Mehrere britische Medien sorgen sich am Tag nach der Wahl in Großbritannien um die "Trumpifizierung" der Politik und fragen sich, ob Boris Johnson seine Versprechungen nun in die Tat umsetzen wird. Die konservative "Times" schreibt, die "Rote Mauer" der Labour-Partei sei nicht nur eingerissen, sondern abgerissen worden, das Land stehe vor einer "neuen politischen Ära". Anbei die Pressestimmen:
Der "Guardian" in London schreibt: Die Wahrheit ist ein fremdes Land geworden. Und es sind die Tories, die die schlimmsten Übeltäter waren und jeden Trick aus dem Steve-Bannon-/Donald-Trump-Spielbuch übernommen haben. Warum eine kleine Lüge erzählen, wenn du mit einer großen noch besser dran bist? Und wenn du beim Lügen erwischt wirst, entschuldige dich nie. Setz einfach noch einen drauf. Erzähl eine Lüge oft genug, dann werden einige Leute es glauben. Und eine beachtliche Zahl war dumm genug gewesen, auf (Johnsons Slogan) "Get Brexit done" hereinzufallen. Die ungeheuerlichste Lüge überhaupt.
Die "Times" kontert: Boris Johnson ist ein außergewöhnliches politisches Manöver gelungen. Er übernahm die Führung der Konservativen in einem Moment, in dem seine Partei zwischen der Brexit-Partei und den Liberaldemokraten kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen schien. Jetzt hat er einen großen Sieg errungen. Er und Dominic Cummings haben ihr Timing und ihre Botschaft richtig hinbekommen. Sie waren auch skrupellos darin, ihre Koalition zusammenzuschweißen. (...)
Sie verließen sich auch auf ihr Glück, der größte Teil davon war Jeremy Corbyn. Er sorgte dafür, dass die gemäßigteren Konservativen die Tories wählten, obwohl sie Zweifel an Boris Johnson hatten. Er vereinte weder die liberale Linke noch die Mitte hinter einer Leitlinie zum Aufhalten des Brexits oder die traditionelle Labour-Wählerschaft hinter einem populistischen Manifest. Er war nicht in der Lage, sich der Rücksichtslosigkeit von Johnson und Cummings zu widersetzen.
Der "Corriere della Sera" in Rom schreibt: Europa verliert London, dieses Mal wirklich. Die älteste Demokratie der Welt war in der Nacht zum 23. Juni 2016 in ein Labyrinth eingetreten. Dreieinhalb Jahre der Verhandlungen und Überlegungen; eine vorgezogene Wahl, die nichts gelöst hatte; der Sturz Theresa Mays; das Eintreten Boris Johnsons. Die wahre Nacht des Brexits ist diese hier. Wenn die Prognosen sich bestätigen, könnte der Premier jetzt einen größeren Handlungsspielraum haben: auch, um einen weichen Austritt zu verhandeln, der die Rechte der ausländischen Arbeitnehmer und die Freiheit des Handelsaustauschs garantiert. Boris Johnson hatte für diese historischen Wahlen auf den Brexit gesetzt. Er hat gewonnen.
"Aftonbladet" in Stockholm erklärt: "Die Briten wollten, dass Schluss mit dem Zirkus ist. Spekulanten und Investoren weltweit wollten kein weiteres Zaudern mehr. Und die Staats- und Regierungschefs der EU, die jetzt gerade in Brüssel zum Gipfel versammelt sind, wollten endlich dem Chaos entkommen, das Großbritannien in der Union verursacht hat. Der Erdrutschsieg des EU-Gegners Boris Johnson wird mit einer Art Erleichterung begrüßt. Dabei wird der Brexit die EU ärmer und schwächer machen. Trotzdem ist es eine Erleichterung, und zwar, weil die Alternativen tatsächlich schlimmer gewesen wären. Die EU, und Großbritannien, entgehen einem Crash. Mit der Mehrheit im Rücken kann Johnson endlich eine Mehrheit hinter dem Austrittsabkommen versammeln. So wie sich die Dinge entwickelt haben, war das vielleicht das Beste, auf das wir hoffen konnten. Wir können jedenfalls froh sein, dass der Zirkus vorbei sein wird - selbst wenn der Clown weiter auf der Bühne bleibt."