Es gab Phasen, da sind Angela Merkel und Wladimir Putin nicht wirklich warm miteinander geworden. Man hatte den Eindruck, eine herzliche Abneigung präge diese besondere Beziehung der beiden langjährigen Staatenlenker. In den vergangenen Wochen ist von eisigem Schweigen keine Rede mehr.
Wenn der russische Präsident zuletzt nach Deutschland kam, dann nur, wenn ein Gipfel anstand, wie etwa der G20-Gipfel in Hamburg im Vorjahr. Bilaterale Treffen mieden die deutsche Kanzlerin und der Kreml-Chef. Sein letzter echter Besuch in Berlin allein bei Merkel datiert aus einer Zeit vor der Krim-Annexion im Jahr 2014.
Zwei sprechen die gleichen Sprachen
Nun treffen sich beide bereits zum zweiten Mal binnen drei Monaten unter vier Augen nach dem Treffen im Mai in Sotschi. Putin folgt der Einladung von Merkel und besucht sie auf Schloss Meseberg, dem Gästehaus der deutschen Bundesregierung.
Auch wenn beide die Sprache des jeweils anderen mehr oder weniger perfekt beherrschen, Putin zu DDR-Zeiten für den sowjetischen Geheimdienst KGB in Dresden stationiert war und Merkel nach ihrem Studium in der DDR einige ausführliche Individualreisen in das Land des großen Bruderstaates absolvierte, verbindet sie kein herzliches Verhältnis. In einem Interview verriet Putin einmal: Merkel und er ließen sich von Interessen leiten und nicht von Sympathie oder Antipathie.
Es beschreibt wohl am besten seine Anerkennung für ihre Analysefähigkeit und ihr Verhandlungsgeschick. Ihr begegnet er auf Augenhöhe. Dieses Privileg genießen nicht allzu viele andere Spitzenpolitiker.
Putin braucht Merkels Beziehungen
Wenn Putin nun wieder nach Berlin reist, dürfte ihn auch die schlichte Notwendigkeit treiben. Merkel ist derzeit eine der wenigen Regierungschefs weltweit, die einen sachlichen Draht in alle wichtigen Hauptstädte der Welt hat. Sie telefoniert mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoan ebenso wie mit dem US-Präsidenten Donald Trump. Diese Eigenschaft will Putin nutzen, um im Syrien-Krieg und Ukraine-Konflikt wieder voranzukommen. Deutschland wie auch Frankreich haben sich in beiden Themenfeldern zum Motor für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen erfolgreich eingesetzt.
Doch Putin drückt noch bei einem anderen Thema: In Meseberg steht die geplante Pipeline Nord Stream 2, die russisches Erdgas nach Deutschland bringen soll, ganz oben auf der Agenda. Die schwächelnde russische Wirtschaft könnte das Geld derzeit gut gebrauchen und zudem könnte Washington neue Sanktionen gegen Moskau beschließen, die dann auch das Pipeline-Projekt betreffen könnten. In Merkel sucht er eine mögliche Verbündete, die die verschärften Strafmaßnahmen von Präsident Trump nicht mittragen will.
Gegenleistung: Blauhelme in der Ukraine?
Eine Gegenleistung dafür könnte sein, dass der Kreml-Chef UN-Blauhelme in der Ostukraine akzeptiert. Auch in der Syrien-Politik Moskaus könnte es ein Entgegenkommen geben, schätzen Experten. Eine Gemeinsamkeit, die die Kanzlerin und der Präsident besprechen dürften, ist die Haltung zum iranischen Atomabkommen. Hier sehen beide den gemeinsamen Gegner im Weißen Haus.
Möglicherweise kommt Putin schon bald wieder nach Deutschland.
In Berlin heißt es, Putin könnte im Oktober zur Hochzeit von Ex-Kanzler Gerhard Schröder reisen – den er im Gegensatz zu Merkel als Freund bezeichnet, auch wenn er mit Merkel ebenfalls per Du ist und ihr Räucherlachs schickt – im Gegenzug schickt sie einige Flaschen des Bieres Radeberger. Obwohl Putin Alkohol weitgehend meidet, soll er eine Schwäche für das weltälteste Pilsner aus Dresden haben.
Ingo Hasewend