Was ist das, was wir am Samstag erlebt haben? Eine Revolte? Ein durchdachter Putschversuch?
MARKUS REISNER: Putin spricht von einer Rebellion. Was wir sehen, ist, dass einzelne Elemente den Krieg nicht mehr mittragen. Die Hintergründe kennen wir nicht. Es kann sein, dass Prigoschin ein Werkzeug ist und bereits fallengelassen wurde. Vielleicht ist es der Beginn von Auflösungserscheinungen.
Ist Prigoschin ein Spinner oder ein kühler Stratege?
Er weiß genau, was er tut, er wägt genau ab. Das ist keine spontane Aktion. Es ist bemerkenswert, dass er sich für seine Soldaten, die er vorher erbarmungslos in den Kampf geschickt hat, zu interessieren beginnt. Die nächsten 48 Stunden werden entscheidend sein.
Es gibt auch Wagner-Soldaten in Afrika und in Syrien. Was bedeutet das für diese Einheiten?
Es geht nicht nur um Wagner in Russland, sondern auch außerhalb Russlands. Man muss abwarten.
Was bedeutet das für die Ukraine?
Die Ukraine könnte das für ihre Offensive nutzen, aber viele Soldaten an der Front dürften jetzt gebannt auf ihr Handy schauen und die aktuellen Entwicklungen verfolgen.
Aber war das der Anfang von Putins Ende?
Das kann man nicht sagen. Entscheidend ist, ob sich die russischen Streit- und Sicherheitskräfte auf die Seite von Wagner schlagen oder nicht. Alleine kann Wagner nicht bis Moskau marschieren, es könnten sich Teile der Streitkräfte mit Wagner solidarisieren. Dazu gibt es aber keine Indizien. Es drängen sich Vergleiche mit 1917 oder 1991 auf.
Ist die Söldnertruppe Wagner in der regulären Armee populär?
Die führenden Generäle haben kein Interesse, von Prigoschin vorgeführt zu werden. Interessant ist, dass Prigoschin bisher nie Putin direkt attackiert hat. Heute war es das erste Mal.
Prigoschin hat immer wieder die Unfähigkeit der russischen Armee kritisiert. Gibt es nicht Offiziere, die meinen: Prigoschin sagt, was wir uns denken?
Das wäre durchaus denkbar, aber wir sehen das bisher noch nicht.
Haben Sie den Eindruck, dass der Konflikt sich länger hinziehen wird?
Das wissen wir bei Putschversuchen nie. Wir sind in der Anfangsphase. Denken Sie an den Putschversuch in der Türkei im Jahr 2017, den Sturm auf das Kapitol 2021 oder den Putschversuch 1991 in Moskau. Das kann sich so oder so entwickeln. Man kann davon ausgehen, dass viele Leute in Russland die Lage abwarten.
Wie gut ist die Wagner-Truppe ausgestattet?
Wagner hat viel Erfahrung gesammelt in der Ukraine und bei Einsätzen in Afrika. Man hat auch schweres Gerät. Es kann auch sein, dass sich Wagner den Weg nach Moskau freikauft. Michael Jungwirth