Ein Balkon sorgt für Empörung. Dass in einem vielfach kritisierten Video der Freiheitlichen Jugend, das Anfang der Woche veröffentlicht wurde, ausgerechnet der "Hitler-Balkon" am Wiener Heldenplatz eingeblendet wurde, stieß nicht nur in den sozialen Netzwerken auf Unverständnis. Auch Experten wie Bernhard Weidinger, Extremismusforscher beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, bezweifelte im Gespräch mit der Kleinen Zeitung, dass das Motiv zufällig gewählt worden ist. 1938 hatte Adolf Hitler von dem Balkon aus den "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland verkündet.

Doch wie kommt es, dass ein Balkon – die korrekte Bezeichnung für den Gebäudeteil wäre eigentlich Altan – fast 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch untrennbar mit Adolf Hitler verbunden scheint? Unmittelbar nach dem Krieg war der Balkon teilweise zerstört, erklärt Monika Sommer, Gründungsdirektorin des Hauses der Geschichte Österreich. Nach der Wiederherstellung konnte die Bevölkerung von dort aus Truppenparaden der Alliierten beobachten, erst nach 1955 wurde er zum Tabu, erklärt Sommer im Gespräch mit der Kleinen Zeitung.

Haus der Geschichte setzt sich für Öffnung ein

Einzig der Nobelpreisträger und Holocaustüberlebende Elie Wiesel durfte in den 1990er-Jahren vom Balkon aus zu einer großen Menschenmenge sprechen, politische Reden im eigentlichen Sinn hat es am "Hitler-Balkon" in der Zweiten Republik nicht mehr gegeben. Vergangenes Jahr durfte auch die NS-Vertriebene Erika Freeman den Altan betreten, nachdem sie dem Haus der Geschichte Dokumente und Erinnerungsstücke übergeben hatte.

Sommer sieht den Balkon als "vulnerablen Punkt in dieser Republik", ebenso wie Hitlers Geburtshaus in Braunau. Einerseits brauche der Altan einen neuen Namen, andererseits spricht sich Sommer dafür aus, ihn im Rahmen von Führungen "aufzumachen und zu entmystifizieren. Derzeit wird er fast wie eine Reliquie behandelt." Damit könnte dem Balkon eine neue Bedeutung gegeben werden, weg von einem Identifikationspunkt rechtsradikaler Bewegungen. Dass der Balkon nun auch wieder im Video der Freiheitlichen Jugend zum Symbol wird, sei "alarmierend".