In 390 Tagen sollte, wenn der Fahrplan eingehalten wird, gewählt werden. Haben Sie schon einen Abreißkalender?
SIGRID MAURER: Nein.
AUGUST WÖGINGER: Wir haben noch mehr als ein Jahr vor uns. Das werden wir auch nutzen.

Wird wirklich erst Ende September 2024 gewählt?
MAURER: Das ist das erklärte Ziel.

Erklärtes Ziel, sagen Sie. Garantie gibt es allerdings keine?
MAURER: Es gibt keine Garantien im Leben, aber wir wollen auch dieses Jahr nutzen, um unser Programm Schritt für Schritt abzuarbeiten.

Bei der letzten Nationalratswahl kamen ÖVP und Grüne auf 51 Prozent, nun liegen die beiden Regierungsparteien in den Umfragen bei 31 Prozent. Was ist schiefgelegen?
WÖGINGER: Wir hatten keine einfache Zeit. Wir hatten die Pandemie, den Krieg auf europäischen Boden – mit fatalen Auswirkungen auf die Wirtschaft. Österreich steht nach wie vor gut da. Uns ist es gelungen, die Kaufkraft zu stärken, wir haben einen robusten Arbeitsmarkt. Ja, die Inflation verunsichert die Menschen. Umfragen sind wir Parfüm: Man sollte dran schnuppern, man sollte sie nicht trinken.
MAURER: Die ÖVP hatte parteiintern turbulente Jahre. Die Krisenjahre mit der Pandemie und dem Krieg sind schon belastend gewesen. Wir sind auch mit der Klimakrise konfrontiert. Ich verstehe, dass die Menschen bei so einer Nachrichtenintensität genug haben. Unser Job ist es, die Republik nach vorne zu bringen. Gewählt wird in einem Jahr.

Man hat den Eindruck, dass sich ÖVP und Grüne längst im Vorwahlkampf befinden. Die ÖVP drängt auf die Fortschreibung des Verbrennungsmotors, was nie und nimmer mit den Grünen zu realisieren ist. Die Grünen pochen auf eine Millionärssteuer, die die ÖVP ablehnt. Warum der Frühstart?
WÖGINGER: Dass wir unterschiedliche Parteien sind, ist bekannt. Es liegt auf der Hand, dass jede Partei ihre Grundwerte in die tägliche Arbeit einbringen will. Wesentlich ist, dass wir etwa dieser Tage zu den Mieten, zu den Übergewinnen, zum Gebührenstopp bei Gemeinden Gesetzesanträge eingebracht haben.
MAURER: Dass beide Parteien unterschiedliche Positionen vertreten, ist keine Überraschung. Das hat nichts mit Wahlkampf zu tun. Beide Parteien haben die Aufgabe, klar zu benennen, wofür sie stehen. Das gilt zum Beispiel auch für die Millionärssteuer.

Wie funktioniert das im Alltag, wenn eine Partei einen Vorstoß wagt. Wird der Koalitionspartner vorab informiert?
MAURER: Das ist unterschiedlich. Manchmal erfahren wir was, manchmal nicht.
WÖGINGER: Wir telefonieren fast täglich miteinander. Bei jedem Thema geht es auch nicht.

Wie oft telefonieren Sie miteinander?
MAURER: Es gibt Tage, wo wir zehnmal miteinander telefonieren. Gestern haben wir nicht telefoniert.
WÖGINGER: Wir sind ein wichtiges Scharnier der Koalition.

Bei der Mietpreisbremse brauchen Sie für eine Verfassungsmehrheit die Opposition. Haben Sie da schon jemanden gefunden?
MAURER: Es wird Gespräche mit den Oppositionsparteien geben. Der Bundeskanzler hat ja im "Sommergespräch" zu verstehen gegeben, dass wir auch bei den freien Mieten die juristischen Möglichkeiten ausschöpfen wollen. Wir sind zuversichtlich.

Hat es schon Gespräche mit FPÖ-Chef Kickl gegeben?
WÖGINGER: Das müssen wir nicht, denn das machen die Sprecher auf der Fachebene.

