Herr Muchitsch, Sie sind gerade mit 96,2 Prozent zum neuen Vorsitzenden der FSG gewählt worden. Was ändert sich jetzt?
JOSEF MUCHITSCH: Vor 40 Jahren habe ich meine erste Gewerkschaftsveranstaltung besucht, als Maurerlehrling im zweiten Lehrjahr. Von dort bis zum höchsten Funktionär der stärksten ÖGB-Fraktion gekommen zu sein, ist ein schöner Moment. Wir werden lauter und kantiger werden, weil die Belastungen für die Menschen jeden Tag größer werden und die Arbeitnehmer seit 2017 von der Regierung im Stich gelassen wurden.
Wir sind hier im Austria Center. Direkt gegenüber liegt die Willkommensstelle für ukrainische Flüchtlinge, hier erteilen Sie einer "Willkommenskultur ohne Wenn und Aber" eine Absage. Warum?
Es geht mir nicht um ukrainische Flüchtlinge. Es geht darum, dass laufend versucht wird, Menschen aus Drittstaaten zu motivieren, nach Österreich zu kommen. Bringen wir doch bitte jene in Beschäftigung, die jetzt schon hier in Österreich leben, arbeiten wollen und können. Das sind die Menschen 50+, und es ist auch die Gruppe Asylwerber, die über zwei Jahre auf einen Asylbescheid warten. Wieso geben wir ihnen nicht die Möglichkeit, sich auszubilden, die Sprache zu lernen und in den Arbeitsmarkt zu integrieren?
Widerspricht das nicht dem zentralen Satz, den auch die SPÖ sich auf die Fahnen geschrieben hat: keine Vermischung von Asyl und Arbeitsmigration?
Widerspricht es nicht. Flüchtlinge sind Menschen auf der Flucht, um sich ein neues Leben aufbauen zu können. Sie sollen die Chance kriegen, so schnell wie möglich ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, selbst Geld zu verdienen, bevor sie auf Sozialleistungen angewiesen sind.
Österreich fehlen in den nächsten zehn Jahren Hunderttausende Arbeitskräfte, zum Beispiel im Pflegesektor. Das ist doch nicht schaffbar, nur mit Älteren und Asylwerbern, die schon hier sind.
Wir haben jetzt eine abschwächende Konjunktur. Seit Jahresbeginn steigt wieder die Arbeitslosigkeit kontinuierlich an. Das heißt, Arbeitskräfte werden in Zukunft wieder mehr verfügbar sein. Man muss sich überlegen, was es an Anreizen braucht. Solange wir in der Pflege junge Menschen in der Ausbildung schlechter behandeln als eine Ausbildung im Polizeidienst, dürfen wir uns nicht wundern, dass wir dort keine jungen Menschen kriegen.
Woher soll das Geld kommen?
Wir verlieren jährlich zwölf bis 15 Milliarden Euro durch Steuertricks. Und wir haben irrsinniges Potenzial bei der Verteilungsgerechtigkeit. Mit nur 1,5 Prozent des Steueraufkommens aus hohen Vermögen sind wir im internationalen Vergleich Nackerpatzln. Sogar die EU fordert uns auf, etwas bei Vermögenssteuern zu machen und Steuern auf Arbeit zu senken, damit netto mehr bei Löhnen und Gehältern bleibt.
Viele Österreicher leben in einem Einfamilienhaus, haben also ein Vermögen. Sollen die Steuern darauf steigen?
Nein. Das betrifft Vermögen, die wesentlich höher sind. Unser Vorschlag ist eine Millionärssteuer ab einer Million Nettovermögen, wo Einfamilienhäuser herausgenommen werden. In dem Modell, das wir vorschlagen, zahlt jemand, der 1,5 Millionen Euro hat, erst ab 1.000.000 für die 500.000, welche darüberliegen, ein Prozent, also 5000 Euro Vermögenssteuer pro Jahr.
Diese Vermögenssteuer ab einer Million fordert die SPÖ seit mehr als zehn Jahren. Seither hatten wir eine Inflation von rund 33 Prozent. Muss man so eine Grenze nicht valorisieren?
