Erst im Frühjahr wurde das ORF-Gesetz, das die Struktur der Rundfunkanstalt festlegt, von der Regierung novelliert. Doch schon im Herbst könnte es in maßgeblichen Teilen vom Höchstgericht erneut aufgehoben – und somit ungültig – werden. Denn das Land Burgenland hatte im Vorjahr eine Normenprüfung beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingebracht, über die am Dienstag öffentlich verhandelt wird.

Es geht um zwei zentrale Gremien: den Stiftungsrat und den Publikumsrat. Während Letzterer recht zahnlos ist, bestellt der Stiftungsrat die Geschäftsführung und somit indirekt alle Spitzenposten. Wer den Stiftungsrat beherrscht, regiert auch über den ORF. Dessen 35 Sitze werden derzeit von der Regierung (9), den Ländern (9), dem Betriebsrat (5), den Parlamentsparteien (6) und dem Publikumsrat (6) gestellt.

Zusammensetzung der Gremien nicht mit Verfassung vereinbar?

Ist das repräsentativ genug für eine Demokratie? Für das Land Burgenland nicht. Die Beschwerde, die der Kleinen Zeitung vorliegt, argumentiert, dass "der überwiegende Teil sowohl der Mitglieder des Stiftungsrates als auch des Publikumsrates von der Regierung bzw. vom Bundeskanzler bestellt wird". Zudem gebe es keine Regelungen, die "Unabhängigkeit und Qualifikation der Mitglieder dieser bedeutenden Gremien sicherzustellen". Auch fehle ein öffentliches Auswahl- oder Besetzungsverfahren sowie "eine Möglichkeit, diese Besetzungen einer unabhängigen gerichtlichen oder behördlichen Kontrolle zu unterziehen".

Die Zusammensetzung beider Gremien ist daher mit der Verfassung und der Menschenrechtskonvention nicht vereinbar, meint das Land. Der jeweilige Kanzler und die Regierung können mit dem Gesetz die ORF-Führung fast unbehelligt von Kontrollen oder einer Berufungsmöglichkeit bestimmen. Klar, dass die Regierung dieses erstklassige Instrument der Einflussnahme nicht einfach so aus der Hand geben will.

VfGH kann ORF-Gesetz in Teilen aufheben

Wie der Gerichtshof entscheiden wird, ist offen, wie Menschen mit Einblick versichern. Prinzipiell kann der VfGH die Beschwerde zur Gänze zurückweisen oder das Gesetz in Teilen aufheben. Kommt es zur Aufhebung, was Experten für nicht unwahrscheinlich halten, wird wohl eine Übergangsfrist von bis zu 18 Monaten gesetzt. In der kann die Regierung das Gesetz reparieren. Die Frist ist auch nötig, da sonst der ORF plötzlich ohne Gremien dastehen und nicht einmal ein Budget beschließen könnte.

Kommt eine lange Übergangsfrist, wird das Gesetz wohl schon von der nächsten Regierung geändert. Hätte diese eine starke FPÖ-Beteiligung, wäre das wohl eine willkommene Einladung an die Freiheitlichen, den ORF nach ihren Ansichten umzugestalten. Experten rechnen mit einer Entscheidung des VfGH im Dezember.

ORF-Konstruktion von Schwarz-Blau beschlossen

Tatsächlich beruht die ORF-Konstruktion auf einem Gesetz, das Schwarz-Blau 2001 beschloss. Schon damals wurde der Einfluss des Kanzlers, der etwa 17 von 35 Publikumsräten mehr oder weniger freihändig bestellen darf, kritisiert. Bei der Übernahme des Kanzleramts durch die SPÖ wurde die Regelung aber belassen. Der damalige rote Mediensprecher Josef Cap urteilte: "Je länger ich mir das Gesetz anschaue, desto besser gefällt es mir."

Das sieht Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SP) heute anders. Auf seine Initiative geht die Beschwerde zurück. Der ORF muss vor der Bestellung eines Landesdirektors den Landeshauptmann konsultieren. Doskozil wünschte sich 2021 den Chefredakteur im Landesstudio, Walter Schneeberger, als Landesdirektor. Der Stiftungsrat bestellte mit ÖVP-Mehrheit Werner Herics. Ein Affront, den Doskozil nicht auf sich sitzen lassen will.

Beschwerde zu ORF-Gesetz 2003 aus formalen Gründen zurückgewiesen

Es ist nicht das erste Mal, dass sich das Höchstgericht dem ORF widmet. 2003 wies der VfGH eine Beschwerde des Landes Wien aus formalen Gründen zurück. Jetzt sehen Experten gute Argumente, die man nicht einfach vom Tisch wischen könne.

VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter selbst hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt. In einem Fachkommentar aus dem Jahr 2018 äußerte er sich (damals noch nicht als VfGH-Präsident) kritisch über einen Fall in Osteuropa: "Diese Pflicht beinhaltet auch die Sicherstellung, dass weder der Staat noch eine andere politische oder anderweitige Gruppe durch deren Repräsentation in beispielsweise den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen zu großen Einfluss auf den Rundfunkveranstalter ausüben kann." Der steirische Jurist kann als Präsident nicht mitstimmen, aber mitberaten.