Von Freunden zu Feinden: In einem umfassenden Geständnis hatte die Meinungsforscherin Sabine Beinschab ihre frühere Chefin, Mentorin und Vertraute Sophie Karmasin schwer belastet und sich so selbst den Kronzeugenstatus gesichert.
Heute sollte Beinschab die Vorwürfe als Zeugin im Wiener Landesgericht wenige Meter vor der früheren Familienministerin Karmasin wiederholen. Gegen Mittag traf Beinschab im Gericht ein, ihre Einvernahme wurde allerdings aus zeitlichen Gründen abgesagt. Beinschab wird nun am 16. Mai befragt. Dadurch verschieben sich auch die Urteile: Statt am 9. Mai dürften sie voraussichtlich am 23. Mai fallen.
Zu Beginn des heutigen Verhandlungstages war die dritte Meinungsforscherin, mit der sich Karmasin abgesprochen haben soll, am Wort: "Ich wusste von Anfang an, dass das nicht in Ordnung ist", sagte sie. Ein Beamter des Sportministeriums sagte aus, dass die durch die Ex-Ministerin durchgeführten Studien völlig zufriedenstellend gewesen seien.
"Definitiv nicht", hätte Karmasin aber in Gesprächen vorab den Zuschlag erhalten, widersprach er der ehemaligen Familienministerin unter Wahrheitspflicht. Auch der zuständige Sektionschef kann sich nicht erklären, wie die Ex-Politikerin auf diese Idee gekommen ist. Karmasin wirkt heute gefasster als noch am Dienstag, hört den Zeuginnen konzentriert zu und macht sich detaillierte Notizen.
Kronzeugin Beinschab
Der ehemaligen Familienministerin auf ÖVP-Ticket drohen bis zu drei Jahre Haft wegen schweren Betrugs und Wettbewerbsabsprachen – beides Vorwürfe, auf die die Ermittler durch Beinschabs Geständnis stießen. Beim Prozessauftakt am Dienstag bezeichnete Karmasin die Darstellungen ihrer früheren Vertrauten Beinschab immer wieder als unwahr – und plädierte auf Freispruch. Am 9. Mai sollen Urteile fallen. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Ihre heutige Aussage vor Gericht wäre Beinschabs erster öffentlicher Auftritt gewesen, seit sie durch das "Beinschab-Österreich-Tool" in den Fokus von Ermittlern, Politik und der Öffentlichkeit geriet. Um die Inseraten-Affäre, die die Volkspartei verfolgt, geht es im laufenden Prozess aber nur am Rande: Nachdem Beinschab in der Causa festgenommen worden war, hatte sie den Ermittlern weitere mutmaßliche Straftaten gebeichtet – und dabei eben Karmasin belastet.
Beinschabs Aussagen könnten dennoch auch für mögliche weitere Prozesse in der Inseraten-Affäre rund um Ex-Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz und die Boulevardmedien "Kronen Zeitung", "Heute" und "Österreich" relevant sein. Immerhin sind auch Provisionen, die die Meinungsforscherin der Ex-Ministerin über deren Mann zukommen ließ, Teil der heutigen Anklage.
Verbotener Nebenverdienst
Konkret hatte Karmasin nach ihrem Ausscheiden als Ministerin 75.589,95 Euro an Gehaltsfortzahlung bezogen. Daneben hätte sie nichts verdienen dürfen. Das wusste die Ex-Ministerin auch, zeigen E-Mails. Dennoch hatte sie noch als Ministerin von Beinschab Provisionen für deren teils manipulierte Studien für das Finanzministerium bezogen – und Aufträge über 31.910 angenommen.
Seine Mandantin habe das Geld zurückgezahlt und somit tätige Reue bewiesen, findet Karmasins Anwalt. Die WKStA sieht das anders: Die Ex-Ministerin hatte erst zurücküberwiesen, nachdem sie aufgrund der ÖVP-Inseraten-Affäre in U-Haft genommen worden war, und die ZiB 2 auf das Nebenverdienstverbot aufmerksam gemacht hatte.
Zu Beginn des heutigen Prozesstages legte die WKStA weitere Unterlagen vor, die Karmasins Argumentation, sie hätte die Provision nur für die Vermittlung zwischen Beinschab und Thomas Schmid erhalten, widerlegen sollen. Auch soll Karmasin bereits im November und Dezember 2017 die grundsätzliche Zusammenarbeit mit Beinschab in einem "Business-Modell" schriftlich zusammengefasst und ausgearbeitet haben.
