Herr Kurz, Sie könnten nun auf Ihr Mandat im Parlament zurückkehren, wieso tun Sie das nicht?
SEBASTIAN KURZ: Meine Aufgabe in den nächsten Tagen und Wochen sehe ich darin, den Bundespräsidenten aber auch die Übergangsregierung bestmöglich zu unterstützen und eine geordnete Übergabe an diese Übergangsregierung sicherzustellen.
Das kann man vom Parlament aus ja auch tun.
KURZ: Darüber hinaus habe ich für mich persönlich die Entscheidung getroffen, nachzuholen, was in den letzten Jahren nur sehr eingeschränkt möglich war. Der Kontakt mit den Menschen ist oft nur zwischen Tür und Angel möglich gewesen. Gespräche mit der Bevölkerung waren oft auf wenige Sätze beschränkt, weil man einfach in seiner Funktion von einem Termin zum anderen hastet, oft auch international. Wir haben einen hervorragenden Klubobmann, der den Klub bis zu den Wahlen weiterführen wird. Ich werde die Übergangsregierung unterstützen und mir darüber hinaus die Zeit nehmen, unterwegs zu sein, um Anregungen, Ideen, vielleicht auch kritische Rückmeldungen mitzunehmen.
Es passt auch zum neuen ÖVP-Spin, der da lautet: „Das Parlament hat bestimmt, das Volk wird entscheiden“, den es seit gestern in den social media gibt. Ist es nicht eine Gratwanderung, das Parlament dem Volk gegenüberzustellen?
KURZ: Das sehe ich überhaupt nicht. Denn ein Problem wäre es, eine Entscheidung des Parlaments nicht zu respektieren. Das findet ja nicht statt, ganz im Gegenteil.
Man hätte ja schreiben können, die Wähler werden entscheiden. Das Volk erinnert ein bisschen an Pegida.
KURZ: Nicht alles was hinkt ist ein Vergleich. „Volk“ steht auch in Artikel 1 der Bundesverfassung. Die Österreicherinnen und Österreicher kennen mich jetzt in unterschiedlichen Funktionen seit vielen Jahren. Sie kennen mein Demokratieverständnis, sie wissen, dass ich bereit bin, für meine Überzeugungen zu kämpfen. Aber ich bin ein hundertprozent überzeugter Demokrat und nehme die Entscheidung des Parlaments hin. Aber es wird doch in einer Demokratie erlaubt sein, dafür zu werben, dass die Zusammensetzung im Parlament in Zukunft eine andere ist und dort hoffentlich rot und blau keine Mehrheit haben.
Für diesen Kampf haben Sie jetzt eigentlich die beste Ausgangslage. Sie sind freigespielt für den Wahlkampf, und Sie sind "Märtyrer".
KURZ: Es geht nicht darum, was ist am besten für mich, sondern darum, was für das Land gut ist. Wenn Sie sich zurückerinnern an die letzte Woche, werden Sie feststellen, dass ich gemeinsam mit dem Bundespräsidenten alles versucht habe, um für Stabilität zu sorgen. Ich glaube, dass es für das Land gut gewesen wäre, wenn die Regierung mit zusätzlich angelobten Experten in aller Ruhe die Amtsgeschäfte bis zur Wahl fortgeführt hätte; wenn die Regierung sich bemüht hätte, unser Ansehen im Ausland wieder herzustellen und auch die volle Aufklärung aller im Raum stehenden Vorwürfe sichergestellt hätte. Das war der Weg, den ich für richtig erachtet habe, das war auch der Weg, den der Bundespräsident für richtig erachtet hat.
Erwartet uns ein brutaler Wahlkampf?
KURZ: Ich werde keinen Wahlkampf gegen andere Parteien und schon gar nicht gegen das Parlament führen, sondern ich werde dafür werben, dass wir als Volkspartei unseren Kurs der Veränderung fortsetzen dürfen. Dass wir das, was wir begonnen haben, das Ende der Schuldenpolitik, Steuerentlastung für arbeitende Menschen, den Kampf gegen illegale Migration, Reformen in unserem Land, die Stärkung des Wirtschaftsstandorts, dass wir all das fortsetzen können. Dafür werde ich werben. Ich werde weder andere anpatzen noch schlechtmachen. Ich werde meinem Stil treu bleiben und am Ende des Tages werden die Wählerinnen und Wähler im September entscheiden. Das ist so in einer Demokratie und das ist auch gut so.
