Bald eineinhalb Jahre dauert der Krieg bereits, den Russland gegen die Ukraine führt. Während die EU nach der Invasion ihre Tore für Flüchtende aus der Ukraine geöffnet hat, verließen auch zahlreiche Russen ihr Land, um nicht an die Front geschickt zu werden. Ein Deserteur erhielt nun in Österreich einen negativen Asylbescheid, wie die ZiB 2 berichtete. Der Reservist gab an, im vergangenen September einen Einberufungsbefehl erhalten zu haben, er wolle jedoch aus religiösen und moralischen Gründen nicht kämpfen. Eine Rückkehr in die Heimat bedeute für ihn Haft oder Verfolgung.
Die Entscheidung des zuständigen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) fiel dennoch negativ aus. Einerseits sei Russlands Mobilmachung beendet, andererseits gebe es keine Anhaltspunkte für eine "konkrete individuelle Gefahr", heißt es. "Auch kann die Behörde nicht davon ausgehen, dass die russische Armee systematische Menschenrechts- bzw. Völkerrechtsverletzungen begeht." Auf Anfrage bekräftigt das Innenministerium, die Passage sei "aus dem Kontext gewissen", auch werde jeder Einzelfall "individuell gewürdigt".
Keine erhöhten Chancen mit russischem Pass
Die Einzelfallprüfung wurde bereits vergangenen September fixiert. Damals gingen Bilder von Tausenden Russen um die Welt, die über die Grenze nach Finnland wollten, um der Teilmobilmachung durch Präsident Wladimir Putin zu entkommen. Sicherheitsbedenken und eine bei den EU-Mitgliedsstaaten liegende Visazuständigkeit sprachen damals gegen eine automatische Aufnahme. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) stellte jedoch eine "kulante Lösung" in Aussicht.
Ein Blick auf die Asylstatistik seit September zeigt, dass ein russischer Pass die Chance auf Bleiberecht trotzdem nicht zwingend erhöht. Von Jänner bis April 2023 gingen 377 Anträge aus der Russischen Föderation ein, 59,3 Prozent wurden negativ beurteilt. Im vergangenen Herbst gingen die Zahlen leicht nach oben (im November wurden 147 Anträge gestellt), im März (70 Anträge) und April (58 Anträge) sank die Nachfrage nach Schutz wieder. Mit 30. April befanden sich 1800 Menschen aus der Föderation in Grundversorgung.
"Der Bescheid hat ein Qualitätsproblem"
Daran, dass der nun publik gewordene Asylbescheid des Russen juristisch halten wird, glaubt Wilfried Embacher, Anwalt für Fremden- und Asylrecht, nicht. "Der Bescheid mag verkürzt dargestellt sein, er hat aber sicher ein Qualitätsproblem", erklärt er. "Die Frage des Schutzes richtet sich nicht danach, was im Krieg passiert, sondern was die Folgen sind." Die Prüfung der Anträge müsse individuell erfolgen, es könne keinen Schutzautomatismus für Personen aus Russland geben. Embacher interpretiert das Urteil gegen den Russen jedoch als "Signal der Abschreckung". So oder so werde dieses vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wohl nicht halten, "außer die Sachlage ändert sich bis zur Entscheidung".
Im BVwG landen BFA-Bescheide, gegen die Betroffene vorgehen wollen. Und die Statistik des Gerichtes räumt ihnen dafür durchaus gute Chancen ein. Wie eine Anfrage der Neos zeigt, wurde im Vorjahr von 20.500 Einzelerscheinungen 9700-mal zugunsten der Beschwerdeführer entschieden. Das bedeutet, dass das Gericht 47,3 Prozent der Fälle aufgehoben oder abgeändert hat. Freilich musste ein beträchtlicher Teil im letzten Jahr auch deshalb abgeändert werden, weil sich die Lage im antragsstarken Afghanistan durch die Machtübernahme der Taliban verschlechtert hatte. Asylexperten kritisieren jedoch bereits seit Jahren fehlerhafte und teils schlampig ausgestellte Asylbescheide aus dem BFA.