Bundeskanzler Karl Nehammer will sich der Diskussion stellen. Und zwar jener Diskussion, die er vor wenigen Monaten in einer Vinothek in Hallein geführt hatte, die inzwischen per Video ihre Runden gezogen und für Aufregung und sogar Empörung gesorgt hat. Zumindest außerhalb der ÖVP. Parteichef Nehammer hat für Freitagvormittag Vertreter von Sozialorganisationen, Kammern und Kirche ins Wiener Schutzhaus Schmelz geladen, um sich zu erklären.

Dabei möchte sich Nehammer in erster Linie gegen den Vorwurf unsozialer Politik wehren, was bereits seine ÖVP-Regierungskollegen in den Tagen nach Auftauchen des Videos versuchten. Wirtschaftsminister Martin Kocher sprach sogar von der "sozialsten Regierung aller Zeiten", da die Sozialquote (Sozialausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt) so hoch wie nie sei. In der Tat hatte diese 2020 erstmals die 30-Prozent-Marke übersprungen, allerdings bedingt durch die Covid-19-Hilfen. Sie blieb aber auch danach über 30 Prozent vom BIP, ist aber rückläufig.

Flache Kurve bei Transfers

Aus dem Vorjahr stammt eine Studie, die vom Bundeskanzleramt in Auftrag gegeben worden war, in der direkte und indirekte Transferzahlungen an Haushalte mit Kindern untersucht werden. Durchgeführt wurde die Analyse vom Forschungsinstitut Life von Joanneum Research in Graz unter der Leitung von Franz Prettenthaler. Die durchschnittlichen Transfers pro Kind und Paarhaushalt bewegen sich zwischen 340 und 570 Euro pro Monat, wobei die höheren Beträge auf untere Einkommensgruppen entfallen.

Die Höhe der Transfers flacht aber rasch ab. Haushalte im dritten Einkommensdezil erhalten laut dieser Analyse 400 Euro bei einem Kind (420 Euro bei zwei), im höchsten Einkommenszehntel sind es 340 Euro pro Kind. Berücksichtigt wurden direkte Zahlungen wie die Familienbeihilfe, steuerbezogene Förderungen (Familienbonus Plus, Absetzbeträge) sowie Sozialtransfers, deren Höhe durch Kinder im Haushalt beeinflusst wird. Zum Beispiel Wohnbeihilfe. Es handelt sich bei der Studie um eine recht aufwendige Simulation, die auch Landes- und Gemeindeförderungen inkludiert.

Alleinerziehende schlechter gestellt

Alleinerziehende erhalten laut dieser Aufstellung insgesamt höhere Zahlungen pro Kind – direkt wie indirekt –, die Höchstbeträge finden sich bei dieser Bevölkerungsgruppe aber nicht bei den Einkommensschwächsten. Das unterste Dezil erhält 600 Euro im Monat bei einem Kind, im dritten Dezil steigt dieser Betrag auf 690 Euro, ehe er dann wieder sinkt. Dieser Effekt ist auch bei Mehrkindhaushalten zu sehen. Der Grund dafür sei aber rein statistisch, so Studienautor Prettenthaler. Da Paare insgesamt ein höheres Haushaltseinkommen generieren, seien die Dezilgrenzen andere. Bei einer genaueren Betrachtung sei auch bei Paarhaushalten zu sehen, dass die untersten Einkommensschichten etwas weniger Transfers erhalten.

In der Studie werden den Zahlungen auch Kosten gegenübergestellt. Hier bedient sich Prettenthaler der Daten der "Kinderkostenanalyse 2021" der Statistik Austria. Demnach werden in Paarhaushalten die Kosten pro Kind allein durch die staatlichen Transfers und steuerlichen Anreize mehr als nur kompensiert. Bei Alleinerziehenden ist dies nicht der Fall. Hier liegen die errechneten Kosten pro Kind bei rund 1000 Euro für ein Kind und 800 Euro für zwei Kinder und damit unter den direkten wie indirekten Transferzahlungen. Vor allem bei älteren Kindern geht die Kluft zwischen Kosten und staatlichen Förderungen weit auf, obwohl auch Studienbeihilfe inkludiert wurde.

Caritas und Diakonie wollen Mindestsicherung zurück

Am Tag vor dem Treffen mit Nehammer haben einige eingeladenen Hilfsorganisationen Wünsche in Richtung der Politik geäußert. Caritas und Diakonie warben etwa für eine Wiedereinführung der Mindestsicherung in ihrer alten Form und für ein Paket gegen Kinderarmut. "Licht ins Dunkel" will die Diskriminierung Behinderter beispielsweise am Arbeitsmarkt thematisieren und auch die Situation Alleinerziehender schildern. Das Netzwerk Armutskonferenz wiederum schlägt die Gründung einer Wohnbauinvestitionsbank vor, die Ressourcen für neues günstigeres Wohnen schaffen könnte.