Zuerst müssen wir einmal in die Situation kommen, dass wir überhaupt eine politische Mehrheit dafür finden – die Höhe sei dahingestellt. 80 Prozent der Bevölkerung in Österreich sagt: Macht das endlich.
Mit wem könnte es so eine politische Mehrheit geben?
Wenn wir als FSG mit der SPÖ geschlossen auftreten, haben wir gute Chancen, Erster zu werden. Wenn wir mal Erster sind, haben wir gute Chancen, unser Programm durchzusetzen.
Geschlossenheit war nicht das Allererste, das man in den vergangenen Monaten mit der SPÖ assoziiert hat. Ist das jetzt erledigt?
Es ist seit dem Sonderparteitag erledigt. Wir haben jetzt einen neuen Parteivorsitzenden und der hat die Chance verdient, sich zu beweisen. Und alle anderen sind aufgerufen, ihn zu unterstützen und ihm volle Loyalität zukommen zu lassen.
Einer der Kernpunkte von Babler ist die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Wie soll sich das denn ausgehen in Zeiten des Arbeitskräftemangels?
Wenn man keine Visionen hat, wird man auch keine Ziele erreichen. Das war bereits 1970 so, wo man gesagt hat, eine 40-Stunden-Woche wäre schon super, fünf Jahre später haben wir sie gehabt. Dort haben auch die Gewerkschafter mit den Arbeitgebern in Etappen über Kollektivverträge über Arbeitszeitverkürzungen verhandelt und letztendlich ist dann der Gesetzgeber nachgezogen. Mittlerweile gibt's wieder diese Vorboten. Wir haben jetzt schon Kollektivverträge mit einer 36-, und 37-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Gehaltsausgleich, viele mit 38,5 Stunden.
Sie sagen, Sie würden gerne etliche Reformen der letzten Jahre zurückrollen. Welche denn?
Wir fordern das zurück, was FPÖ, ÖVP und Grüne den Menschen gestohlen haben: Das ist eine Mitgestaltung bei der Arbeitszeit – ich erinnere an die 60-Stunden-Woche und den 12-Stunden-Tag. Früher hat hier Einvernehmen hergestellt werden müssen. Das hat Schwarz-Blau abgeschafft. Und wir fordern auch unsere Sozialversicherung zurück.
Zurück zu 21 verschiedenen Sozialversicherungsträgern?
Nein, zurück in der Mitbestimmung, weil wir nicht einsehen, dass die Arbeitnehmer, die die Beiträge leisten, hier nicht die Mehrheit haben. Arbeitgeber entscheiden über die Beiträge der Versicherten und ihre Leistungen. Das geht nicht! Das ist ganz oben auf der Agenda. Das Dritte ist das Thema Pensionen. Die abschlagsfreie Pension bei den Langzeitversicherten ist unter Türkis-Grün abgeschafft worden. Das wollen wir wieder reparieren und dafür kämpfen wir.
Zuerst haben Sie gesagt, Sie wollen mehr Ältere in den Arbeitsprozess holen – und jetzt fordern Sie den abschlagsfreien früheren Pensionsantritt. Das passt doch nicht zusammen.
Abschlagsfreier Pensionsantritt heißt, mindestens 45 Beitragsjahre ab dem 62. Lebensjahr. Wenn jemand mit 15 beginnt und 45 Jahre brav einzahlt, soll er die Möglichkeit haben, freiwillig zu entscheiden.
Die Generation nach uns sind geburtenschwächere Jahrgänge. Es werden weniger Arbeitende sein, die dann mehr Pensionisten zuschießen. Ist das gerecht?
Gemessen am BIP werden die Kosten dafür, was der Staat hier zuschießt, nicht steigen, das ist leistbar. Pensionen sind nicht eine Frage des "Leisten-Könnens", sondern des "Leisten-Wollens". Wenn jemand 45 Jahre eingezahlt hat, dann zahlt er sich ja zu 96 Prozent seine Pension selber und nur vier Prozent kommen vom Staat dazu. Wir wollen, dass die Menschen, die viel und lange einzahlen, eine Pension haben, in der sie auch im Alter ein gutes Leben führen. Im Wissen, dass die Pensionen der größte Motor sind, im Bereich Konsumkraft und Kaufkraft.
Georg Renner