Vor zehn Tagen bekundeten Österreich und die Schweiz, die letzten Neutralen am Kontinent, die Absicht, an dem von 17 Nato-Staaten entwickelten Raketenabwehrsystem Sky Shield mitzuwirken. Nach dem Vorbild von Israel soll ein Schutzschild ("Iron Dome") über Europa gespannt werden. Viele Details sind noch offen. Während die FPÖ dem Projekt bereits eine Absage erteilt hat, nimmt in Expertenkreisen die Neutralitätsdebatte Fahrt auf: In der Anfangsphase gibt es keine Probleme, im Vollausbau könnte die eine oder andere gesetzliche Änderung vorgenommen werden.
"Haben Bedrohung nichts entgegenzusetzen"
Nun meldet sich ein intimer Kenner des Bundesheers, der langjährige Streitkräftekommandant Günter Höfler, zu Wort. Im Gespräch mit der Kleinen Zeitung bricht der pensionierte General eine Lanze für Sky Shield. "Das ist eine absolute Notwendigkeit, ein Gebot der Stunde. Eine der größten Bedrohungen des Landes kommt aus der Luft, nicht nur durch Kampfflugzeuge, sondern vor allem durch Drohnen, Marschflugkörper, ballistische Geschosse bis hin zu Hyperschallwaffen. Dem haben wir nichts entgegenzusetzen. Wir sind weitestgehend schutzlos."
Video-Analyse: Gady über Sky Shield
Nur Flughafen Zeltweg ist geschützt
Details über die heimische Flugabwehr will Höfler nicht nennen, andernorts heißt es, dass das Heer ein paar Raketen mit einer vertikalen Reichweite von drei Kilometern hat. Im Ernstfall könnte nur ein Flughafen verteidigt werden, die Waffen sind in Zeltweg, wo die Eurofighter stehen, stationiert.
Österreichischer Alleingang wäre unfinanzierbar
Höfler nimmt sich kein Blatt vor den Mund: "Wer Sky Shield ablehnt, verzichtet auf einen wirkungsvollen Schutz Österreichs, des Landes, seiner Bevölkerung. Wer meint, wir können uns vor Bedrohungen aus der Luft allein schützen, geht an der Realität vorbei." Ein Alleingang Österreichs würde sicher das heimische Verteidigungsbudget sprengen. "Ein modernes Fliegerabwehrsystem kann sich ein Kleinstaat kaum allein leisten. Das gilt auch für die Schweiz, obwohl sie einige Patriot-Raketen anschaffen."
Systeme mit mehreren Kommandozentralen
In der Anfangsphase gehe es zunächst einmal um Fragen der Planung und Beschaffung. In einem weiteren Schritt würde Sky Shield hochgefahren werden, wobei man von der Vorstellung Abschied nehmen muss, dass Österreich völlig autonom agiert. "Sky Shield wird im Verbund geführt, und es wird vermutlich mehrere Kommandozentralen geben, wobei eine durchaus in Österreich sein könnte." Höfler geht davon aus, dass das Raketenabwehrsystem aus mehreren gestaffelten Ringen bestehen wird. "Ein System könnte zum Beispiel in der Slowakei, ein anderes in Österreich, ein drittes System in Bayern stehen."
Einsatz verläuft im Ernstfall "fast automatisch"
Im Vorfeld der Inbetriebnahme müssten alle Verfahren und Prozesse im Detail festgelegt werden. "Im Einsatz selbst läuft es weitestgehend automatisiert ab. Im Ernstfall bleibt für eine Entscheidungsfindung wenig Zeit. Wenn eine Rakete im Anflug ist und das System stellt fest, dass sie in München oder in Linz einschlagen wird, kann man nicht herumtelefonieren und lang fragen, ob man die Rakete abschießen soll. Das ist eine Frage von wenige Minuten." Höfler nennt Israel als Beispiel. "Wenn eine Rakete aufsteigt, wird der Einschlagsort berechnet. Peilt sie zum Beispiel ein Feld an, machen die Israelis nichts. Sollte sie aber in einem bewohnten Gebiet einschlagen, werden die Menschen durch eine App gewarnt, und die Rakete wird abgeschossen."
"Im Kalten Krieg haben wir auf die Nato gehofft"
Höfler kennt die Nato wie seine Westentasche, der Steirer hat die österreichische Nato-Mission aufgebaut. "Es bedarf hier keiner Beitrittsdebatte. Wir sind seit fast 30 Jahren Mitglied der Nato-Partnerschaft für den Frieden. Wie weit wir kooperieren, hängt einzig und allein von uns ab." Um auf ein Tabu zu verweisen: "Im Kalten Krieg haben wir gehofft, dass uns die Nato im Ernstfall schon helfen wird. Nun könnten wir selbst einen Beitrag leisten. Wir sind sicherheitspolitisch erwachsener geworden."