Knalleffekt wenige Stunden vor der geplanten Palästinenserdemo heute Abend am Stephansplatz: In einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz gab Polizeipräsident Gerhard Pürstl bekannt, dass die Polizei die für 19.30 Uhr im Zentrum von Wien geplante Palästinenser-Kundgebung untersagt wird. "Die Kundgebung zielt darauf ab, den Konflikt auf die Straßen Wiens zu verlagern. Es besteht die Gefahr einer Eskalation, die nicht zu verantworten ist."
Die Entscheidung ist insofern überraschend, weil die Sicherheitsbehörden in den letzten Tagen immer wieder zu verstehen gegeben haben, dass das "Demonstrationsrecht in Österreich ein hohes Gut" sei und es deshalb keinen Grund gebe, die Kundgebung zu unterbinden. Da in den letzten Stunden allerdings in den sozialen Netzwerken versteckte Codes im Zusammenhang mit der Demo aufgetaucht seien, wo die vollständige Vernichtung Israels propagiert worden sei, habe man sich dazu entschlossen. Man berief sich auch auf nachrichtendienstliche Erkenntnisse.
Unverständnis bei Organisatoren
Angemeldet hatte die Versammlung die Plattform „Palästina Solidarität Österreich“, hinter der die „Antiimperialistische Koordination“ steckt. Diese versteht sich als unabhängige und revolutionäre Organisation, deren Ziel die Überwindung des „imperialistischen Kapitalismus“ ist. Bereits im Mai 2021 seien vier Versammlungen der Plattform untersagt worden, erklärt Demo-Organisator Wilhelm Langthaler. „Wir haben dagegen geklagt und in allen vier Fällen Recht bekommen.“ Auch das heutige Verbot werde die Plattform vor den Verwaltungsgerichtshof tragen, so Langthaler. „Die Untersagung reißt die Grundfesten der Demokratie ein“.
Von der Polizei sei in erster Linie der Spruch beanstandet worden, wonach Palästina vom Meer bis zum Fluss (Jordan, Anm.) frei sein werde („From the river to the sea, Palestine will be free“). Dies sei als Aufruf zur Beseitigung des Staates Israel gewertet worden. Langthaler möchte dies nicht so stehenlassen: Es ist eine alte politische Parole der Palästinenser, es handle es sich um eine politische Meinung. „Und die sollte unantastbar sein.“ Vor zwei Jahren sei es trotz Untersagung zu Versammlungen gekommen. „Sie wurden alle geduldet.“
Fast die gesamte Staatsspitze am Ballhausplatz
Unter größten Sicherheitsvorkehrungen wird am heutigen frühen Abend nahezu die gesamte Staatsspitze am Ballhausplatz der dramatischen Ereignisse in Israel gedenken. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich krankheitsbedingt kurzfristig entschuldigt.
Auf Einladung der Israelitischen Kultusgemeinden werden am Abend Bundeskanzler Karl Nehammer, Vizekanzler Werner Kogler, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, aber auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sowie der Gastgeber, der Präsident der Kultusgemeinde Oskar Deutsch, bei der Solidaritätsveranstaltung das Wort erheben. Keine Einladung erging an FPÖ-Chef Herbert Kickl. Ob SPÖ-Chef Andreas Babler vorbeischaut, ist offen. Ihr Kommen zugesagt haben unter anderem auch Justizministerin Alma Zadić und Innenminister Gerhard Karner.
Heikle Gratwanderung bei Palästinenserdemo
Grundsätzlich stehen Kundgebungen, die sich mit und ohne palästinensischer Fahne dem Schicksal der Palästinenser annehmen, im Einklang mit den Grundrechten und dem Demonstrationsrecht – es sei denn, bei der Kundgebung wird Partei für die Hamas, die in Europa als terroristische Organisation eingestuft wird und deshalb verboten ist, ergriffen.
Angst vor Handgreiflichkeiten
Die Kultusgemeinde hat in ihrer Einladung ausdrücklich zur Vorsicht im Vorfeld und unmittelbar nach der Gedenkzeremonie gewarnt. Auf dem Weg zum Ballhausplatz sollten mitgeführte Israelfahnen verdeckt geführt werden.
ORF überträgt live
ORF III überträgt heute die Gedenkveranstaltung am Ballhausplatz ab 18.25 live, Christine Mayer-Bohusch moderiert, Wolfgang Geier kommentiert.