Ein echter Spionagefall wird heute am Wiener Landesgericht angeklagt: Im Sommer 2015 soll Österreichs Nachrichtendienst in der Operation "White Milk" einem syrischen General zu Asyl verholfen haben, damit der israelische Geheimdienst Mossad leichter an dessen Informationen kommt. Das Problem: Dem General wird die Folter syrischer Regimegegner vorgeworfen, gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien wegen Körperverletzung. Der Syrer bestreitet die Vorwürfe vehement, dennoch hätte er wohl nicht so einfach Asyl in Österreich erhalten können.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) klagt daher Österreichs ehemaligen Chefspion Bernhard P., Ex-BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss, zwei Chefinspektoren und einen damals ranghohen Vertreter des Bundesamtes für Fremdenrecht und Asyl (BFA) wegen Amtsmissbrauchs an. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung.

Grundversorgung trotz Mossad-Geldes

Auf die Causa gestoßen sei man, weil andere ranghohe BVT-Beamte sie zur Anzeige gebracht hätten, erklärte die WKStA. So habe man rekonstruieren können, dass eigentlich Frankreich für das Asylverfahren zuständig gewesen sei und das BVT gemeinsam mit dem BFA-Mitarbeiter gezielt versucht hätten, das Verfahren durch das Verstreichen einer Frist nach Österreich zu verfrachten. Mails zeigen, dass der BFA-Mitarbeiter detailliert beschrieben hat, wie man den Akt liegenlassen kann. Zusätzlich habe der General dann behauptet, er sei in Frankreich gefährdet: "Er druckt dort ein G'schichtl", erklärte die Staatsanwältin.

Dreieinhalb Monate später erhielt der Syrer tatsächlich einen positiven Asylbescheid. Obwohl der Mossad monatlich 5.000 Euro für ihn überwiesen haben, hätte er in Österreich auch noch Grundversorgung erhalten, so die WKStA. Das wäre womöglich Betrug, ein entsprechendes Verfahren wurde aber aufgrund von Verjährung eingestellt.

Außerdem sollen die BVT-Beamten nicht darüber informiert haben, dass sie den General untergebracht hatten, als das Justizministerium von der Commission for International Justice and Accountability (CIJA) über Foltervorwürfe gegen den Mann informiert wurde. Dass dem ehemaligen Leiter der syrischen Staatssicherheitsabteilung in Rakka Folter vorgeworfen wird, hätte eine andere österreichische Behörde "innerhalb von 20 Minuten" über eine reine Onlinesuche herausgefunden, so die WKStA. Laut der NGO Human Rights Watch soll sich eine Folterkammer direkt neben seinem Büro befunden haben.

Das BVT wurde aufgelöst, jetzt arbeitet die Justiz Vorgänge in Österreichs ehemaligem Geheimdienst auf
Das BVT wurde aufgelöst, jetzt arbeitet die Justiz Vorgänge in Österreichs ehemaligem Geheimdienst auf © APA/GEORG HOCHMUTH

Marsaleks Freunde

"Unser Verfassungsschutz darf sich nicht korrumpierbar machen, indem er potenzielle Menschenrechtsverbrecher für andere Geheimdienste in unserem Land zwischenparkt und umsorgt", kritisiert Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper. Es müsse klar sein, "dass im Verfassungsschutz rechtskonform gearbeitet wird und man sich nicht auf Spielchen einlässt". In Österreichs früherem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) dürfte aber öfter im Graubereich gearbeitet worden sein - oder direkt Recht gebrochen worden sein.

Im Zentrum der Vorwürfe steht immer wieder Martin Weiss. Der frühere Abteilungsleiter des BVT wurde später zu einem engen Vertrauten des flüchtigen Wirecard-Vorstandes Jan Marsalek – und soll diesem sogar zur Flucht verholfen haben. Über den früheren verdeckten BVT-Ermittler Egisto Ott soll Weiss ab 2018 für Marsalek Personen polizeilich abklären haben lassen. All das bestätigte der frühere BVT-Abteilungsleiter auch gegenüber der Staatsanwaltschaft, betonte aber, dass kein Geld geflossen sei.

