Als Präsidiumsmitglied der Salzburger ÖVP haben Sie Verhandlungen mit der FPÖ zugestimmt. Warum?
KAROLINE EDTSTADLER: Weil demokratische Ergebnisse anzuerkennen sind und weil das, was Wilfried Haslauer vorhatte, nämlich eine breite Allianz für Salzburg, am Widerstand der SPÖ gescheitert ist. Ein erfahrener Landeshauptmann wie Wilfried Haslauer ist imstande, eine gute Zusammenarbeit mit der FPÖ zu etablieren.

Die SPÖ ist schuld, dass in Salzburg Schwarz-Blau kommt? Ist das Ihr Ernst?
Haslauer wollte mit einer breiten Allianz aus ÖVP, FPÖ und SPÖ das Bundesland regieren. Das hätte ich als gutes Signal empfunden, um zu zeigen, dass man Gräben zuschütten kann. Das hat die SPÖ abgelehnt.

Haslauer hat, wie zuvor in Niederösterreich Johanna Mikl-Leitner, im Wahlkampf signalisiert, nicht mit der FPÖ koalieren zu wollen. Hat die ÖVP ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Ich bin Verfassungsministerin, man muss demokratische Ergebnisse anerkennen. Haslauer hat auch nach der Wahl betont, dass seine Skepsis gegenüber Herbert Kickl aufrecht bleibt. Ich will nichts schönreden. Es gibt in der FPÖ Strömungen und Tendenzen, die ich zutiefst ablehne. Das wird man in den Verhandlungen berücksichtigen müssen.


Folgt man der Argumentation, heißt das, ÖVP und FPÖ werden auch im Bund zusammenarbeiten ...
Das ist reine Spekulation. Den Usancen nach wird die stärkste Partei mit der Regierungsbildung beauftragt. Es gab aber auch schon andere Varianten, ich erinnere an Wolfgang Schüssel und das Jahr 2000. Vielleicht sind auch Dreier-Konstellationen möglich. Wir haben jetzt über ein Jahr Zeit, die Menschen davon zu überzeugen, dass die Regierung gute Arbeit leistet. Das muss auch gut kommuniziert werden, ich nehme die Medien nicht aus. Sonst leisten wir jenen Strömungen Vorschub, die extreme Ansichten propagieren. Wir haben es bei der FPÖ mit einer Partei zu tun, die den Leuten einzureden versucht, dass es einfache Lösungen gibt – und das in einer Phase, wo alle Menschen krisenmüde sind. Man muss den Menschen klarmachen, was sie sonst bekommen. Herbert Kickl spekuliert ganz offen, dass er Bundeskanzler werden könnte.

Sie waren unter Innenminister Kickl Staatssekretärin. Sie kennen ihn besser als viele: Hat er das Zeug zum Kanzler?
Die Vorstellung eines Herbert Kickl als Bundeskanzler ist für mich erschreckend. Für mich persönlich ist es nicht denkbar, mit Herbert Kickl und einer von ihm geführten Partei, die so agiert, zu koalieren. Wir müssen die Menschen davon überzeugen, dass es die Kraft der Mitte braucht. Es braucht auch eine geeinte SPÖ, ob in der Opposition oder in der Regierung – und keine Partei wie die FPÖ, die eine Festung bauen und Österreich damit isolieren will.

Karoline Edtstadler im Interview mit Veronika Dolna und Michael Jungwirth
Karoline Edtstadler im Interview mit Veronika Dolna und Michael Jungwirth © (c) © Georg Aufreiter (Aufreiter Georg)

Ist nur Herbert Kickl das Problem? Oder sind es auch andere Teile der FPÖ?
Für mich sind Freiheitliche, die Putins Propaganda im Nationalrat propagieren, einer "Orbanisierung" Österreichs das Wort reden, von einer Festung Österreich sprechen, ein Schreckgespenst. Wir dürfen nicht den Fehler machen, vor dem Schreckgespenst in die Knie zu gehen. Wir müssen endlich in die Gänge kommen und die Menschen informieren, was wirklich gelungen ist, etwa die umfassenden Maßnahmen gegen die Teuerung oder das Jahrhundert-Projekt, die Abschaffung der kalten Progression.

Kickl sucht offensiv die Nähe zu Viktor Orbán. Muss die ÖVP ihr Verhältnis zu Orbán überdenken?
Man muss zwei Dinge auseinanderhalten: die angebliche Nähe und eine faktische, geografische Nachbarschaft. Ungarn und Österreich sind direkte Nachbarn. Kanzler Karl Nehammer hat in Gesprächen mit Orbán und dem serbischen Präsidenten Vučić große Fortschritte in der Migrationspolitik erzielt. Es gibt einen Viktor Orbán, der geschickt in Ungarn die Stimmung für sich nützt, wenn er auch auf EU-Ebene poltert. In Brüssel hat er allen zehn Sanktionspaketen gegen Russland zugestimmt. Kickl will das hingegen blockieren.

