Bundeskanzler Sebastian Kurz hat in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz sein Unverständnis über die unterschiedliche Impfstoffverteilung innerhalb der EU zum Ausdruck gebracht. Bekanntlich werden die Impfstoffe nach dem Bevölkerungsschlüssel zwischen den 27 EU-Staaten verteilt, so gesehen sollte es innerhalb der EU keine Vorreiter und Nachzügler geben. Jüngsten Statistiken zufolge haben in Malta aber bereits 15 Prozent der Bevölkerung die erste Impfung erhalten, in Ungarn sind es 11 Prozent, in Dänemark neun Prozent. Österreich liegt bei sechs Prozent, Lettland und Bulgarien bei 3 Prozent.
Ursprünglich habe man gedacht, es hänge an der unterschiedlichen Impfgeschwindigkeit, doch das sei nicht der Grund, so der Kanzler. „Die Lieferungen erfolgen nicht nach Bevölkerungsschlüssel.“ Malta soll bis Ende Juni verhältnismäßig dreimal so viele Impfdosen bekommen wie andere EU-Länder. Österreich liege im Mittelfeld.
Als Ursache sieht der Kanzler Nebenverhandlungen im sogenannten Steering Board der EU. Dort habe eine Art Basar geherrscht, wo zusätzliche Abmachungen zwischen Mitgliedsstaaten und Pharmaunternehmen getroffen worden sein sollen. Das widerspreche der Vereinbarung der Regierungschefs. „Viele der Regierungschefs, die ich in den letzten Tagen kontaktiert habe, waren selbst sehr überrascht, dass es nicht nach Bevölkerungsschlüssel geht.“ Ausdrücklich betonte der Kanzler, dass er "der EU keinen Vorwurf" machen wolle und bedankte sich bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel. An welche Stelle sich die Kritik konkret richtete, blieb zunächst offen.
EU-Kommission: Es liegt an Entscheidungen der Länder
Dass es zu einer ungleichen Verteilung von Impfdosen kommen kann, bestätigte mittlerweile ein Sprecher der EU-Kommission - das liege aber am vereinbarten Grundkonzept. Die EU-Staaten könnten sich im sogenannten Steering Board, in dem mit Clemens Martin Auer auch Österreich offiziell vertreten ist, für mehr oder weniger Impfstoffe entscheiden. "In diesem Kontext ist ein neuer Verteilungsschlüssel möglich", sagte ein EU-Kommissionssprecher in Brüssel am Freitag - Impfkontingente, die von einem Land nicht gebraucht werden, können von einem anderen erworben werden.
So könnten die Mitgliedstaaten entscheiden, ob sie von Lieferungen ein "Opt-out" in Anspruch nehmen. Die frei werdenden Kontingente werden an jene verteilt, die danach fragen. Entscheidungen in dem Board würden zwischen den EU-Staaten und der EU-Kommission gemeinsam vereinbart. Ein Abweichen von der Balance kann demnach auch dadurch entstehen, dass Länder bestimmte Hersteller bevorzugen - etwa wegen der Kosten oder der Lagerung. Hat also ein Land eher auf AstraZeneca als auf Biontech/Pfizer gesetzt, machen sich zum Beispiel Lieferschwierigkeiten des Herstellers signifikant bemerkbar, während Länder mit hohem Biontech-Anteil wie geplant impfen können. Österreich hat offensichtlich selbst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.
Ein hoher EU-Diplomat sagte, Kurz habe im Ansatz recht und es sei durchaus wünschenswert, dass alle Länder parallel vorwärtskommen; Ursache für das Problem seien aber eben die Länder selbst - an ihnen liege es, die Sache wieder ins Lot zu bringen.
Am Abend ist auch Deutschland der Kritik von Bundeskanzler Sebastian Kurz an der unterschiedlichen Impfstoff-Verteilung in der EU entgegengetreten. Der Grund sei, dass Mitgliedsstaaten die ihnen zustehenden Mengen nicht vollumfänglich abnehmen, sagte ein Regierungssprecher am Freitag in Berlin - ähnlich hatte sich auch die EU-Kommission geäußert. In diesem Fall könnten andere Staaten diese Dosen aufkaufen.
Kritik von der Opposition
Bei den Oppositionsparteien sorgten die Vorwürfe von Kurz für heftige Kritik. Der Kanzler versuche "auf unwürdige Art und Weise, Sündenböcke für sein Versagen zu finden", meinte SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher. NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger kritisierte, dass Österreich "womöglich" selbst Impfstoff ausgeschlagen habe.
Der FPÖ-EU-Parlamentarier Harald Vilimsky fragte auf Twitter: "Wann schmeißen Kurz/Anschober nach der 'Impfstoff Benachteiligung Österreichs' Ihren in der EU dafür zuständigen stellvertretenden Vorsitzenden des 'Gemeinsamen EU Impfstoffausschusses' hinaus?".