Dem früheren Wirecard-Vorstand Jan Marsalek wurde von einem Ex-BVT-Abteilungsleiter zur Flucht verholfen
Dem früheren Wirecard-Vorstand Jan Marsalek wurde von einem Ex-BVT-Abteilungsleiter zur Flucht verholfen © petar pismestrovic

Laut Weiss stellte sich der mutmaßliche Wirtschaftsverbrecher Marsalek selbst "oft als Geheimdienstler dar" – und hatte Pläne für das BVT: "Damit waren nicht nur personelle Rocharden gemeint, sondern auch Strukturänderungen. Es wollte proaktiver auf die Wirtschaft zugehen", so Weiss 2018 gegenüber der Staatsanwaltschaft.

Damals versicherte er, nicht flüchten zu wollen, lebt seither allerdings in Dubai. Wegen einer Krankheit ist Weiss heute nicht vor Gericht erschienen, sein Verfahren wurde ausgegliedert. Das ist besonders problematisch, da er von den Beschuldigten in der Weisungskette am höchsten stand - und sich die anderen auf seine Anordnungen beziehen.

Durchsuchte Spione

Auch in der größten Schmach des BVT spielte Weiss eine unrühmliche Rolle: Der frühere Abteilungsleiter war einer der Hauptbelastungszeugen der WKStA im sogenannten BVT-Verfahren, das im Februar 2018 zur umstrittenen Hausdurchsuchung in Österreichs Geheimdienst geführt hatte. Grundlage war ein 39-seitiges Pamphlet, das im Herbst 2017 in Umlauf geraten war – und sich später als großteils falsch herausstellen sollte.

Als Folge der Durchsuchung zog sich das BVT aus dem "Berner Club", dem europäischen Geheimdienst-Netzwerk, zurück. Ein Untersuchungsausschuss brachte außerdem den Anschein politischer Postenbesetzungen im BVT auf. Ex-BVT-Direktor Peter Gridling äußerte etwa Bedenken an der fachlichen Eignung dreier ÖVP-naher Mitarbeiter. Mit dem früheren Chefspion des BVT steht einer davon heute auch vor Gericht.

Anschlag mit Folgen

Der Terroranschlag in Wien im Herbst 2020 ruinierte den ohnehin angeschlagenen Ruf des BVT endgültig. Kurz nach der Tat wurde bekannt, dass eine Warnung aus der Slowakei über den späteren Attentäter in der Behörde versandet war. Das Misstrauen und Informationsausschluss bei internationalen Geheimdiensten steigen weiter.

Kurz nach dem Anschlag kündige der damalige Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) an, das skandalgebeutelte Amt auf neue Beine stellen zu wollen. Unter dem Namen "Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst", kurz DSN, sollte eine klare Trennung zwischen Staatsschutz und Nachrichtendienst geschaffen werden, um Informationsverluste und Skandale einzudämmen.

Mühsame Reform

Bestehendes Personal musste sich teils neu bewerben und interne Hintergrundprüfungen bestehen, was zu einem Personalschwund führte, der dem Amt bis heute zu schaffen macht. Laut Szenenkennern sei vor allem die Rekrutierung von Nachrichtendienstlern schwierig, da sich diese erst ein Netzwerk aufbauen müssen und die DSN in der Personalansprache mit dem Heeresnachrichtenamt konkurriert. Zudem kam dem noch jungen Amt bereits im Jänner der für den Nachrichtendienst zuständige Vizechef David Blum abhanden.

"Grundsätzlich muss man sagen, dass die DSN unter Direktor Omar Haijawi-Pirchner bisher keine allzu schlechte Figur macht, auch der internationale Ruf hat sich verbessert", erklärt SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner. "Aber es gibt trotzdem noch viel Luft nach oben". So passiere die angekündigte Trennung der beiden Einsatzbereiche "in der Praxis deutlich weniger, was allein der Umstand zeigt, dass mit dem Abgang von Blum einfach der Direktor seinen Bereich übernommen hat."

Zudem sei es nicht zu verantworten, dass die angekündigte Kontrollkommission, die der Direktion auf die Finger schauen soll, weiterhin auf sich warten lässt. Über die Besetzung der inzwischen fünf Posten wird politisch heftig gerungen. Laut Einwallner müsste die Kommission bis Ende Mai bestellt sein. "Alles andere wäre nicht hinnehmbar."