Gestern hatte man den Eindruck bekommen, die Brücken zwischen SPÖ und Ihnen, zwischen FPÖ und Ihnen sind verbrannt. Mit wem wollen Sie regieren?
KURZ: Natürlich werden Sie verstehen, dass wir nach dem gestrigen Tag dafür werben werden, dass wir gestärkt werden und nicht rot-blau eine Mehrheit im Parlament hat. Wir werden inhaltlich dafür werben, dass der Kurs, den diese Bundesregierung politisch eingeschlagen hat, fortgesetzt werden kann. Die Einzelfälle und Zwischenfälle und Skandale, die waren immer wieder auch für mich belastend, aber inhaltlich war die Regierungsarbeit einfach objektiv gut für das Land. Wir sind wettbewerbsfähiger geworden, die Arbeitslosigkeit ist gesunken, große Investitionen, die in Deutschland hätten stattfinden können, sind auf einmal in Österreich getätigt worden, es ist uns gelungen, die Steuerlast für arbeitende Menschen zu senken und viele Reformen, die jahrzehntelang undenkbar waren, sind auf einmal angegangen worden.
Wieso haben Sie sie dann abgebrochen nachdem das anders vereinbart war?
KURZ: Die FPÖ hat diese Regierungsarbeit zerstört.
Weil Sie ohne Herbert Kickl weiterarbeiten wollten. Warum?
KURZ: Die Enthüllungen des Videos waren für viele zurecht schockierend. Leider bewies der Umgang der Freiheitlichen mit diesen Enthüllungen zu wenig Bewusstsein, was die Dimension betrifft. Sie zeigten keine Bereitschaft, eine unabhängige Aufklärung sicherzustellen. Und Herbert Kickl hatte wenig Sensibilität im Umgang mit dem Thema. Sein Fokus war rein auf diejenigen gerichtet, die dieses Video in Auftrag gegeben haben und die natürlich auch verfolgt werden müssen und nicht die sehr verstörenden Inhalte.
Wann ist Kickl ins Spiel gekommen? Anfangs ging es, wie auch Karl Nehammer im Parlament gesagt hat, nur um die Rücktritte der beiden Protagonisten.
KURZ: Als das Video veröffentlicht wurde, habe ich natürlich nachgedacht, welche Schritte zu setzen sind. Für mich war klar, dass Vizekanzler Strache und Klubobmann Gudenus zurücktreten müssen. Aber für mich war genauso klar, dass man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann und dass eine transparente, lückenlose Aufklärung aller Vorwürfe, die im Raum stehen, gewährleistet sein muss. In den Gesprächen hatte ich nicht den Eindruck, dass das Herbert Kickls oberstes Ziel ist. Sein Fokus war rein auf diejenigen gerichtet, die dieses Video in Auftrag gegeben haben und die natürlich auch verfolgt werden müssen. Ich bedaure das sehr, denn die inhaltliche Zusammenarbeit war eine ausgezeichnete. Ich habe erlebt, dass es bei manchen in der freiheitlichen Partei durchaus dieses Bewusstsein gab, bei anderen leider Gottes nicht.
Kickl hat im Parlament gesagt, es werden noch ganz andere Dinge ans Licht kommen. Könnte er damit auch die ÖVP meinen?
KURZ: Die letzten Tage haben wir alle erlebt, dass hier die absurdesten Verschwörungstheorien versucht werden unter die Bevölkerung zu bringen. Wir alle haben gesehen, dass es eine Achse zwischen Peter Pilz und der FPÖ gibt in manchen Fragen. Ich rechne damit, dass weiterhin unglaubliche Verschwörungstheorien verbreitet werden, aber ich glaube, am Ende wird die Wahrheit eine sehr einfache sein.
Was vermuten Sie?
