lückenlose Aufarbeitung überhaupt möglich ist. Aber ich hoffe auf eine ernsthafte Aufklärung.

Investigativer Journalismus, der solche Enthüllungen erst möglich macht, braucht Ressourcen. Wird das in Zeiten reduzierter Redaktionen schwieriger?
Bastian Obermayer: Ja, das sehen wir schon jetzt. Corona hat die Anzeigeneinnahmen einbrechen lassen, was sich auf Recherche auswirken wird. Das macht mir Sorgen.

Haben Sie den Glauben an Österreichs Politik verloren?
Bastian Obermayer: Nein, ein mutmaßlich korrupter Politiker reicht da nicht. Österreich ist für mich ein politisch unterhaltsames Land, auf das man auch etwas neidisch schaut. Denn die meisten unserer Politiker sind langweiliger – was auch sein Gutes hat.