Politiker kann jeder werden. Doch immer weniger Menschen scheint es in die Politik zu ziehen. „Vor allem in den Kommunen gibt es ein Riesen-Nachwuchsproblem. Nur wenige tun sich das heute noch an“, sagt Love Politics Gründerin Sonja Jöchtl.
Laut einer Studie der Universität Graz ist der Weg dorthin und der Rekrutierungsprozess seit 70 Jahren ein ähnlicher. Politisches Sprungbrett seien Mitgliedschaften in Bünden, Verbänden oder den Gewerkschaften.
Jetzt gibt es aber eine überparteiliche Ausbildung für Politiker der Zukunft. „Wir finden es wichtig, dass Menschen, die zentrale Entscheidungen über das Gemeinwohl und die Zukunft unserer Gesellschaft treffen müssen, dies mit einer ausreichenden Ausbildung tun können“, heißt es auf der Website von Love Politics. Das ist eine gemeinnützige Organisation und der Versuch, die liberale Demokratie zu festigen.
Programme aus anderen Ländern als Vorbild
Jöchtl war für das European Forum Alpbach aktiv, wo sie auch die US-Politberaterin Lisa Witters kennenlernte, die ihr von überparteilichen Ausbildungsprogrammen in anderen Ländern wie Brasilien, Schweden oder Südafrika erzählte.
Seitdem haben die Gründer von Love Politics Gespräche mit rund 60 Politiker:innen geführt, um herauszufinden, was es für den Einstieg in die Politik braucht.
Die Inhalte der Love Politics Ausbildung
Daraus ist das berufsbegleitende, überparteiliche Ausbildungsprogramm von Love Politics entstanden. Starten wird die Ausbildung im September. Den Anfang macht das Modul „Ohne Team keine Chance“. Dort wird es auch ein Training mit der Landesverteidigung geben, um zu lernen, wie Leadership, Teamwork und der Umgang mit Krisen funktioniert.
Weitere Module, die in einem Mix aus Online-Seminaren und physischer Präsenz abgehalten werden, heißen beispielsweise „Fit für die Politik“ oder „Politik verstehen lernen“. Bei letzterem lernen die Teilnehmer zum Beispiel, welche ungeschriebenen Gesetze es in der Politik gibt.
Was damit gemeint ist, erklärt Michael Schiebel, der Mitgründer von Love Politics: "Ungeschriebene Gesetze in der Politik sind informelle Regeln, die in der politischen Praxis befolgt werden. Beispielsweise ist es für Regierungen in Österreich ein ungeschriebenes Gesetz, keine Regierungsvorlagen gegen den ausdrücklichen Willen der Sozialpartner auf den Weg zu bringen.“
Politiker als Referenten
Referenten sind unter anderem bekannte Politiker wie Ex-Bundespräsident Heinz Fischer (SPÖ) oder die niederösterreichische Bürgermeisterin Reka Fekete (ÖVP). Im Laufe des Lehrgangs sollen auch Praktika und Hospitationen in politischen Institutionen und Organisationen vermittelt werden.
Am Ende der Ausbildung soll jeder Teilnehmer eine Idee für einen politischen Veränderungsprozess in der Tasche haben. So sollen sie den Sprung in politische Landschaft schaffen.
Die Ausbildung will zu mehr Diversität in der Politik beitragen
Die Anzahl der Bewerber zeigt: Das politische Interesse ist da. Insgesamt wurden aus 1.245 Bewerbern 35 ausgewählt. Bei der Auswahl wurde ein Fokus auf Personen gelegt, die bislang in Parlamenten zu wenig vertreten sind.
Beispielsweise sind 22 Personen weiblich, und drei non-binär. Zehn Teilnehmer haben keinen Hochschulabschluss, drei eine Behinderung und 15 Migrationshintergrund.
Ausgeschlossen soll niemand werden. Vorausgesetzt wird aber ein Bekenntnis zur liberalen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Identifikation mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung, Vertrauen in Lösungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse oder die Anerkennung des Europäischen Grundrechtekatalogs.
