Am Donnerstag warnte die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV), Elisabeth Potzmann, vor dem Zusammenbruch des österreichischen Gesundheitssystems. "Bereits zwei Patienten mussten so lange auf die Versorgung in der Notfallambulanz warten, dass sie in der Zwischenzeit, vom Personal unbemerkt, verstorben sind", wird eine anonyme Krankenpflegerin vom ÖGKV zitiert.
Heute legte Potzmann im Gespräch mit dem "Ö1-Morgenjournal" nach: Die Überlastung der Spitäler "ist nicht regional begrenzt. Wir können sie überall feststellen", sagte sie. Es mangle an Personal und akzeptablen Arbeitsbedingungen. Tatsächlich ist die Lage in allen Bundesländern angespannt. In den Wiener Krankenanstalten sind rund 800 Betten gesperrt, in Oberösterreich fast jedes zehnte. In Linz herrscht wegen des Nachholbedarfs bei Operationen regelrechter "Kampf um OP-Slots". Noch dürfte die Notfallversorgung im ganzen Land aufrechterhalten werden können. Das könnte sich aber bald ändern: Seit Jahren ist bekannt, dass bis 2030 mehr als 76.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden.
ÖGKV sieht mangelndes Commitment zur Pflege
Für die Soforthilfe fordert Potzmann mehr Geld für die Pflegerinnen und Pfleger. Sie verweist darauf, dass aufgrund des Personalmangels die Gehälter der Spitalsärztinnen und -ärzte bereits angehoben wurden. In anderen Bereichen würden die Verantwortlichen nach dem Motto "Koste es, was es wolle" agieren. "In der Pflege sehen wir dieses Commitment noch nicht", sagte sie in Ö1.
Für den ÖGKV lässt sich der Notstand im Gesundheitssystem aber nicht alleine durch finanzielle Mittel beheben. Es bedürfte einer grundlegenden Neuorganisation des Gesundheitswesens. Das würde auch mehr Kompetenzen und mehr Mitspracherecht für die Pflegerinnen und Pfleger bedeuten. Der Wiener Gesundheitsverbund hat bereits 16 Stationen als "versorgungskritische Bereiche" definiert. 500 Euro Prämie erhalten Pflegerinnen und Pfleger pro Dienst, wenn sie hier einspringen – zusätzlich zu den womöglich zusätzlich anfallenden Überstunden. In den ersten drei Wochen seien 290 Prämiendienste übernommen worden, berichtet das ORF-Radio.
Auch Rauch möchte strukturelle Reform
Eine "strukturelle Reform" peilt auch Gesundheitsminister Johannes Rauch an, sagte er gestern in der "ZiB2". Zwar wisse er, dass daran schon viele seiner Vorgänger gescheitert sind, probieren wolle er es dennoch. Er verwies auch darauf, dass sein Handlungsspielraum bei den Spitälern eingeschränkt sei. "Die Dienstherren sind die Bundesländer", sagte der Vorarlberger. "Ich habe ihnen die Hand ausgestreckt, um bei den Finanzausgleichsverhandlungen zu unterstützen."
Kurz- bis mittelfristig möchte er die angespannte Situation in den Krankenhäusern durch mehr niedergelassene Kassenärzte entlasten. "Das würde den Zug in die Spitalsambulanzen einbremsen", sagte er. Dazu bräuchte es außerdem Pflegepersonal aus dem Ausland. Rauch sagt: "Dafür muss man die Kultur des Willkommens für die Arbeitskräfte, die wir brauchen, wieder pflegen."
Hohe Hürden zur Anrechnung
Eine grundsätzliche Übereinkunft, wieder mehr ausländische Arbeitskräfte nach Österreich zu holen, gibt es auch von Wirtschaftskammer und Arbeitsministerium. Denn klar ist: Helfende Hände fehlen an allen Ecken und Enden und nicht nur im Fachkräftebereich. Dem entgegen stehen gerade in der Pflege hohe Anforderungen zur Anrechnung von ausländischen Ausbildungen – und teils große Unterschiede zwischen den Bundesländern.
Die Caritas hat daher ein eigenes "Willkommenszentrum", das Pflegekräfte aus dem Ausland bei ihrem Weg in den Job begleitet. Gezielt angesprochen werden sollen etwa wieder Pflegekräfte aus den Philippinen werden. Doch auch hier spießt es sich: So musste eine Philippinerin etwa in ihre Heimat zurückreisen, um sich dort für die Arbeit in Österreich einen Strafregisterauszug zu holen. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) wünscht sich daher einen "Nostrifikationsgipfel". Wann und wo dieser stattfinden soll, ist aber offen.