"Wisst’s was die billigste Mahlzeit in Österreich ist? Ein Hamburger bei McDonalds!" Dieser Ernährungstipp von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sorgt seit Mittwochabend für Empörung. Bei einer Veranstaltung mit ÖVP-Funktionären im Juli hatte der Parteichef zum Rundumschlag ausgeholt: gegen die Sozialpartnerschaft, gegen die hohe Teilzeitquote, gegen die Vorwürfe einer erhöhten Kinderarmut. Nehammer nahm vor allem die Eltern in die Pflicht.
"Empathielos, menschenverachtend und abgehoben", nennt das FPÖ-Chef Herbert Kickl. Ähnlich SPÖ-Chef Andreas Babler: Österreich habe sich einen Bundeskanzler verdient, der nicht "23.000 Euro im Monat schwer bei Wein und Käsehappen" über die Menschen urteile. Auch Sozialminister Johanns Rauch (Grüne) und Neos-Vizechef Christoph Wiederkehr übten Kritik.
Politikwissenschafterin Stainer-Hämmerle zum Nehammer-Video:
Direktorin der Diakonie in der ZiB 2 zum Nehammer-Video:
17,5 Prozent gelten als armutsgefährdet
Aber wie arm ist Österreich tatsächlich? Es gibt mehrere Indikatoren. Einerseits gilt als armutsgefährdet, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung hat. Aktuell liegt diese Schwelle bei 1392 Euro. Im Vorjahr traf das auf 17,5 Prozent der Haushalte zu. Über die individuelle Situation sagt dieser Wert weniger aus. Wer in einer abbezahlten Wohnung lebt, kommt mit demselben Betrag eher aus als jemand, der eine hohe Miete oder Kreditraten stemmen muss.
Außerdem gilt: Steigen die Einkommen insgesamt, erhöht sich auch die so berechnete Schwelle und umgekehrt. "Es ist also eher ein Vergleichsmaß als ein Armutsmaß", sagt Hanno Lorenz vom Thinktank Agenda Austria.
Anders beim Indikator "erhebliche materielle und soziale Benachteiligung": Dabei werden Merkmale des täglichen Lebens auf Leistbarkeit abgefragt, darunter etwa eine geheizte Wohnung oder zwei Paar Schuhe. Wenn das Geld für mehr als sieben dieser Punkte nicht reicht, gilt man als arm. "Das ist das Maß, das dem am nächsten kommt, was man sich unter Armut vorstellt", sagt Lorenz. Im Vorjahr traf das auf 2,3 Prozent zu, 2021 war der Wert etwas niedriger, 2020 höher. Bei der Armutsgefährdung rein nach Einkommen gibt es seit 2018 fast kontinuierlich einen leichten Anstieg.
Teuerung schlägt sich in Zahlen noch nicht nieder
Die aktuelle Teuerung schlägt sich hier noch nicht nieder, sagt die Statistik Austria, da in der aktuellsten Befragung Haushaltseinkommen aus dem Jahr 2021 einflossen.
Ein weiterer Indikator ist die Sozialhilfe. Diese ist im Vorjahr tatsächlich erneut rückläufig gewesen. Von 240.000 im Jahr 2017 sank die Zahl auf nun rund 190.000, davon 134.000 in Wien.
Noch schwieriger als Armut insgesamt zu beziffern ist, eine Antwort darauf zu finden, wie viele Kinder tatsächlich zu wenig zu essen haben. Denn direkt abgefragt wird das politisch oft diskutierte "tägliche warme Essen" in den Standard-Befragungen nicht. Zumindest ähnlich ist die Frage, ob es leistbar ist, dass jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine angemessene vegetarische Alternative auf den Tisch kommt. "Wenn das jemand ankreuzt, meint er, es ist knapp beim Essen", sagt Martin Schenk von der Armutskonferenz. Zuletzt lebten in Österreich 36.000 Kinder in solchen Haushalten.
Dass Kinder tatsächlich hungern, sei in Österreich seltener das Problem, wohl aber die Frage, ob das Geld für eine ausgewogene Ernährung reicht, so Schenk. Gebe es vorrangig Nudeln und Toast, sei das nicht gewährleistet. Bei einem Fast-Food-Burger wohl auch nicht.
Nehammer bezog per Video Stellung zur Kritik. Er habe Themen angesprochen, die er für wichtig hält, sagte er darin. "Ich stehe dafür, dass sich Leistung lohnen muss und dass Eltern eine Fürsorgepflicht für ihre Kinder haben."