„Wir haben die FPÖ und Parteien auf dem linken Rand nicht gefragt, ob sie dabei sein wollen, weil wir sehen, dass sich die vertretene Haltung mit unserer spießt“, sagt Jöchtl. Weitere Co-Gründer sind beispielsweise Neos-Abgeordnete Karin Doppelbauer und Wiens Grünen-Chefin Judith Pühringer.
Wer ausgewählt wurde
Anna Zambelli ist eine der Teilnehmerinnen und kann es kaum erwarten loszulegen. Die gebürtige Griechin war bisher vor allem in der Erwachsenenbildung aktiv und hat sich beworben, weil sie Veränderungsbedarf im demokratiepolitischen Sein Österreichs sieht. Aber auch, weil sie das politische System besser verstehen möchte.
Um ausgewählt zu werden, mussten die Bewerber ein Thema mitbringen, für das sie brennen. Bei Zambelli ist es das Wahlrecht. „In Österreich haben wir die Situation, dass sich Menschen, die seit Jahrzehnten in Österreich leben, demokratiepolitisch nicht beteiligen können. Das betrifft rund 1,4 Millionen Menschen und deshalb brauchen wir ein zeitgemäßeres Gesellschafts- und Rechtsmodell", so die Teilnehmerin. Vorbilder sind für sie Politiker, die nicht parteipolitische Interessen, sondern jene der Bürgerinnen an erster Stelle sehen.
„Blickwinkel durch Parteibrille eingeschränkt“
Franz Fischler, Ex-ÖVP EU-Kommissar, ist gemeinsam mit Ex-Bundespräsident Heinz Fischer (SPÖ) in beratender Funktion bei Love Politics tätig. Laut ihm bestehe mit dem Programm nicht der Anspruch, die bisherige Rekrutierung komplett umzukrempeln, aber einen Beitrag zum qualitativ hochwertigen Einstieg in die Politik zu leisten.
Er selbst wurde damals von "null auf Ministerebene" gehoben. „Das Wichtigste war für mich am Anfang, das politische System der Brüsseler Einrichtungen zu verstehen und wie dort Entscheidungen gefällt werden“.
Zu seiner Überraschung spielten dort parteipolitische Interessen kaum eine Rolle. „Dort wird akzeptiert, dass das bessere Argument gewinnt“, so Fischler.
Bisher gibt es vor allem politische Ausbildungen von den Parteien selbst. Fischler betrachtet die parteiinternen Programme nicht negativ. „Der Blickwinkel ist durch die Parteibrille aber eingeschränkter“, so Fischler. Laut Jöchtl setzt das Love Politics Programm vor den politischen Akademien an. „Es geht nicht um entweder unser Programm oder die politischen Akademien. Es braucht beides“, so die Love Politics Gründerin.
Die Kosten des Programms
Maximal 1000 Euro zahlen die Teilnehmer für den neun Monate dauernden Lehrgang, was etwa zehn Prozent der Gesamtkosten für die Teilnahme entspricht.
Pro Monat findet ein Modul statt, wobei sieben Module verpflichtend zu absolvieren sind, um ein Zertifikat zu erhalten. Damit sich das finanziell ausgeht, erhält Love Politics von Stiftungen und Organisationen finanzielle Unterstützung, zum Beispiel von der Erste Stiftung, der US-Botschaft Wien oder der Bundeszentrale für politische Bildung.
Derzeit arbeiten rund 20 Menschen ehrenamtlich bei Love Politics. Fischler bewundert das Engagement des Love Politics Teams, in Zukunft brauche es aber eine bessere Ausstattung, denn auf staatliche Förderungen wie politische Akademien kann hier nicht zurückgegriffen werden.
Deshalb versuche man die Finanzierung über die Zivilgesellschaft zu sichern. Es sei eine zwiespältige Angelegenheit, denn man will die Unabhängigkeit nicht verlieren, braucht aber auch Geld, so Fischler. „Bisher gab es vonseiten der Sponsoren keine Versuche Einfluss auf das Programm zu nehmen, sie lassen uns walten und wir gewährleisten diese Unabhängigkeit“, so Jöchtl.
Sandra Czadul