Erst durch Beinschabs Aussagen waren die Ermittler in dieser Causa auf Karmasins Spur gelangt. Die Meinungsforscherin versorgte die Staatsanwaltschaft auch mit Indizien. So schrieb Karmasin etwa am Ende ihrer Gehaltsfortzahlung im Juni an Beinschab: "Ich kann jetzt abrechnen." Sie sei damals Geschäftsführerin eines Unternehmens geworden und hätte wieder Rechnungen stellen können, erklärte das die Ex-Ministerin vor Gericht: "Ich habe das zu leichtfertig betrachtet." Womöglich widerspricht ihr Beinschab heute. Anders als die Beschuldigte Karmasin dürfen die Zeuginnen vor Gericht nur die Wahrheit sagen.
Abgesprochene Angebote
Im zweiten Anklagepunkt der Preisabsprachen sieht Karmasins Anwalt gar keinen Rechtsbruch. Seine Mandantin hätte zwar andere Meinungsforscherinnen aufgefordert, schlechtere Angebote an das damalige Sportministerium zu stellen. Allerdings hätte die Ex-Ministerin schon zuvor einen Zuschlag des Ministeriums erhalten, es hätte sich um reine "Dokumentationsangebote" für das Ministerium gehandelt, so Karmasin: Nur sie hätte die Expertise gehabt, diese Studien durchzuführen.
Karmasin habe ihr gesagt, "dass sie den Auftrag bekommen sollte, dass das schon mehr oder weniger klar ist", sagte heute die dritte Meinungsforscherin vor Gericht. Doch "im letzten Moment" seien "diese Vergleichsangebote notwendig" geworden, habe ihr Karmasin erklärt: "Es wurde mir vorgegeben, wie das Angebot auszusehen hat."
Zeuge: Keine Zusage an Karmasin Anfang April 2019
Die frühere Familienministerin hatte am Dienstag vor Gericht auch erklärt, bereits bei einem Gespräch mit dem Ministerium am 5. April – und damit vor der Ausschreibung – eine fixe Zusage erhalten zu haben: Es sei "eindeutig gewesen, dass der Auftrag bereits vergeben war". Das stimme "definitiv nicht", sagte heute ein Beamter des Sportministeriums unter Wahrheitspflicht und mit Blick auf mitgebrachte Notizen: Seine Abteilung habe keine Freigabe des Ministeriums gehabt, "alleine schon aus verhandlungstechnischen Gründen" hätte man zu diesem frühen Zeitpunkt "sicher keine Zusage" gegeben. Warum Karmasin dachte, eine Zusage zu haben, kann sich auch der Sektionschef nicht erklären.
Am Ende sei Karmasin allerdings aus seiner Sicht Bestbieterin gewesen, sagte der Beamte. Ihr Konzept hätte ohnehin überzeugt, Gegenangebote habe man nur eingeholt, weil es eine entsprechende Anweisung im Ministerium gegeben hatte – und aus verhandlungstaktischen Gründen. Grundsätzlich gelte aber: "Wenn ich ein Auto von Lexus kaufen will, brauche ich nicht zu Mercedes und BMW gehen und fragen, was es kostet, wenn sie mir den Lexus nachbauen."
Projekt mit dem Sektionschef
Bei der zweiten Studie hätte "das Gleiche in Hellgrün" stattgefunden. Selbst falls jemand seitens des Ministeriums eine Zusage gegeben hätte, hätte er garantiert interveniert, dass es auch hier in den Vorgesprächen noch keine Freigabe des Ministeriums gegeben habe, erklärte der Beamte. Richter Aulebauer fragte genau nach, ob der damalige Sektionschef auf Karmasin gedrängt habe. Nein, sagte der Beamte.
Hintergrund für die Fragen des Richters ist ein Mailverlauf zwischen Karmasin und dem damaligen Sektionschef, in dem die Ex-Ministerin zunächst über zu wenig Aufträge als Meinungsforscherin klagt: "Da finden wir eine Lösung, telefonieren wir nächste Woche", antwortete der Sektionschef zunächst und später: "Wir werden ein Projekt erarbeiten." Karmasin: "Echt? Bist und bleibst Spitze." Der Kommunikation sei nichts hinzuzufügen, findet der Spitzenbeamte. Er sieht darin allerdings kein Versprechen an die ehemalige Ministerin.
