In Österreich gibt es keine langfristige Gesamtstrategie zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Das hat der Rechnungshof (RH) in seinem am Freitag veröffentlichten Bericht "Gewalt- und Opferschutz für Frauen" kritisiert.
Die RH-Prüfer empfehlen, Gewaltambulanzen einzurichten. Auch bei Gefährdungseinschätzungen sowie bei der Fortbildung von Richtern gäbe es Verbesserungsbedarf. Zudem fehlen einheitliche Kriterien für Hochrisikofälle und für die Abwicklung von Fallkonferenzen.
Kommentar von Martina Marx
Tatzeitnahe Beweissicherung besonders relevant
"Gewalt- und Opferschutz für Frauen erfordern Bewusstseinsbildung in der gesamten Gesellschaft sowie nachhaltig wirksame und koordinierte Maßnahmen aller Akteure in diesem Bereich", betonte RH-Präsidentin Margit Kraker. Das Bundeskanzleramt sollte gemeinsam mit den zuständigen Ministerien und den Ländern strategische Schwerpunkte festlegen und verstärkt auch präventive Maßnahmen setzen.
Bei Verfahren wegen Gewalt im sozialen Nahbereich ist eine möglichst tatzeitnahe und fundierte Beweissicherung besonders relevant, um Opferrechte zu gewährleisten, informierte der RH. Bundeskanzleramt sowie Innen-, Justiz- und Sozialministerium seien bereits übereingekommen, dass Bedarf an Gewaltambulanzen besteht. Rund um die Uhr verfügbare und flächendeckende Untersuchungsstellen wurden angestrebt. Der RH empfahl nun, diese zeitnah zu realisieren.
Tool für Hochrisikofälle fehlt in den meisten Bundesländern
Bei Verdachtsfällen von Gewalt in der Privatsphäre müssen ersteinschreitende Polizistinnen und Polizisten über unmittelbare Schutzmaßnahmen, wie etwa das Betretungs- und Annäherungsverbot, entscheiden. Die Landespolizeidirektion Wien richtete im Jahr 2021 zur Unterstützung der Beamten einen "Gewalt in der Privatsphäre"-Support ein.
Ziel des rund um die Uhr verfügbaren Dienstes ist, mithilfe eines speziellen Tools Hochrisikofälle frühzeitig zu identifizieren. In anderen Bundesländern gab es keine vergleichbaren Unterstützungsstrukturen, kritisierte der RH.
Vorgeschlagene Fachkonferenzen mitunter nicht durchgeführt
Laut dem Bericht fehlen einheitliche Kriterien für Fallkonferenzen. Diese können seit 2020 bei Hochrisikofällen aus eigenem Ermessen oder auf Anregung von Gewaltschutzzentren einberufen werden – mit dem Ziel, besondere Schutzmaßnahmen für gefährdete Personen abzustimmen.
Die Anzahl der sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen stieg bundesweit von 25 im Jahr 2020 auf 57 im Jahr 2021; von Jänner bis Oktober 2022 waren es 167. Mitunter werden vorgeschlagene Fallkonferenzen jedoch nicht durchgeführt, informierte der RH und empfahl, die Gründe dafür zu evaluieren. Außerdem nahmen die Staatsanwaltschaften trotz Einladungen durch die Sicherheitsbehörde kaum an Fallkonferenzen teil.
Angehende Richter und Staatsanwälte müssen seit 2009 einen zweiwöchigen verpflichtenden Ausbildungsdienst bei einer Opferschutz- oder Fürsorgeeinrichtung absolvieren. Für jene, die sich nicht bereits im Zuge ihrer Ausbildung mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auseinandergesetzt hatten, bestand aber keine Pflicht, diese zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen, zeigt der RH-Bericht auf.
Zu wenig Plätze in Frauenhäusern und Mangel an Daten
Der Rechnungshof stellte außerdem fest, dass die Bundesländer die vom Europarat im Sinne seiner Istanbul-Konvention empfohlene Anzahl an Familienplätzen in Frauenhäusern je 10.000 Einwohnern nicht erreichten. Außerdem sind die vorhandenen Einrichtungen regional sehr unterschiedlich verteilt – Salzburg verfügte im Untersuchungszeitraum über zehn, die Steiermark mit mehr als der doppelten Fläche und Einwohnerzahl jedoch nur über zwei Standorte.
Insgesamt gibt es laut RH starken Aufholbedarf bei der Datenlage in dem Bereich. Im Justizbereich liegen demnach keine relevanten Zahlen zur spezifischen Gewalt gegen Frauen vor. Zudem führte das Bundeskriminalamt keine Dunkelfeldforschungen zu Gewalt in der Privatsphäre durch.
Obwohl ein Großteil der Verletzungen aufgrund häuslicher Gewalt in Spitalsambulanzen oder von niedergelassenen Ärzten behandelt wird, fehlen Daten aus diesem Bereich generell, weil standardisierte Diagnosedokumentationen nur bei stationären Aufnahmen in Krankenhäusern erfolgen. Auch zu den Gesamtausgaben von Bund und Ländern für den Bereich Gewalt- und Opferschutz gibt es keine ausreichenden Zahlen.
Rechnungshof würdigt Angebot an niederschwelliger Beratung
Die zahlreichen Empfehlungen des Rechnungshofes richten sich mit Verbesserungsvorschlägen an das Bundeskanzleramt (BKA/Sektion Frauen), an Justiz- und Innenministerium sowie an das Bundeskriminalamt (BK). Der RH würdigte jedenfalls, dass niederschwellige Beratung für Frauen über nahezu das gesamte Bundesgebiet angeboten wird.
Auch die rund um die Uhr verfügbare Frauen-Helpline gegen Gewalt werteten die Prüfer beispielsweise positiv. Österreich war zudem eines der ersten europäischen Länder, das Maßnahmen zum Schutz vor häuslicher Gewalt gesetzlich regelte. Analysiert wurden in dem Bericht die Jahre 2018 bis einschließlich September 2022.
In Österreich finden Frauen, die Gewalt erleben, u. a. Hilfe und Informationen bei der Frauen-Helpline unter: 0800-222-555, www.frauenhelpline.at; beim Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) unter www.aoef.at; der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie/Gewaltschutzzentrum Wien: www.interventionsstelle-wien.at und beim 24-Stunden Frauennotruf der Stadt Wien: 01-71719 sowie beim Frauenhaus-Notruf unter 057722 und den Österreichischen Gewaltschutzzentren: 0800/700-217; Polizei-Notruf: 133.