Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) arbeitete auch am Freitag daran, den drohenden Misstrauensantrag gegen ihn abzuwenden. In der Früh empfing der ÖVP-Chef die Landeshauptleute im Kanzleramt, um über die Situation nach der Umgestaltung der Regierung infolge des Ibiza-Skandals zu beraten. Die SPÖ-Landeshauptleute erteilte ihm wenig später eine öffentliche Abfuhr, der Kanzler stellt sich auf seinen möglichen Abgang ein.
Kurz schließt im Interview mit der Kleinen Zeitung nicht mehr aus, dass er am Montag gestürzt wird: "Wenn SPÖ und FPÖ gemeinsam diesem Misstrauensantrag zustimmen und mich abwählen, dann ist das zur Kenntnis zu nehmen. Aber am Ende entscheidet in Österreich das Volk, und zwar im September."
Der frühere FPÖ-Justizminister Dieter Böhmdorfer sagt im Interview mit der Kleinen Zeitung: Die FPÖ werde nöch sehr lange an der Affäre leiden. "Ich habe mich getäuscht", so Böhmdorfer. Nun drohe dem Land der Rückfall in die Hegemonie von SPÖ und ÖVP.
Die SPÖ legte sich intern offenbar fest: Die SPÖ müsse schon allein aus innerparteilichen Gründen den Misstrauensantrag gegen Kurz unterstützen, sagt der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil im Gespräch mit Kleine-Chefredakteur Hubert Patterer.
Die Bevölkerung werde das bis zu einem gewissen Grad anders sehen. "Das ist für mich schon auch ein Widerspruch: Dass man einerseits stabile Verhältnisse will und dann beim Misstrauensantrag mitgeht. Es ist ein Widerspruch, den man erklären muss. Aber es gibt für die SPÖ mit einem starken Blick ins Innenleben keine andere Möglichkeit."
Zuvor hatte der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser noch gemeint, es müsse "noch einiges, sehr überraschendes passieren, damit Kurz das Vertrauen der SPÖ gewinne.
Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geht indes in die Offensive und kündigt Klagen an.
Unterdessen hat der Kanzler seinen für Freitag bei der EVP-Schlusskundgebung in München geplanten Auftritt abgesagt. Neben EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber sprachen auch die Vorsitzenden von CDU und CSU, Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder, sowie konservative Spitzenpolitiker aus mehreren europäischen Staaten in München. Zudem kamen die Ministerpräsidenten von Lettland, Bulgarien und Kroatien, Krisjanis Karins, Boiko Borissow und Andrej Plenkovic, nach München.
Kommentar
Bei einem Gespräch mit Vertretern der Parlamentsparteien am Donnerstag hatte Kurz diesen mehrere Angebote unterbreitet, diese wurden allerdings äußerst reserviert aufgenommen, das Misstrauensvotum war danach nicht vom Tisch. Insbesondere die SPÖ zögert, dem Kanzler Vertrauen entgegenzubringen.
Heinz-Christian Strache ging unterdessen via Facebook in die Offensive: Er habe Anzeige gegen drei "zumindest als Mittäter identifizierte Personen" eingereicht. Die Mitwirkung weiterer Personen am Entstehen des Videos sei "zumindest wahrscheinlich". Die Betroffenen bestreiten die Vorwürfe.
Strache leugnete weder die "Gedankenspiele" noch die tatsächlichen Aussagen, die er im Video getätigt hat. Aber: "Es blieb nicht mehr als ein Hirngespinst. Die Gedanken sind frei." Jeder Politiker spiele mit Gedanken, in denen er darüber nachdenke, wie er sich durchsetzen oder "Verbündete in der Wirtschaft" gewinnen könne.
Philippa Strache dementiert indes, aus dem gemeinsamen Haushalt ausgezogen zu sein:
Orban auf Distanz zu Strache
Ungarns rechtsnationalistischer Ministerpräsident Viktor Orban geht in der Videoaffäre um die FPÖ auf Distanz zum zurückgetretenem Parteichef Heinz-Christian Strache. "Das, was Strache gesagt hat, ist inakzeptabel", sagte Orban der "Bild"-Zeitung (Freitag).
"Das Wichtigste für einen Politiker ist das Vertrauen der Menschen. Strache war ein Kämpfer in eigener Sache, aber er hat das Vertrauen der Menschen verloren."
Kurz unterbreitete unterbreitet der Opposition ein Lockangebot. In der Zeit bis zu den Neuwahlen soll es keine wesentlichen neuen Regelungen geben. Und die letzten Entscheidungen von Ex-Innenminister Herbert Kickl werden revidiert: Sein Nachfolger Ratz zieht sowohl die 1,50-Euro-Verordnung als auch die umstrittene Bestellung von Peter Goldgruber zum Leiter der Generaldirektion zurück.
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Claudia Gigler