Dritte Ausschreibung
Ihr sei nicht gesagt worden, dass Karmasin den Auftrag erhalten solle, sagte eine weitere Beamtin des Sportministeriums, die für die Vergabe des dritten Auftrags zuständig war. Ihr Auftrag sei gewesen, sich an die vorangegangenen Akten zu halten. Sie habe nur Angebote von Karmasin, Beinschab und der dritten Meinungsforscherin eingeholt, "weil das zuvor auch so gemacht wurde", erklärte die Beamtin.
Ob das ihr bereits vor der Ausschreibung vorliegende fertige Karmasin-Konzept und der Ausschreibungstext nahezu ident gewesen seien, wisse sie nicht mehr. "Dass man das in Wahrheit 1:1 von der Frau Dr. Karmasin übernommen hat", sehe man allerdings im elektronischen Akt des Ministeriums nicht, hielt Karmasins Verteidiger Wess vor. "Das kann sein", antwortete die Beamtin, die sich nicht mehr erinnern kann, was genau im Akt steht.
"Falsche Loyalität" und "schlechtes Gewissen"
Eine Gegenleistung hätte sie für ihr "Scheinangebot" zunächst nicht erhalten, erklärte die dritte Meinungsforscherin: "Ich wurde um einen Gefallen gebeten und obwohl ich die Frau Karmasin in dem Moment noch gar nicht persönlich kannte, hatte ich das Gefühl, dass ich wieder in einem Team bin, das ich vorher verloren habe." Sie selbst hätte die Studien "auf keinen Fall machen können", sie sei aber auch auf kleinere Subaufträge spezialisiert. Sie habe eigentlich nie mit Endkunden zusammengearbeitet, sondern immer mit anderen Instituten. Auch zum "Mind-Behaviour-Gap" – zentral für die erste Ausschreibung – habe sie keine Expertise: "Ich wäre sicher nicht ein Ansprechpartner gewesen."
Dennoch habe sie am Projekt dann über Subaufträge "ein wenig mitgearbeitet". Einen unangemessen hohen Wert habe sie dafür nicht erhalten, "das habe ich auch nicht erwartet". Womöglich sei sie "naiv" gewesen oder eine "falsch verstandene Loyalität" empfunden. Beim dritten Angebot habe sie nicht mehr mitgemacht: "Ich wusste ja von Anfang an, dass das nicht in Ordnung ist." Von Anfang an habe sie "ein schlechtes Gewissen gehabt", dann hätten die Medien über Chats berichtet: "Wenn sie den Auftrag bekommt, bekommt sie ihn. Aber ich wollte nicht mehr mithelfen, dass sie ihn bekommt." Auch gegen die heutige Zeugin hatte die WKStA ermittelt, sie erhielt allerdings - anders als Karmasin - eine Diversion.
Karmasin-Anwalt: "Unschön", aber "rechtlich wurscht"
"Ich habe niemanden geschädigt oder getäuscht", hatte Karmasin am Dienstag vor Gericht betont. "Wo kein Wettbewerb eröffnet wird, kann auch kein Wettbewerb geschehen", befand ihr Anwalt. Das Geschehene sei "unschön", aber "rechtlich völlig wurscht". Der zweitangeklagte Beamte des Sportministeriums hatte am Dienstag ebenfalls auf Freispruch plädiert.
Auch diesen Vorwurf hatte Beinschab aufgebracht. Immerhin war sie eine der beiden anderen Meinungsforscherinnen, die Scheinangebote gelegt haben sollen. Vor Gericht war Karmasin bemüht, diesen ihren Wert abzusprechen. Widerspricht Beinschab, dürfte dies die Argumentation der Ex-Ministerin deutlich schwächen. Dies muss allerdings an einem anderen Tag stattfinden: Da die Befragung des dritten Zeugen länger als erwartet gedauert hatte, sei eine weitere Befragung aus Sicht von Richter Aulebauer den Schöffinnen und Schöffen nicht zumutbar. Beinschab wurde daher noch vor ihrer Befragung am heutigen Donnerstag nach Hause geschickt, es wird ein neuer Termin gesucht.
Maximilian Miller