Die Freiheitlichen Abgeordneten haben die Angelobung des Bundespräsidenten verlassen. Gestern haben sie dasselbe Prozedere bei einer Rede des ukrainischen Präsidenten wiederholt, dazu noch Tafeln aufgestellt. Hat die FPÖ unter Herbert Kickl den Verfassungsbogen verlassen?
Werner Kogler: In meinen Augen sollen das die Wählerinnen und Wähler einordnen. Aber was Frieden und Neutralität betrifft, hat die FPÖ alle ethischen Ansprüche verwirkt. Bei einem völkerrechtswidrigen, bestialischen Angriff kann man nicht neutral am Rand stehen. Das Wertegerüst, das in der Ukraine verteidigt wird, ist das der europäischen Demokratien. Dass sich Spitzenfunktionäre der niederösterreichischen FPÖ über Energie-Unterstützungen an die Ukraine oder Hilfszahlungen für Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien aufgeregt haben, ist unerhört. Da sieht man, was für Rassisten das sind.
In Niederösterreich koalieren ÖVP und FPÖ. Sie finden es „verantwortungslos“, mit „Kellernazis“ zu regieren. Warum regieren Sie im Bund mit der ÖVP, die im Land verantwortungslos handelt?
Die Verantwortungslosigkeit in Niederösterreich würde ich auch dort ansiedeln. Es geht auf keinen Fall darum, Wählerinnen und Wähler der FPÖ zu diskreditieren, im Gegenteil: Die Freiheitlichen stehen am Wahlzettel und man kann sie demokratisch wählen. Was ich anspreche: Es gibt in Niederösterreich freiheitliche Spitzenfunktionäre, die Liederbücher gehortet hatten, in denen die Vergasung von Juden abgefeiert wird. Das ist ja unfassbar. Diesbezüglich werden in Niederösterreich zu wenig Grenzen gezogen. Die Bundes-ÖVP regiert mit den Grünen und ich würde doch in Anspruch nehmen, dass wir hier nicht gefährdet sind.
Kanzler Nehammer wünscht sich eine härtere Linie in der Migration und beim Klimaschutz weniger Verbot. Die Wiener Volkspartei bedient ausländerfeindliche Ressentiments. Welche roten Linien gibt es für die Grünen noch in dieser Koalition?
Die „rote Linie-Debatte“ hat noch nie irgendwo hingeführt und ich halte sie für intellektuell unredlich. Viel wichtiger ist mir, dass grüne Anliegen durchgesetzt werden. In einer parlamentarischen Demokratie wird es immer Kompromisse geben, das muss man nicht denunzieren. Wenn es um die Rede von Karl Nehammer als ÖVP-Parteiobmann geht, halte ich es für sinnvoll, dass die Parteien auch ihre langfristigen eigenen Präferenzen außerhalb des Regierungsprogramms darstellen.
Der grüne Gesundheitsminister Johannes Rauch meinte am Dienstag, er hoffe, dass in zwei Jahren SPÖ, Grüne und Neos gemeinsam eine dauerhafte Lösung für die Aussetzung der Pensions-Aliquotierung finden. Ist das auch Ihre Wunschkoalition?
Wir leben in Kriegs- und Krisenzeiten. Es ist nicht die Zeit von Wünschen oder neuen Koalitionen. Es ist die Zeit der aufrechten Verantwortungsübernahme für Österreich.
Die SPÖ sucht eine neue Parteispitze. Ist sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um Verantwortung zu übernehmen?
Die Instabilität der SPÖ ist in turbulenten Zeiten ein Problem. Ich wünsche mir, dass sie zu sich findet und wir wieder einen demokratischen Wettbewerb auf Augenhöhe haben. Ich sage das ohne Häme, denn in den letzten fünf Jahren hatten alle Parteien turbulente Zeiten, auch die Grünen. Die Neos fallen nur nicht auf, weil man nicht bemerkt, dass sie in Wien regieren. Dass sich die FPÖ außerhalb des Verantwortungsbogens stellt, kann nicht der Maßstab sein. Mir geht es darum, mit ÖVP, SPÖ und Neos gut auszukommen. In Kriegszeiten gibt es hoffentlich mehr Gemeinsames als Trennendes.
