Mit seiner Klagewelle gegen angeblichen Wahlbetrug ist der abgewählte US-Präsident Donald Trump wenig erfolgreich. Nun versucht er offenbar, sich mit Druck auf einzelne Bundesstaaten an der Macht zu halten und einen Amtsantritt von Wahlsieger Joe Biden zu behindern. Dabei geht es um die Bestimmung der Wahlleute, die letztlich den Präsidenten wählen. Es droht eine beispiellose Verfassungskrise. Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Welche Schritte unternimmt Trump derzeit?
Trump hat nach der Präsidentschaftswahl vom 3. November eine Reihe von Klagen gegen den Wahlausgang eingereicht, die aber nach Auffassung von Experten zum Scheitern verurteilt sind. Nun üben Trump und sein Umfeld Druck auf wahlentscheidende Schlüsselstaaten aus.
Trump telefonierte diese Woche mit einer republikanischen Wahlverantwortlichen im von Biden gewonnenen Bundesstaat Michigan, die sich zwischenzeitlich geweigert hatte, Wahlergebnisse zu zertifizieren. Außerdem lud er für Freitag die republikanischen Anführer von Michigans Landesparlament ins Weiße Haus ein.
Der mit Trump verbündete Senator Lindsey Graham wiederum telefonierte mit Wahlverantwortlichen in den von Biden gewonnenen Bundesstaaten Georgia, Arizona und Nevada, um über angeblichen Wahlbetrug zu sprechen. Georgias wohlgemerkt republikanischer Wahlleiter Brad Raffensperger sagte daraufhin, der Senator habe ihm nahegelegt, gültige Stimmzettel auszusortieren. Graham weist diese Darstellung zurück.
Was führt Trump im Schilde?
Offenbar versucht Trump mit dem Argument des angeblichen Wahlbetrugs eine Zertifizierung der Wahlergebnisse in mehreren Bundesstaaten zu verhindern. Das könnte nämlich im Extremfall dazu führen, dass die Landesparlamente eigene Wahlleute bestimmen - jene Wahlleute also, die letztlich als sogenanntes Electoral College am 14. Dezember den künftigen Präsidenten wählen sollen.
Warum sind die Landesparlamente so wichtig?
Laut einem Bundesgesetz können Landesparlamente die Wahlleute festlegen, wenn die Wähler "gescheitert" sind, einen Sieger zu bestimmen. Konkret bedeutet das: Ein von Trumps Republikanern kontrolliertes Landesparlament - etwa das von Michigan oder dem Schlüsselstaat Pennsylvania - könnte sich über den Wählerwillen hinwegsetzen und republikanische Wahlleute ernennen, die für Trump stimmen.
Haben Trumps Versuche Aussichten auf Erfolg?
Das gilt derzeit als äußerst unwahrscheinlich. Sollten einzelne Landesparlamente tatsächlich am Wählerwillen vorbei eigene Wahlleute bestimmen, würde das nicht nur einen Aufschrei der Empörung provozieren. Es würde auch mit Sicherheit vor Gerichten angefochten. Außerdem könnten die Gouverneure der Bundesstaaten, in Michigan und Pennsylvania beispielsweise zwei Demokraten, ihre Landesparlamente ignorieren und die Stimmen der demokratischen Wahlleute an den US-Kongress schicken, wo die Stimmen am 6. Jänner offiziell ausgezählt werden.
Im schlimmsten Fall lägen dem Kongress dann rivalisierende Wahlleute-Gruppen - republikanische und demokratische - aus einem Bundesstaat oder mehreren Bundesstaaten vor. Das könnte die USA in eine schwere Verfassungskrise stürzen, weil es keinen klaren Mechanismus zur Beilegung eines solchen Konflikts gibt. Der US-Rechtsprofessor Lawrence Douglas hatte schon vor der Wahl vor einem möglichen "totalen System-Zusammenbruch" gewarnt.
Allerdings spricht noch ein weiterer Faktor dagegen, dass sich dieses Schreckensszenario bewahrheitet: Biden hat einen deutlichen Vorsprung im Electoral College. Er gewann 306 der landesweit 538 Wahlleute, also 36 mehr als die notwendige Zahl von mindestens 270 Wahlleuten.
Um diesen Vorsprung wettzumachen, müsste Trump die Parlamente in mindestens drei umkämpften Bundesstaaten überzeugen, ihn zu unterstützen. Bisher haben republikanische Landespolitiker wenig Unterstützung für Trumps Kurs signalisiert - was sich natürlich jederzeit ändern könnte.
Ein beispielloses Vorgehen?
Dass ein amtierender Präsident mit solchen Mitteln versucht, sich an der Macht zu halten, ist beispiellos in der US-Geschichte. Einen großen Konflikt um Wahlleute hat es aber schon einmal gegeben - vor fast 150 Jahren. Bei der Chaos-Wahl des Jahres 1876 wurden aus drei Bundesstaaten rivalisierende Wahlleute-Stimmen an den Kongress geschickt.
Der Konflikt wurde letztlich über einen Kompromiss zwischen Republikanern und Demokraten beigelegt, der als schwarze Stunde der US-Geschichte gilt. Er ebnete ein Jahrzehnt nach dem Ende der Sklaverei eine neue Unterdrückung von Afroamerikanern in den Südstaaten im Zuge der Rassentrennung.
Fabian Erik Schlüter/AFP