Im großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts wurde ein folgenschweres Urteil verkündet: Der Schöffensenat hat entschieden, die ehemalige ÖVP-Ministerin Sophie Karmasin schuldig zu sprechen. Die Staatsanwaltschaft hatte ihr schweren Betrug und wettbewerbsbeschränkende Absprachen vorgeworfen: Karmasin soll Rechnungen gefälscht haben, um Berufsverbote zu umgehen und Preisabsprachen organisiert haben, die ihr lukrative Aufträge aus dem Sportministerium sicherten. Zudem soll sie unzulässigerweise Fortzahlungen vom Staat kassiert haben. Karmasin selbst bestritt das, wurde aber durch eine umfangreiche Aussage ihrer ehemaligen Mitarbeiterin Sabine Beinschab schwer belastet.
Die Ex-Ministerin wurde heute nach einer Stunde Beratung in der Causa Studien für das Sportministerium (Vorwurf der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen) schuldig gesprochen. Der Richter verurteilte sie zu 15 Monaten bedingter Freiheitsstrafe. Die Untersuchungshaft wird ihr angerechnet. Vom Vorwurf des Betruges wurde sie hingegen freigesprochen. Karmasin verfolgte die Ausführungen des Richters mit steinerner Miene. Der Zweitangeklagte - ein Abteilungsleiter des Sportministeriums - wurde freigesprochen. Ihm sei im Zweifel kein Vorsatz nachweisbar.
Richter: Kronzeugin Beinschab war glaubwürdig
Der Richter erklärte in seiner Urteilsverkündung, dass die Aussagen Karmasins nicht glaubwürdig seien. Sie habe vom Wettbewerb um die Vergabe gewusst und auch die gehörten Zeugen seien hier glaubwürdig gewesen. "Die Absprachen waren unstrittig, die waren jedenfalls rechtswidrig." Auch die Aussagen von Kronzeugin Beinschab seien glaubwürdig gewesen, sie sei unmittelbare Täterin gewesen.
Laut Richter sei es erstaunlich, dass Karmasin glaube, dass ihr ein Gericht glauben könnte, dass sie beim Betrugsvorwurf das mit der Fortsetzung der Zahlungen nicht gewusst habe. Sie sei sich dessen sehr wohl bewusst gewesen und habe falsch gehandelt. Er verhandle Betrugsfälle seit vielen Jahren, "Betrug und der Vorsatz ist so eindeutig, wie wir es hier selten haben". Der Bund sei durch die Auszahlung geschädigt worden. Dennoch werde sie vom Vorwurf des Betruges freigesprochen. Tätige Reue liege vor, deshalb der Freispruch, innere Umkehr sei aber keine zu erkennen. "Einziger Grund, dass Sie zurückbezahlt haben, war, dass Sie straffrei werden wollten."
Karmasins Verteidiger Norbert Wess gab kein Statement ab, der Richter schloss die Verhandlung, Karmasin verließ den Saal. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben nun drei Tage Zeit, Rechtsmittel einzulegen.
So verlief der letzte Verhandlungstag
Bevor sich die je drei Laien- und Berufsrichter zu ihren Beratungen zurückgezogen haben, wurde am Beginn der Verhandlung ein mitangeklagter Beamter aus dem Sportministerium noch einmal einvernommen. Karmasin schüttelte bei seinen Ausführungen mehrfach den Kopf. Zuvor war es um das Vermögen der früheren Ministerin gegangen. Diese wollte sich dazu zu Prozessauftakt nicht äußern, der Richter wandte sich daraufhin an den Rechnungshof. Das Ergebnis, das er im Großen Schwurgerichtssaal vorlas: Karmasin habe zuletzt zwei Eigentumswohnungen am Mondsee, eine Eigentumswohnung im Wiener Bezirk Josefstadt, eine weitere Mieteigentumswohnung in Wien, Unternehmensanteile an mehreren Firmen sowie ein Barvermögen in Höhe von einer Million Euro besessen.
"Kein Spielraum für Zweifel"
Die Staatsanwaltschaft hielt ihr Schlussplädoyer und sah eine klare Beweislage, es gebe "keinen Spielraum für Zweifel" an der Schuld der früheren Politikerin. Es zeige sich eindeutig, dass Karmasin (bewusst) zu Unrecht Fortzahlungen bezogen und Scheinrechnungen gelegt habe. Sie habe "konsequent gegen das Gesetz verstoßen" und sich dank Scheinrechnungen des vorsätzlichen, schweren Betrugs schuldig gemacht. Sie habe zudem erst aufgehört und das zu Unrecht bezogene Geld zurückgezahlt, als sie (fast) schon aufgeflogen sei. Von tätiger Reue sei damit keine Spur.