Beim Wohnpaket wollten die Grünen eine Mietpreisbremse, die ÖVP einen Freibetrag bei der Grunderwerbssteuer. Stattdessen wurden Mietkostenzuschuss und Wohnschirm erhöht. Ist das „das Beste aus beiden Welten“?
„Das Beste aus beiden Welten“ ist ein schlechter Kalenderspruch. Ich habe vom ersten Tag an gesagt: Es gibt nur eine Welt und die gilt es zu verbessern. Ich finde die jetzige Lösung mit dem Wohnkostenzuschuss gut, weil sie gezielt jene entlastet, die wenig haben. Die Mietpreisbremse hätte ich bevorzugt, weil sie auch inflationsdämpfend gewirkt hätte. Aber eine gute Lösung ist immer noch gut – am besten hätte man beide Instrumente gemacht
Was wird die Regierung stattdessen gegen steigende Preise tun?
Im Lebensmittelhandel haben wir in Österreich Wettbewerbsprobleme. Da wird nun genauer hingeschaut. Bereits seit dieser Ankündigung ist die Preisentwicklung bei Lebensmitteln besser als in Deutschland. Bei den Energiepreisen unterstützen wir alle, die darauf drängen, ungerechtfertigte Preisspitzen abzufangen. Dazu trägt auch die Zufallsgewinnsteuer bei. Strompreis- und Netzkostenbremse werden im nächsten Quartal richtig wirksam.
Kommen weitere Eingriffe?
Die Wettbewerbsbehörden werden sich die nächsten Branchen vornehmen. In der Pellet-Branche wird gerade die Bude umgedreht. Aber jeder ist in Scharlatan, der so tut, als ob man die Inflation wegzaubern könnte. Die Inflation muss und wird sinken,, aber das Wichtigste bleibt, dass man die Folgen der Teuerung abdämpft und die Kaufkraft der Menschen mit niedrigem Einkommen stärkt
Die WKStA ermittelt gegen den grünen Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi – es gilt die Unschuldsvermutung. Nachdem die WKStA im Zuge der Inseraten-Affäre Hausdurchsuchungen durchgeführt hatte, forderten Sie, den damaligen Kanzler Sebastian Kurz gegen eine „untadelige Person“ auszutauschen. Auch für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Fordern Sie den Rücktritt von Willi?
Die Geschichte ist ja gar nicht vergleichbar. Soweit ich weiß, sagte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft selbst, dass kein konkreter Verdacht gegen Bürgermeister Willi vorliegt. Er beantwortet jetzt auf schriftlichem Wege ein paar Fragen und das ist auch gut so. In der Causa Sebastian Kurz im Zusammenhang mit der Inseratenaffäre war schon aus den Chat-Verläufen heraus erkennbar, dass unter Steuergeld-Missbrauch manipulierte Umfragen in Tateinheit mit irgendeiner Zeitung ein Partei-Putsch organisiert wurde. Da brauche ich nicht mehr.
Sollte Willi zurücktreten, wenn es auch in Innsbruck zu Hausdurchsuchungen kommen sollte?
Es geht um die politische Handlungsfähigkeit. Das Substrat der Vorhalte ist das Entscheidende. Es wird manchmal so sein, dass eine Anordnung zur Hausdurchsuchung Konsequenzen hat. Und manchmal wird es so sein, dass man auf ein Gerichtsurteil warten muss, so wie wir es beim Vorwurf der falschen Beweisaussage gemacht haben, der auch Sebastian Kurz betrifft.
Führen Sie die Grünen als Spitzenkandidat in die nächsten Wahlen?
Ich werde das wie immer im Team entscheiden, nicht ich alleine. Tatsächlich ist es so, dass ich bis 2025 mit großer Mehrheit als Bundessprecher der Grünen gewählt bin. Ich erinnerean das Zitat des amtierenden Bundespräsidenten: "Noch ist mir der Ziegelstein nicht auf den Kopf gefallen". Es schaut also einmal gut aus.
Maximilian Miller