Wie beurteilen Sie denn von außen die SPÖ derzeit?
Dazu will ich mich nicht äußern, von außen wirkt es chaotisch. Ich hoffe aus staatspolitischer Sicht, dass es bald Einigung und Klarheit gibt. Wir haben nichts davon, wenn sich frühere große Parteien der Mitte aufzulösen beginnen.

Würde die SPÖ anders mit Rendi-Wagner umgehen, wäre sie ein Mann?
Ich erlebe es auch, dass in der Politik mit Frauen anders umgegangen wird als mit Männern. Da ist noch viel zu tun, aber es braucht starke Frauen, die sich da auf die Füße stellen. Pamela Rendi-Wagner ist eine Kämpferin vor dem Herrn. Was sie alles über sich ergehen lassen muss, und dass sie trotzdem noch kämpft, das ist wirklich eine Leistung.

Apropos Gräben zu schütten: Die Regierung hat jetzt einen Versöhnungsprozess in Sachen Corona gestartet. In Niederösterreich hat man einen Fonds eingerichtet, um Coronastrafen zurückzuzahlen. Auch darf die Impfung nicht mehr beworben werden. Ist das eine Blaupause für den Bund?
Ich habe dazu klare Worte gefunden. Im Bund wird es das nicht geben, und ich gehe auch davon aus, dass das in Salzburg genauso ist.

Manche fordern, dass sich die Regierung für die Coronapolitik entschuldigt?
Ich glaube, es ist notwendig, diese Zeit aufzuarbeiten. Es war eine Zeit, in der Entscheidungen getroffen wurden, die niemand von uns geglaubt hat, jemals treffen zu müssen. Erinnern Sie sich an die Zeit, als das öffentliche Leben erlahmt ist, an Momente, wo es keine Beatmungsgeräte mehr gegeben hat, an Menschen, die vereinsamt sind, an Kinder, die immer noch darunter leiden. Es wurden in der Gesellschaft Gräben aufgerissen, es gibt aber auch die schweigende Mehrheit. Wir müssen dazu kommen, dass man sich wieder die Hände reicht, ohne sich in allem einig zu sein. Ich sehe keinen Grund, sich für etwas zu entschuldigen, denn das würde voraussetzen, dass jemand schuld ist. Aber es ist keiner schuld an diesem Virus.

Ein ähnlich polarisierendes Thema sind die Sanktionen gegen Russland, die von manchen als einziger Grund dafür gesehen werden, dass die Teuerung so in Österreich angekommen ist. Wie kann man da die Gräben zuschütten?
Auch hier mit Aufklärung. Wenn man der russischen Propaganda folgt, sind die Sanktionen für die Teuerungen, die Energiekrise, für die Inflation verantwortlich. Faktum ist aber, dass es bereits vor dem russischen Angriffskrieg die Inflation gab. In meiner Welt und auch völkerrechtlich geht es sich nicht aus, dass ein Land im 21. Jahrhundert mit Waffengewalt ein anderes Land überfällt. Ja, wir spüren die Auswirkung, aber Russland noch viel mehr.

"Es ist kein Geheimnis, dass ich ein internationales 'Zweitherz' habe"
"Es ist kein Geheimnis, dass ich ein internationales 'Zweitherz' habe" © (c) © Georg Aufreiter (Aufreiter Georg)

Die Schweden und Finnen sind der Nato beigetreten. Das heißt   jetzt nicht, dass wir gleich die Neutralität über Bord werfen müssen und in die Nato gehen. Fehlt es nicht an einer ehrlichen sicherheitspolitischen Debatte?
Sie haben es in Ihrer Frage selbst formuliert: Es geht nicht um "Nato – Ja oder Nein" oder" Neutralität – Ja oder Nein". Was bedeutet denn Neutralität überhaupt? Wir müssen wehrfähig sein angesichts eines Krieges, der wenige Hundert Kilometer von Österreich entfernt tobt. Wir brauchen die enge Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, auch im Hinblick auf ein europäisches Raketenabwehrsystem.

Schützt uns die Neutralität?
Allein natürlich nicht, aber die Neutralität hat uns in den letzten Jahrzehnten gute Dienste erwiesen. Wir waren lange in der glücklichen Situation, davon ausgehen zu können, dass keine konventionellen Kriege mehr stattfinden. Jetzt müssen wir allerdings auch unsere Wehrfähigkeit aufbauen und darüber nachdenken, wie wir wieder zu Frieden kommen.

Wo sehen Sie persönlich Ihre Zukunft? Auf Bundesebene in Wien, auf europäischer Ebene in Brüssel oder in Salzburg?
Ich mache mit Leib und Seele und mit Inbrunst das, was ich jetzt machen darf. Es ist kein Geheimnis, dass ich ein internationales "Zweitherz" habe.

EU-Kommissarin in Brüssel?
Nihil petere, nihil recusare. Strebe nichts an, schlage nichts aus.