Ein neues Papier bereichert die Palette an sicherheitspolitischen Dokumenten in Österreich: Erstmals hat das Verteidigungsministerium dem Parlament einen Landesverteidigungsbericht vorgelegt (Link zum Download). Er ist Standortbestimmung, Bedrohungsanalyse und Planungsdokument für das Bundesheer zugleich und wird ab nun jährlich mit dem Verteidigungsbudget erscheinen. Geregelt ist das alles im neuen Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz, das dem Militär die nötige Planungssicherheit für seine Modernisierung gewährleisten soll.
Aus dem "Aufbauplan 2032" bereits bekannt sind die Milliardensummen und die Schwerpunkte der Investitionen in das Militär der Zukunft. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), Generalstabschef Rudolf Striedinger und Planungschef Bruno Hofbauer erläuterten am Dienstag vor Journalisten die weiteren Zielsetzungen. "Wenn wir den neuen Bedrohungen begegnen wollen, müssen wir unsere Fähigkeiten steigern. Das Bundesheer ist nicht nur mehr strategische Reserve, es muss eine einsatzbereite Waffe der Republik sein", umriss Tanner die Aufgabenstellung.
In dem 60 Seiten starken Bericht liest sich das so: "Die Weiterentwicklung der gesamtstaatlichen Umfassenden Landesverteidigung (ULV) sowie die Neuausrichtung der militärischen Landesverteidigung sind mit Schwergewicht auf den hybrid agierenden, vorwiegend subkonventionell angreifenden irregulären staatlichen Gegner bzw. subkonventionell agierenden nicht staatlichen Angreifer auszurichten. Dies erfolgt im Wege des operativen Einsatzverfahrens Schutzoperation." Um das Bundesheer dazu befähigen zu können, sei eine Anhebung des Verteidigungsbudgets auf zunächst 1 Prozent des BIP, anwachsend bis zu 1,5 Prozent BIP, notwendig. Pensionszahlungen sind in dieser Berechnung inkludiert.
Ein Stadion voller Soldaten
Beibehalten wird die Mobilmachungsstärke des Bundesheeres von 55.000 Soldaten. Eine ohnehin "überschaubare Größe", die Hofbauer gerne mit dem vollen Happel-Stadion veranschaulicht. Alle diese Soldaten sollen aber auch "gleichzeitig im Inland in den Einsatz gebracht werden können", was derzeit mangels Ausrüstung und Fahrzeuge noch utopisch erscheint. Damit einhergehen die völlige Neuausrichtung und Stärkung der Miliz, deren Bedeutung sich in den letzten Jahrzehnten auf eine Personalreserve für Auslandseinsätze und den Grenzeinsatz reduzierte. Künftig sollen Milizanteile nicht nur die rasch einsetzbaren Reaktionskräfte beim Bundesheer verstärken, die Miliz soll generell deutlich mehr und öfter üben – vorerst ohne Verpflichtung.
Mit dem Landesverteidigungsbericht wird auch das Streitkräfteprofil "Unser Heer" aus dem Jahr 2021 nun erstmals öffentlich. Es ist das zentrale Dokument für die Streitkräfteplanung des Bundesheeres, dessen Fokus wieder auf den Heimatschutz gerichtet wird. Für Striedinger war die Auswahl des Profils "schon ein bisschen ein Vorgriff auf das, was 2022 passiert ist". Für Österreich bedeute das: Man werde auf absehbare Zeit kein Frontstaat sein. "Wir brauchen also nicht irgendwelche Truppen von uns irgendwohin an eine Frontlinie stellen", hält der ranghöchste Heeresoffizier fest. Der Schutz des Raumes dahinter – in der Luft wie am Boden – werde jedoch Österreichs entscheidende Beitragsleistung zur europäischen Verteidigung darstellen. Ziel eines jeden Landes ist laut Striedinger, den Rücken freizuhalten und "kein militärisches Vakuum entstehen zu lassen".
Was uns bedroht
Die aktuell wahrscheinlichsten Bedrohungen für Österreich sehen die Generäle im "grenzenlosen Bereich", also im Cyber- und Informationsraum. Nicht berechenbar sind nach Ansicht Hofbauers die Entwicklungen in der Domäne Luft, vor allem im Hinblick auf Hyperschallwaffen und von Künstlicher Intelligenz gesteuerte autonome Systeme. "Was wir nicht ganz wegstreichen können, ist das Wirksamwerden fremder Streitkräfte in Österreich, in welcher Form auch immer", ergänzt der Generalmajor. Geografisch gesehen müsse man nicht nur in den Osten Europas blicken, sondern auch die Entwicklungen am Balkan im Auge behalten.
Trotz der Schwerpunktsetzung auf die Landesverteidigung werde das Bundesheer seine Auslandsambitionen nicht einschränken, betonte Striedinger. Zum bisheringen Umfang (rund 1100 Soldaten permanent im Einsatz bzw. in der Einsatzvorbereitung) sei ein Zukunftsprojekt, einen "durchsetzungsfähigen Verband auf Batallionsebene" bereitzustellen. Bei den Spezialeinsatzkräften (Jagdkommando) sei das schon jetzt quasi auf Knopfdruck möglich. 2025 stellt das Bundesheer zudem das Logistikelement der neuen EU-Eingreifkapazität, die eine Weiterentwicklung der Battlegroup darstellt.