"Heute"-Chefredakteur Christian Nusser merkte außerdem an, dass auch bei anderen Medien das Volumen öffentlicher Inseratengelder von 2016 auf 2017 in die Höhe schoss. "Was bedeutet es, wenn es diese 'exorbitanten Steigerungen' nicht nur im Boulevard, sondern über alle Medien hinweg gegeben hat?", fragt sich Nusser: "Gibt es da jetzt auch Hausdurchsuchungen?" Die Zuwächse in den drei Boulevardmedien stechen allerdings hervor. So gab das Finanzministerium 2020 etwa mehr als doppelt so viel Steuergeld für Werbung in "Heute" und "Österreich" aus als in der "Kleinen Zeitung" - obwohl die "Kleine Zeitung" mehr Menschen erreicht.

WKStA will alle Inseratenschaltungen überprüfen

Wie "Der Standard" am Montag berichtete, forderte die WKStA letzte Woche das Finanzministerium auf, sämtliche elektronische Akten der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit von 2015 bis 2022 zu übermitteln – auch jene über Inseratenschaltungen abseits von "Krone", "Österreich" oder "Heute". Die Verdachtslage erstrecke sich "auf eine Vielzahl von Schaltungen", und zwar "auch in anderen Medien".

Besonders belastet werden die Herausgeber der drei Boulevardblätter allerdings von dem früheren Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid. Auf einem Backup seines Handys hatten die Ermittlerinnen und Ermittler erst Chats und Indizien zum sogenannten "Beinschab-Österreich-Tool" gefunden. Im Sommer 2022 gestand Schmid unter anderem, für positive Berichterstattung über Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz Steuergeld missbraucht zu haben.

Dass Schmid auch den Herausgeber und Chefredakteur der "Kronen Zeitung", Christoph Dichand, und dessen Frau, "Heute"-Verlegerin Eva Dichand, schwer belastet hatte, blieb bis zu den Hausdurchsuchungen letzte Woche unter Verschluss. Konkret soll vor allem Eva Dichand auf Schmid eingewirkt haben, um mehr öffentliche Inserate in ihrem Medium zu erhalten und sicherzustellen, dass das Stiftungsrecht nicht zu ihrem Schaden abgeändert wird. Im Gegenzug hatte sich Schmid positive Berichterstattung über Kurz versprochen.

WKStA vermisst Informationsbedürfnis

Durch die Amtshilfeersuchen der WKStA könnte sich die Affäre auf weitere Medienunternehmen ausweiten. Die Behörde will sich einen Überblick über die gesamte Inseratenvergabe machen, "um Auffälligkeiten festmachen zu können". Immerhin nehmen die Staatsanwälte an, "dass die breitflächigen Inseratenschaltungen ab spätestens Herbst 2017 vorrangig der Sicherstellung einer in der breiten Medienlandschaft wohlwollenden Berichterstattung über Kurz und der ÖVP dienen sollte".

Als Beispiel dafür führt die WKStA etwa ein E-Mail der MG Mediengruppe GmbH aus dem Oktober 2017 an den damaligen Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im BMF an: "Ich habe noch einmal nachgeschaut, derzeit gibt es keine Kooperation mit dem BMF und ich würde mich freuen, wenn wir etwas zusammen machen", schreibt darin deren Geschäftsführer: "Gerne eine Kooperation: Anzeige und dazu redaktionelle Geschichte, Thema kannst du gerne vorschlagen." Es sei ersichtlich, "dass es in keinster Weise um ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit" ging, hält die WKStA fest. Ein solches muss aber vorliegen, bevor der Staat mit dem Einsatz von Steuergeldern wirbt.

Chronologie der mutmaßlichen Inseratenkorruption

März 2016: Eine interne Umfrage zeigt, dass die ÖVP mit dem damaligen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) um 15 Prozentpunkte besser abschneiden würde als unter dem damaligen Parteichef Reinhold Mitterlehner. Kurz präsentiert die Ergebnisse der Partei, stößt damit aber auf wenig Gegenliebe. Es musste daher ein unauffälligeres Werkzeug her, um die öffentliche und parteiinterne Meinung zu beeinflussen, vermutet die WKStA.

15. März 2016: "Gute News bei der Umfrage Front" überbringt der Generalsekretär des Finanzministeriums, Thomas Schmid, nach einem Treffen mit den Gebrüdern Wolfgang und Helmuth Fellner, die die Mediengruppe Österreich führen. Die damalige Familienministerin und frühere Meinungsforscherin Sophie Karmasin (ÖVP) soll ab März zwischen Schmid, der Meinungsforscherin Sabine Beinschab und den Gebrüdern Fellner vermittelt haben.

Im Gegenzug zu der Veröffentlichung von zu Kurz' Gunsten manipulierten Umfragen und der geschönten Berichterstattung inseriert das Finanzministerium fortan deutlich öfter in Medien der Gruppe Österreich, vermutet die WKStA.

Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung. Nur Schmid gestand der WKStA den bewussten Missbrauch von Steuergeld zugunsten von Ex-Kanzler Kurz. Die Mediengruppe Österreich hält fest, dass es niemals eine Vereinbarung zur Finanzierung von Umfragen durch Inserate gegeben habe.

9. Mai 2016: Werner Faymann tritt als Bundeskanzler und SPÖ-Chef zurück. Am 17. Mai folgt ihm Christian Kern nach. Das neue Gesicht hilft der SPÖ in Umfragen.

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27. Juni 2016: Bei der Zusammenarbeit mit den Fellners läuft nicht alles glatt. "Wir sind echt sauer", schreibt Schmid an Wolfgang Fellner, als Geschichten offenbar nicht wie vereinbart erscheinen.

29. Juni 2016: "Zwischenzeitlich umfragedoppelseite erschienen. Nä. Schritte?", wird Schmid von Helmuth Fellner gefragt. Zwei Tage später wird Schmid von Johannes Frischmann informiert, dass das Finanzministerium 116.000 Euro netto an Inseraten über Reise/Zollinfos in "Österreich" schalten werde. Das sei "gleich wie die ersten zwei Wellen".

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6. September 2016: Schmid hat "echt coole News" für Außenminister Kurz:Die WKStA vermutet, dass Beinschabs manipulierte Umfragen fortan nicht mehr von "Österreich", sondern direkt vom Finanzministerium bezahlt werden. Die Kosten könnten bei anderen Umfragen und Studien "dazugepackt" werden. Die gestiegenen Ausgaben des Finanzministeriums für Inserate in der Mediengruppe Österreich bleiben erhalten.

Anfang 2017: Schmid sucht vermehrt Kontakt zu Eva und Christoph Dichand, um "für eine gute und breite Berichterstattung über Kurz und seine Anliegen insbesondere in der 'Kronen Zeitung' und der Tageszeitung 'Heute' zu intervenieren", fasst es die WKStA zusammen. Eva Dichand fordert, die Unverhältnismäßigkeit zwischen den Inseratenschaltungen in der "Österreich"-Gruppe und jenen in "Krone" und "Heute" zu beheben.

März 2017: Eva Dichand und Schmid treffen sich laut WKStA persönlich, um Voraussetzungen für mögliche Medienkooperationen zu besprechen. Dichand soll das Privatstiftungsgesetz ein wichtiges Anliegen gewesen sein. Schmid verspricht ihr laut WKStA sowohl höhere Inserate als auch Unterstützung bei der Privatstiftungsangelegenheit – im Gegenzug für positive Berichterstattung über Kurz und seine Ziele.

Dichand weist dies heute als "einfach falsch" zurück. Die Redaktionen von "Kronen Zeitung" und "Heute" weisen jeglichen Einfluss auf die Berichterstattung zurück.

22. März 2017: Schmid informiert Kurz, dass Eva Dichand "voll hinter" ihm stehe, aber "Stiftungen, Presseförderung, RTR usw." "verstärkt beachtet" werden müssen.

Ende April 2017: Nach einem Termin mit Christoph Dichand ist sich Schmid sicher: "Dichand Mega auf Schiene."

10. Mai 2017: Reinhold Mitterlehner tritt als ÖVP-Obmann zurück.

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12. Mai 2017: Schmid glaubt nicht, dass sich durch Mitterlehners Rücktritt etwas an Dichands Gunst ändert:

19. Mai 2017: Schmid, der für Inserate im Finanzministerium zuständige Beamte Johannes Pasquali und "Heute"-Geschäftsführer Wolfgang Jansky vereinbaren laut WKStA Inseratenschaltungen in "Heute". Ab dem 2. Quartal 2017 steigen die Inseratenvolumina des Finanzministeriums in der "Krone"- und "Heute"-Gruppe spürbar an.

28. Mai 2017: Schmid ist mit dem Ergebnis der Vereinbarung mit den Dichands offenbar zufrieden:

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Juni 2017: Das Justizministerium versendet einen Gesetzesentwurf für eine Novelle des Privatstiftungsgesetzes. Da Eva Dichand über den Entwurf "sauer" war und "Terror" machte, soll Schmid eine ablehnende Stellungnahme des Finanzministeriums in Auftrag gegeben haben. Schmid informiert Dichand am 27. Juli darüber, dass die Stellungnahme eingebracht wird, am 7. August erscheint sie online. Die Novelle wurde nie beschlossen.

1. Juli 2017: Sebastian Kurz wird beim Bundesparteitag der ÖVP zum neuen ÖVP-Vorsitzenden gewählt.

15. Oktober 2017: Die ÖVP erreicht bei der Nationalratswahl 32,47 Prozent der Stimmen und ist damit eindeutig die stärkste Partei.

18. Dezember 2017: Bundespräsident Alexander Van der Bellen ernennt Sebastian Kurz zum österreichischen Bundeskanzler.