Und auch die Schuld des Zweitangeklagten (Abteilungsleiter im Sportministerium) sei erwiesen, er habe Karmasin ermöglicht, sich ihre Mitbieter bei den Umfrage-Angeboten quasi auszusuchen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft habe für all das Beweise vorlegen können. Man beantrage daher einen Schuldspruch für beide Angeklagte. Es müsse ein Zeichen gesetzt werden, dass es keine Zweiklassenjustiz gebe und es Sanktionen für ein solches Fehlverhalten gebe. Damit nicht der Eindruck entstehe, "die da oben" könnten es sich richten.
Der zweite Staatsanwalt fügte hinzu, dass Karmasin eines der höchsten Ämter im Staat bekleidet habe, das auch gut entlohnt werde und die mit einer Vorbildfunktion einhergehen. Doch Karmasin habe Republik und Staatsbürger massiv geschädigt. Lediglich die Rückzahlung könne sich strafmildernd auswirken, dass die ehemalige Ministerin strafrechtlich unbescholten ist, sei kein ausreichender Grund. Eine Freiheitsstrafe "im oberen Bereich" (Höchststrafe drei Jahre) sei angebracht, der Staatsanwaltschaft schwebe eine unbedingte Geld- und bedingte Freiheitsstrafe vor.
"Sie müssen freisprechen"
Im Anschluss war Karmasins Verteidiger Norbert Wess am Wort. Er sei nach 20 Jahren Berufserfahrung "zutiefst davon überzeugt", dass seine Mandantin keine strafrechtlich relevanten Handlungen gesetzt habe. Es habe keine unerlaubten Zahlungsflüsse gegeben, bei den Fortzahlungen sei Karmasin schlicht naiv gewesen, die Rückzahlung sei jedoch mit Sicherheit freiwillig passiert. Auch die Republik sei "zu keinem Zeitpunkt" geschädigt worden, der Tatbestand sei nicht erfüllt.
Man müsse die Fakten sehen, "egal, ob Ihnen Frau Dr. Karmasin sympathisch ist, oder nicht". An die Schöffen gerichtet sagt Wess: Wenn Sie sich nicht vollkommen sicher seien, "dann müssen Sie freisprechen". Wess endete sein Schlussplädoyer mit einer Antwort auf die Frage, ob Sabine Beinschab als Kronzeugin glaubhaft sei. Sie sei in einem vorherigen Job fristlos entlassen worden und dankbar gewesen, in Karmasins Firma untergekommen zu sein. Details dazu "behalte ich mir für ein anderes Verfahren auf".
Karmasin: "Ich bin kein Opfer"
Am Ende der Plädoyers ist der Verteidiger des Zweitangeklagten dran. Sein Mandant habe keine strafrechtlich relevanten Handlungen gesetzt. Er habe sich maximal "ungeschickt angestellt", aber immer versucht, alles "bestmöglich" zu machen. Auch er fordert einen Freispruch.
Karmasin selbst hat das Schlusswort. Sie habe noch nie zur U-Haft Stellung genommen, doch sie sei dabei nicht gut behandelt worden. Viermal in der Nacht wurde in ihrer Zelle das Licht angedreht und das sei nur eine der schlechten Erfahrungen, die sie in der Haft gemacht habe. "Ich bin kein Opfer, wie Sie mich hier darstellen. Ja, ich habe Fehler gemacht." Aber sie sei hier nicht für alles verantwortlich zu machen. Sie bereue ihre unrichtigen Bezüge "zutiefst" und habe den Schaden "deshalb mehr als wiedergutgemacht". Sie sei damals schlicht "verzweifelt" gewesen.
Sie habe Beinschab damals aufgefangen, "wenn sie weinend in meinem Büro war", und ihr Aufträge verschafft. Und nun spiele sie zu Unrecht "die Arme". Und bei den Aufträgen habe sie sich von Ministerium "einspannen lassen", sie habe aber sicher niemanden geschädigt. Es sei ja nicht die Frage gewesen "Wo war meine Leistung", sondern wer wurde geschädigt. "Und es gibt niemanden."