Herr Wöginger, wann kommt das Klimaschutzgesetz?
WÖGINGER: Wir stehen zum Klimaschutz, aber es geht auch um die Details.

Stehen Sie auch zum Klimaschutzgesetz, das die Grünen so vehement einfordern?
WÖGINGER: Wir wollen einen Klimaschutz mit Hausverstand. Die ÖVP hat vor 30 Jahren die Ökosoziale Marktwirtschaft ins Leben gerufen.
MAURER: Es mag sein, dass die ÖVP die Ökosoziale Marktwirtschaft entdeckt hat. Die ÖVP hat aber an Tempo verloren. Dafür braucht es uns. Jedes einzelne Klimagesetz war ein harter Kampf. Wir lassen nicht locker. Wir haben in den letzten vier Jahren mehr erreicht als alle Vorgängerregierungen in den letzten Jahrzehnten.

Der Kanzler hat im "Sommergespräch" ein Kinderbetreuungspaket angekündigt. Basteln Sie schon an Gesetzen?
WÖGINGER: Es hapert bei den unter Dreijährigen, da wollen wir die Quote auf 90 Prozent erhöhen. Nur so können wir die Wahlfreiheit ermöglichen. Hier gilt es, vor allem die Gemeinden deutlich zu unterstützen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss sichergestellt werden.
MAURER: Das ist schwer überfällig. Wir haben am Land oft Schließzeiten um 12 Uhr. Es geht nicht nur um die Betreuung, es ist die erste Bildungseinrichtung, in die Kinder kommen. Das ist für Frauen und Kinder zentral.

Wo soll das Personal herkommen?
WÖGINGER: Wir brauchen einen Kraftakt bei der Elementarpädagogik. Wir haben es bei der Pflege erfolgreich gemacht.
MAURER: Wir haben einen Arbeitskräftebedarf, und da werden wir auch Zuwanderung brauchen. Da wird es mittelfristig Programme brauchen.

Herr Wöginger, geht es nur mit Zuwanderung?
WÖGINGER: Wir haben eine qualifizierte Zuwanderung, wenn ich an die 24-Stunden-Pflege denke oder an die Saisoniers. Das ist nichts Neues.

Zu Beginn der Koalition wurde der Slogan "Das Beste aus beiden Welten" geboren. War dieser rückblickend zutreffend?
MAURER: Der Slogan stammt von Sebastian Kurz, nicht von uns – unter dem Eindruck des Regierungsprogramms. Wir mussten in den Jahren ganz andere Fragen bewältigen. Das Wesen der Demokratie ist der Kompromiss, jeder muss in dem einen oder anderen Punkt nachgeben. Wir haben Dinge erreicht, die ich nicht für möglich gehalten hätte, etwa die Valorisierung der Sozialleistungen. Der SPÖ ist das nie gelungen.
WÖGINGER: Die Koalition wird unter ihrem Wert geschlagen. Ich hätte mir nie gedacht, dass wir mit den Grünen die kalte Progression abschaffen. Insgesamt ist die Bilanz eine positive.

Warum liegt Kickl auf Platz eins, wenn alles super ist?
MAURER: Man sieht in dem Video, wes Geistes Kind er ist. Wir müssen alles tun, damit seine Machtergreifungsfantasien unterbunden werden. Da wird ein Video veröffentlicht, wo der "Hitler-Balkon" angehimmelt wird und der Text dazu lautet: 'Es müssen Taten folgen.' Was zur Hölle heißt das? Kickl will nicht die Republik nach vorne bringen, sondern nur sich selber. Die Freiheitlichen schüren Hass und wollen die Menschen gegeneinander ausspielen. Unsere Aufgabe ist es, die Republik nach vorne zu bringen.
WÖGINGER: Mit Kickl ist kein Staat zu machen. Er ist ein Sicherheitsrisiko. Das Video ist an Grauslichkeiten nicht zu überbieten. Es wird mit uns keinen Klickl in einer Regierung geben. Unsere Aufgabe ist es, zu verhindern, dass er auf Platz eins landet. Am Ende wird die Frage lauten: Nehammer oder Kickl. Da vertraue ich auf die Wähler. Kickl wird nicht Erster.