Angesichts des Machtkampfs in Russland hat Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) für Sonntag das Krisenkabinett der Regierung einberufen. Das Kabinett wird um 10.00 Uhr im Verteidigungsministerium zusammentreten, wie es in der Früh vom Bundeskanzleramt zur APA hieß. Frühestens um 11 Uhr soll es dann auch Statements des Kanzlers und von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) geben. Bundespräsident Alexander Van der Bellen begrüßte die Einberufung des Krisenkabinetts via Twitter.
Teil des Krisenkabinetts sind auch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, Außenminister Alexander Schallenberg und Innenminister Gerhard Karner (alle ÖVP). Für die kommenden Tage ist eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats geplant. Diese hatte davor die SPÖ eingefordert. Aus dem Nehammer-Büro hieß es zudem, dass der Kanzler stündliche Lage-Updates von allen zur Verfügung stehenden Kanälen erhalte. So mache man sich ein ständig aktualisiertes Lagebild. Van der Bellen teilte mit, dass der mit Nehammer "in Kontakt" sei. "Die Ereignisse in Russland werden kontinuierlich verfolgt."
Schon am Rande des "Europaforums" in Göttweig hatten sich Nehammer und seine EU-Amtskollegen besorgt gezeigt: "Atomwaffen dürfen nicht in die falschen Hände gelangen", sagte der Kanzler. Er stehe in Kontakt mit EU-Kollegen, und die westlichen Geheimdienste würden die Lage in Russland laufend analysieren. Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni sprach von einer "sehr chaotische(n) Situation in Russland". Gleich nach der Rückkehr nach Rom später am Samstag habe sie eine Regierungssitzung mit den italienischen Geheimdiensten angesetzt.
Nehammer betonte vor dem Hintergrund der Auflehnung von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin die gemeinsame Vorgangsweise mit Italien und anderen EU-Partnern. "Die Vorgänge in der Russischen Föderation sind immer von größter strategischer Bedeutung, weil Russland biologische, chemische und nukleare Waffen besitzt", sagte er. Auch Bulgariens Staatspräsident Rumen Radew wies beim Europaforum in Göttweig auf die Notwendigkeit hin, wegen der Ereignisse in Russland rasch Maßnahmen zum Schutz der EU-Mitgliedsstaaten zu ergreifen. "Wenn sich die Sicherheitssituation in Russland weiter verschlechtert- was passiert mit tausenden nuklearen Sprengköpfen und chemischen Waffen in Russland?", zeigte sich Radew besorgt.
"Unübersichtlich und brandgefährlich"
SPÖ-Chef Andreas Babler bezeichnete die Situation am Rand des Landesparteitages der niederösterreichischen Sozialdemokraten in St Pölten als "unübersichtlich und brandgefährlich", die potenziellen Auswirkungen auf die Sicherheit Österreichs und Europas seien unabsehbar. "Deshalb verlangen wir die Einberufung des Nationalen Sicherheitsrats. Die Regierung muss uns eine Einschätzung der Lage geben. Wir müssen gemeinsam besprechen, wie Österreich darauf reagieren soll."
Die Spitzenpolitiker äußerten sich, bevor Wagner-Chef Prigoschin am Samstagabend seinen Rückzug verkündete. Hintergrund soll eine Verständigung mit Kreml-Chef Wladimir Putin sein, die angeblich auf Vermittlung des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko erzielt wurde. Die Details einer solchen Vereinbarung sind jedoch unklar. Beobachter sehen Putin massiv geschwächt, nachdem er der Söldnertruppe offenbar keinerlei militärischen Widerstand entgegensetzen konnte und Prigoschin nun Berichten zufolge ins belarussische Exil ziehen lässt. Der Wagner-Chef hatte die Einnahme des Militärstützpunkts in der südrussischen Stadt Rostow verkündet und danach einen langen Militärkonvoi in Richtung Moskau geschickt, der hunderte Kilometer praktisch unbehelligt zurücklegen konnte.
Reisewarnung für Russland
Angesichts der Ereignisse verhängte das österreichische Außenministerium eine partielle Reisewarnung für Russland. Das Außenministerium warnt vor allen Reisen in die an die Ukraine angrenzenden russischen Verwaltungsbezirke Belgorod, Kursk, Brjansk, Woronesch, Rostow und Krasnodar. Insbesondere die Stadt Rostow sowie das Umland sollen gemieden werden. Auch in Moskau und anderen Städten Russlands soll "eine erhöhte Aufmerksamkeit an den Tag gelegt werden".