Sein tiefer Lacher hinter der weißen Tür verrät, dass es gleich losgeht. Im nächsten Moment treten Karl Nehammer und Mette Frederiksen in den Spiegelsaal von Schloss Christiansborg, dem Amtssitz der dänischen Ministerpräsidentin in Kopenhagen. Fast doppelt so lange wie geplant hat die Unterredung der beiden gedauert. Die Stimmung zwischen "Mette" und dem "lieben Karl", wie sie einander nennen, ist gut. Es ist eine ungewöhnliche Kombination, der Konservative und die Sozialdemokratin in trauter Eintracht.
"Der Kampf gegen irreguläre Migration ist keine parteiideologische Frage", sagt Nehammer. Frederiksen und er sind sich einig, dass es "so nicht weitergehen kann", sagen sie in der gemeinsamen Pressekonferenz. Sie wollen, dass Europas Außengrenzen geschützt werden und Asylverfahren nicht im Zentrum Europas, sondern an der Peripherie geführt werden – am liebsten außerhalb der EU.
Dänemark war hier Vorreiter, auch deshalb besucht der Bundeskanzler Kopenhagen. Dabei musste Frederiksen ihr Prestigeprojekt – ein dänisches Asylzentrum im ostafrikanischen Ruanda – stoppen, bevor es realisiert wurde: Weder rechtlich noch finanziell noch politisch ist es durchführbar. Als fernes Ziel bleibt es aber bestehen, betont Frederiksen.
Ein anderes Modell, an dem Nehammer in Dänemark Anleihe nehmen will, könnte in Österreich ebenfalls an Rechtsgrundsätzen scheitern: Die Kürzung von Sozialleistungen für Ausländer, die noch nicht lange im Land sind. In Dänemark ist das System ausjudiziert, in Österreich könnte es an der Verfassung scheitern: "Es wäre eine Scheinkonstruktion, ich glaube nicht, dass das hält", sagt der Verfassungsjurist Peter Bußjäger. Nehammer will es trotzdem möglich machen: "Ich glaube, dass in der Frage eine Verfassungsmehrheit möglich ist", sagt er: "Welche Partei sollte das ablehnen?"
Nehammer weiß, dass er aufholen muss. Die Altlasten der Partei wiegen schwer, als Kanzler muss er sein Profil schärfen. Die Frühlingskampagne zeigt ihn als Macher. "Der Kanzler arbeitet an der Zukunft", wird ab morgen plakatiert, "die Opposition streitet." Seine Reise nach Schweden und Dänemark soll seine Pläne mit Eindrücken unterfüttern.
Und mit Bildern: In Kopenhagen tauscht er Lederschuhe gegen Baustellenstiefel, zieht einen Overall über den Anzug an, setzt Helm und Schutzbrille auf und steigt in einen U-Bahn-Schacht hinab. Die Firma Rhomberg, die gerade den Koralmtunnel baut, verlängert hier die U-Bahnlinie. Der überwiegende Anteil der Arbeiter auf der Baustelle sind Zuwanderer.
Schauplatzwechsel nach Stockholm. Hier hat sich der politische Wind gedreht. Seit Ulf Kristersson eine konservative Minderheitsregierung anführt, die von den radikalen Schwedendemokraten gestützt wird, wird auch hier ein härterer Kurs gefahren. Die Bevölkerung trägt ihn mit. "Es gibt in der EU ein Momentum, dass sich endlich etwas bewegt", sagt Kristersson, dessen Land gerade den Vorsitz im Europäischen Rat führt, nach dem Treffen mit Nehammer. Die junge Regierung hat auch angekündigt, neue Atomkraftwerke zu bauen. Ein No-Go für Nehammer, aber anderes will er sich abschauen.
Wenig später steht der Bundeskanzler in einem Backsteinbau, in der Hand eine durchsichtige Apothekerflasche, fest verschlossen mit einem Glasstopfen. Die Flasche schaut leer aus, aber in ihr befindet sich komprimiertes CO₂. Die Stockholmer Stadtwerke arbeiten an einer Technologie, die CO₂ aus dem Rauch eines Biomassekraftwerks herauslöst, es komprimiert und schließlich in Sedimentgestein in der Nordsee presst. Ist die geplante Anlage erst einmal in Betrieb, soll jedes Jahr so viel CO₂ versenkt werden, wie der gesamte Verkehr in Stockholm produziert. Nehammer ist begeistert: "Das ist die Zukunft", sagt er.
Dänemark und Schweden führen seit Jahren den Klimaschutzindex CCPI an. Auch Klimaschutz ist im Norden keine "parteiideologische Frage". In Dänemark stimmten acht von zehn Parteien für ein strenges Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Vorgaben, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Das geht Karl Nehammer aber zu weit – in Österreich stocken die Verhandlungen für ein Klimaschutzgesetz. Statt auf Verbote setzt Nehammer beim Klimaschutz auf Anreize – und auf neue Technologien, wie CO₂-Speicherung, die in Schweden gerade erprobt wird. "Vorbehalte dagegen sind von Angst getrieben", sagt er: "Davon müssen wir uns befreien."
Neue Gesetze bräuchte es darüber hinaus auch. Denn das Verfahren ist in Österreich verboten, und auch in Schweden derzeit nur zu Forschungszwecken erlaubt. Für die Speicherung muss das CO₂ daher künftig mit Schiffen von Stockholm nach Norwegen gebracht werden, damit es dort im Nordseegrund versenkt werden kann. Aber auch der Transport ist aktuell nicht möglich: Auch dafür müssten Gesetze geändert und Schiffe gebaut werden.
Für Migration und Klimaschutz gilt gleichermaßen: Karl Nehammers Zielsetzung ist bei der Reise in den Norden klarer geworden. Der Weg dorthin aber nicht.
Anm. der Redaktion: Die Kosten für die Teilnahme an der Reise teilten sich die Kleine Zeitung und das Bundeskanzleramt.
Veronika Dolna