Im ZiB-2-Interview am Mittwochabend zu den Entlassungsmaßnahmen gegen die Teuerung ließ Bundeskanzler Karl Nehammer mit einer überraschenden Aussage aufhorchen: "Sie vergessen: Die Armut war unter dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Christian Kern höher", sagte er zu Armin Wolf. Stimmt das?
Christian Kern war von Mai 2016 bis Dezember 2017 SPÖ-Bundeskanzler und damit annähernd so lange im Amt, wie Karl Nehammer es derzeit ist. Die wirtschaftliche Situation unterschied sich damals deutlich von heute: Die Inflation betrug im Jahr 2017 2 Prozent, die Arbeitslosigkeit lag bei 8,5 Prozent. Aktuell liegt die Inflation im Vergleich zum Vorjahr bei 9,8 Prozent, die Arbeitslosenquote bei 6,2 Prozent.
Auf die Armutsstatistik wirkt sich das allerdings kaum aus. Zum Vergleich werden die SILC-Zahlen herangezogen, die jährlich veröffentlicht werden, zuletzt im April. Der Statistik zufolge galten im Jahr 2022 – also im ersten vollen Jahr, in dem Nehammer Bundeskanzler war – in Österreich 1.555.000 Menschen als von Armut und Ausgrenzung gefährdet. Die Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdungsquote liegt damit bei 17,5 Prozent, ein Plus von 0,2 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr.
Vergleicht man diese Zahlen mit dem Jahr 2017 – jenem Jahr, in dem Christian Kern fast zur Gänze Bundeskanzler war –, hat sich das Bild kaum verändert. Damals waren laut EU-Definition 1.563.000 Menschen armuts- oder ausgrenzungsgefährdet (um 8000 mehr als derzeit). 2017 waren das 18,1 Prozent der Bevölkerung (0,6 Prozentpunkte mehr als bisher). Der Trend zeigte vor sechs Jahren allerdings in die andere Richtung: In Vergleich zu 2016 war die Armut um 2 Prozentpunkte gesunken. Bis zum Jahr 2020 nahm die Armutsquote kontinuierlich ab, seit Corona steigt sie wieder.
Punktueller Vergleich zwischen 2017 und 2022
Vergleicht man – wie Nehammer es tut – punktuell die Regierungszeit von Christian Kern und seine eigene Amtszeit, ist die Statistik eindeutig: Die Armutssituation in Österreich ist in diesen Betrachtungsräumen nahezu ident.
Einen Unterschied gibt es allerdings: Im Jahr 2017 galten 323.000 Menschen, das waren 3,7 Prozent der Bevölkerung, als manifest arm. Im Jahr 2022 gibt es zwar entgegen dem Trend der vergangenen Jahre wieder einen Zuwachs in dieser Kategorie. Im Vergleich zu 2017 ist die Zahl aber doch deutlich geringer: Derzeit gelten 201.000 Menschen oder 2,3 Prozent der Bevölkerung als erheblich materiell und sozial benachteiligt.
Veronika Dolna