Herr Botschafter, ändert Prigoschins Tod etwas am Kriegsverlauf?
VASYL KHYMYNETS: Unmittelbar nichts. Wenn es stimmt, dass sich Putin an Prigoschin gerächt hat, ist es ein weiterer Beweis, dass Putin sein Wort nicht hält. Putin hatte Prigoschin versprochen, wenn er nach Weißrussland geht, passiert ihm nichts. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist klar: Prigoschin hat vor zwei Monaten der Welt vor Augen geführt, dass der König nackt und Putin alles andere als furchtlos ist. Putin war der Erste, der aus Moskau geflüchtet ist.
Er hat Schwäche gezeigt?
Rache ist ein Zeichen für Schwäche. Weil immer gesagt wird, die Ukraine soll mit Putin verhandeln: Wie wollen Sie mit einem Typen verhandeln, der sein Wort nicht hält? Wir verhandeln nur mit jemanden, der Interesse an einem gerechten Ende des Krieges hat. Putin hat kein Interesse daran.
Woher nehmen Sie die Garantie, dass es unter einem Nachfolger besser ist?
Schlimmer als Putin kann nur Putin sein.
Österreich sagt, wir sind militärisch neutral, sonst helfen wir der Ukraine im Übermaß. Stimmt das?
Es stimmt, dass Österreich militärisch neutral ist, und wir wissen, dass uns Österreich nicht militärisch helfen wird.
Sind Sie enttäuscht?
Wir nehmen es als Tatsache zur Kenntnis. Wir verstehen, dass kein Politiker gegen die Neutralität verstoßen will. Wir sehen allerdings, dass die Regierung klar auf der Seite der Ukraine steht und in der EU alle Maßnahmen, die uns helfen, mitträgt. Die Regierung unterstützt uns politisch, wirtschaftlich, finanziell stark. Ich möchte die Rolle aller Gemeinden hervorheben. Mehr als 100.000 Ukrainer leben hier und werden unterstützt. Viele Gemeinden haben Feuerwehrautos, Rettungsautos geschickt. Wir schätzen auch sehr die Unterstützung der Hilfsorganisationen, etwa zuletzt nach der Sprengung des Staudamms. 700.000 Menschen haben kein Trinkwasser mehr. Wir haben Tankwagen, Wasseraufbereitungsanlagen erhalten, auch viel Unterstützung von Privaten. Für jede Hilfe sind wir sehr, sehr dankbar.
Sie rühmen die Hilfsbereitschaft der Österreicher. Ist die militärische Neutralität zeitgemäß?
Als Botschafter kann ich mich nicht dazu äußern, aus der Sicht der Ukraine kann ich sagen: Angesichts der Bedrohungslage ist für die Ukraine die Neutralität keine Option, auch nicht für Schweden und Finnland. Die Nato hat als Verteidigungsbündnis gezeigt, dass die Stärke in einer gemeinsamen, kollektiven Verteidigungspolitik besteht.
Viele Leute sagen: Ja, Putin hat den Krieg begonnen, aber rauft euch jetzt zusammen!
Mit dieser Frage werde ich fast täglich bei der Fahrt durchs Land konfrontiert. Ich antworte mit der Gegenfrage: Was würden Sie tun, wenn ein Nachbar in ihr Haus kommt, ein Teil des Hauses besetzt, ihre Familienmitglieder tötet? Sie würden die Polizei holen. Wie würden Sie reagieren, wenn die Polizei sagt: Verhandeln Sie doch mit ihm! Das ist ein drastisches Beispiel, aber es ist die Realität, in der die Ukraine lebt.
Also keine Lösung, wo man Gebiete abtrennt?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein österreichischer Politiker sagt: Um Krieg zu verhindern, sind wir bereit, ein Bundesland abzutreten. Es kann nicht sein, dass Putin für seine Raubzüge belohnt wird. Vergessen Sie nicht: In den besetzten Gebieten leben ukrainische Menschen, die auf die Befreiung warten. Es müssen auch alle Leute, die Kriegsverbrechen verübt haben, zur Verantwortung gezogen werden.
Haben Sie eine Erklärung, warum gerade in Österreich die Meinung verbreitet ist, man möge Russland nicht reizen. Im Baltikum hört man das nicht, dort müsste man mehr Angst haben.
Wir kennen Putin. Durch die russische Propaganda, durch die Anbiederung, durch das Hofieren hat Putin ein Image bekommen, das völlig realitätsfern ist. Denken Sie an die kolossalen Fehleinschätzungen im Vorfeld des Überfalls über die Stärke der russischen Armee. Das sind alles Mythen.
Ist Putin in Österreich zu viel hofiert worden?
Er ist überall hofiert worden. Weltweit räumen viele Politiker ein, dass sie sich in Putin getäuscht haben. Warum ist Russland beim G7-Gipfel aufgenommen worden? Russland war nie eine Wirtschaftsmacht. Es gibt viele Putin-Biografen, die das Bild von Putin als übermächtige, furchtlose, starke Person gepriesen haben. Das stimmt alles nichts.
Zuletzt meinte auch der Außenminister, dass Russland nicht von der Landkarte verschwinden werde. Wie interpretieren Sie das? Das klingt fast wie der Ruf nach einem Arrangement?
Unser gemeinsames Interesse muss sein, eine qualitativ neue Politik gegenüber Russland zu entwickeln. Es ist die höchste Zeit, einen Schnitt mit der Vergangenheit zu machen und mit der bisherigen Politik des Hofierens und der Anbiederung zu brechen. Auch die Idee "Wandel durch Handel" hat sich als Utopie entlarvt. Putin ist der Chef eines Terrorregimes, hat ein menschenfeindliches Regime installiert und führt sein Land in den Abgrund. Wir dürfen keine Angst vor ihm haben. Wer Angst zeigt, hat schon verloren. Nur ein gerechtes Ende des Kriegs kann einen Neustart in Russland ermöglichen. Diesen Neustart wünschen sich viele auch in Russland.
Wie sehen Sie die Rolle der FPÖ?
Die Parteien im Parlament widerspiegeln die Stimmung in der Bevölkerung und sind das Ergebnis der demokratischen Entwicklung. Die Kontakte zu den Parteien sind unterschiedlich intensiv. Man sollte nicht populistisch, manipulativ agieren.
Ist die FPÖ populistisch, manipulativ?
Als Botschafter will ich Kontakte zu allen Parteien pflegen. Meine Aufgabe ist es, zu erklären. Ich will nichts beschönigen, will aber auch Mythen, die sich aufgrund der starken russischen Propaganda in Österreich verfestigt haben, aufbrechen. Das ist schwierig, aber es ist möglich.
Selenskyj war zuletzt in Dänemark und den Niederlanden. Kommt er nach Österreich?
Warum nicht? Er war 2020 in Österreich. Österreich ist ein wichtiges Land, ist unser Nachbar, wir haben eine gemeinsame Geschichte. Wir haben großes wirtschaftliches Potenzial. Kein einziges österreichisches Unternehmen hat die Ukraine seit dem Krieg verlassen.
Dass Österreich keine Waffen liefert, ist ein wunder Punkt?
Die Situation ist, wie sie ist. Die Priorität von Präsident Selenskyj ist es, militärische Hilfe zu organisieren, um unser Land zu verteidigen, die Menschen zu schützen. Jeder andere Präsident, der in derselben Situation wäre, würde genauso handeln.