Kein Blick wird ausgetauscht zwischen der Angeklagten und der Zeugin, als diese am Dienstagvormittag den großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts betritt. Die beiden kennen einander gut – und wurden einander zum Verhängnis.
Die Angeklagte ist die ehemalige Familienministerin Sophie Karmasin. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr schweren Betrug vor: Sie soll in einer Zeit, in der sie nichts verdienen hätte dürfen, trotzdem Projekte durchgeführt haben, die Rechnungen aber verfälscht haben. Und sie soll Preisabsprachen organisiert haben, die ihr lukrative Aufträge aus dem Sportministerium sicherten.
Die Zeugin ist Sabine Beinschab, für die anklagende WKStA so wertvoll, dass sie Kronzeugenstatus erhalten hat. Ihre Aussage legt in einem anderen Verfahren nahelegen, Mitarbeiter von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) über das Inseratenbudget des Finanzministeriums ein Bestechungsschema organisiert hätten. Alle Beschuldigten bestreiten das.
"Am Tag X war ich völlig blank"
Auch Sophie Karmasin bestreitet an ihrem dritten Tag vor Gericht neuerlich ihre Schuld. Sie wirkt gefasst, reagierte nur zeitweise enerviert auf die Nachfragen von Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic. Abermals räumt die Ex-Ministerin Fehler bei der Rechnungslegung ein. Davor hätte sie immer Mitarbeiter gehabt habe, die das erledigt hätten. Nach ihrem Ausscheiden aus der Politik wollte sie eigentlich bei einem Schweizer Unternehmen anheuern, erhielt dann aber eine Absage. "Am Tag X war ich völlig blank", sagte sie. Eine böse Absicht stecke aber nicht dahinter – sie hätte am Tag ihrer Verhaftung veranlasst, dass das zu Unrecht bezogene Geld wieder zurückgezahlt wird. Karmasin drohen bis zu drei Jahre Haft, noch im Mai wird ein Urteil erwartet.
Die Aussage von Beinschab wird für das Urteil des Schöffensenats von großer Bedeutung sein. Der WKStA gab sie in insgesamt 69 Stunden detailliert Auskunft. Am Dienstag trat sie erstmals vor Gericht auf.
Selbstbewusst, sortiert und konzentriert antwortete sie mehr als fünf Stunden lang auf die Fragen von Richter, Staatsanwälten und Karmasins Verteidiger. Sie lobte ihre ehemalige Chefin für ihre interessanten Vorträge, für alles, was sie lernen durfte: "Sie war meine Chefin, mein Vorbild, ich habe zu ihr aufgeschaut", sagte Beinschab: "Sie hat das ausgenutzt."
Abhängig von der Familie Karmasin
Beinschab skizzierte ihre große Abhängigkeit von der Familie Karmasin, bei der als 22-Jährige ("Ich war ein junges Mädchen") anheuerte: "Ich hatte Sorge, wenn ich nicht tue, was von mir verlangt wird, dass ich keine Aufträge von der Familie Karmasin mehr bekomme."
Dann legte sie dar, wie sie Aufträge sie für Sophie Karmasin ausgeführt haben soll. Wie sie zwanzig Prozent Provision an Karmasin zahlte für alle Aufträge, die sie ihr vermittelte - inklusive der berüchtigten Studien für das Finanzministerium. Wie Karmasin sich nach ihrem Anteil erkundigte: "Me included right?" Wie dafür Scheinrechnungen vom Unternehmen von Karmasins Mann gestellt wurden, weil Karmasin als Ministerin und danach wegen Gehaltsfortzahlungen Berufsverbot hatte. Wie sie für Angebote, die sie an das Sportministerium stellen sollte, "komplette Anweisungen" von Karmasin bekam: "Die Inhalte sind von ihr gekommen, meine Preise auch." Für diese Praxis, die System gehabt habe, wurde sie in der Vorwoche vom Kartellgericht verurteilt, erzählt Beinschab.
Sophie Karmasin schüttelt während Beinschabs Aussage mehrfach vehement den Kopf. Das "Sabinchen", wie sie ihre Vertraute im Handy eingespeichert hatte, als die WKStA es ihr abnahm, vermeidet konsequent, sie anzusehen. Am Dienstag wird der Prozess fortgesetzt.
Veronika Dolna