KURZ: Es gibt jetzt schon sehr klare Indizien, von wem dieses Video erstellt wurde. Es gibt auch erste Indizien, wer die Geldgeber und Auftragsgeber gewesen sein könnten. Nach meinen eigenen Erfahrungen mit Tal Silberstein, der von der SPÖ beauftragt wurde im Nationalratswahlkampf antisemitische Homepages zu erstellen, die dann mir in die Schuhe geschoben wurden um uns bei Medien und Bevölkerung in ein schlechtes Licht zu rücken, weiß ich nicht nur, dass es solche Methoden gibt, sondern dass am Ende jeder Spuren hinterlässt und alles irgendwann immer ans Tageslicht kommt.
Sie glauben nach wie vor, dass Tal Silberstein dahintersteckt?
KURZ: Ich bin hier sehr vorsichtig mit meinen Aussagen, aber wenn ich mir ansehe, wer die handelnden Personen sind, die dieses Video beauftragt oder zumindest weiterverkauft haben, mit wem die Hersteller des Videos sonst zusammenarbeiten, ergibt sich für mich doch ein gewisses Bild, das mich persönlich auch nicht überraschen würde. Am Ende des Tages kommt immer alles ans Licht.
Am Ende des Tages kommt es aus dem Wald auch zurück, wie man hineingerufen hat. Haben sie gestern geerntet, was Sie zwei Jahre lang im Umgang mit der SPÖ gesät haben? War es vielleicht ein Fehler, der Umgang mit der Sozialdemokratie?
KURZ: Da muss ich Ihnen in der Sache widersprechen. Wenn es einem nur darum geht, etwas zu sein oder eine Funktion zu haben, ist es wichtig, sich mit jedem gutzustellen, niemandem etwas wegzunehmen, keine Entscheidungen zu treffen, die polarisieren. Ich habe mit vielen in der Sozialdemokratie immer eine gute Gesprächsbasis gehabt und hab sie auch heute noch. Aber natürlich, wenn man in der Politik ist, um etwas zu verändern, wenn man Entscheidungen trifft, gegen die es viel Gegenwind gibt, dann führt das auch dazu, dass man sich Feinde macht. Aber ich bin in der Politik, um etwas zu verändern und nicht um es jedem recht zu machen. Das werde ich auch weiterhin so handhaben.
Sie sehen keine Fehler im Rückblick?
KURZ: Jeder, auch ich, macht jeden Tag Fehler. Aber wenn sie mich fragen, was der Grund für die Abwahl ist, dann kann ich Ihnen ganz klar sagen, dann war es vielleicht deshalb, weil wir die Wahl gewonnen haben und die sozialdemokratische Erbpacht auf das Bundeskanzleramt beendet haben. Dann war es vielleicht auch unsere sehr klare, inhaltliche Arbeit, die bei weiten Teilen der Sozialdemokratie schlecht angekommen ist. Dann war es vielleicht unser Weg, Entscheidungen zu treffen, auch wenn es Widerstand gibt. Aber nicht die Frage, ob ich Hans Peter Doskozil oder Michael Ludwig alle acht Wochen oder alle zehn Wochen zu einem Kaffee treffe.
Bei der Abwahlparty konnte man den Eindruck gewinnen, dass des der ÖVP nicht unrecht war, dass es so gekommen ist.
KURZ: Das stimmt so nicht. Wir haben alles versucht, gemeinsam mit dem Bundespräsidenten, damit diese Regierung bis zum Wahltag im September ruhig weiterarbeiten kann. Aber wenn sich manche erwartet haben, dass ich nach der Entscheidung des Parlaments den Kopf hängen lasse oder unglücklich darüber bin, dass ich nicht mehr Bundeskanzler bin, dann muss ich sagen: diese Emotion empfinde ich nicht. Wir sind bereit, die Bevölkerung um ihre Unterstützung zu bitten, damit wir gemeinsam unseren Weg der Veränderung weitergehen können.
Wann soll gewählt werden?
KURZ: Im September, so früh als möglich.
Die FPÖ ohne Herbert Kickl wäre wieder ein Partner?
KURZ: Derzeit gibt es keine Notwendigkeit für zukünftige Spekulationen. Im Parlament sah man gestern übrigens nur Kickl als Partner von Rendi-Wagner.
Das Gespräch fand gemeinsam mit der "Presse" statt
Thomas Götz