Am Dienstagvormittag steht Pamela Rendi-Wagner auf einer Bühne und redet über den Widerstand. Knapp vierzig Leute sind zur Präsentation eines neuen Buches aus dem Gewerkschaftsverlag gekommen, auch die SPÖ-Chefin ergreift das Wort. Sie erzählt von einer Begegnung, die ein paar Tage zurückliegt: Käthe Sasso, die als junges Mädchen Widerstand gegen die Nazis leistete und dafür ins KZ kam, feierte am 18. März ihren 97. Geburtstag. Mit Schaumrollen und Blumen kam Rendi-Wagner zu ihr ins Pflegeheim, und ging mit einer Mutbotschaft: "Du bist stark", sagte Frau Sasso zu ihr, "bleib stark. Wir brauchen das."

Über den Kampf, den sie selbst gerade ausfechten muss – jenen um ihren eigenen Job –, verliert Rendi-Wagner kein Wort. Und doch hat sie die zwei wichtigen Botschaften, die dafür sorgen sollen, dass sie Parteichefin bleibt, in ihrer zehnminütigen Rede untergebracht: Den großen Zuspruch, den sie (nicht nur, aber vorrangig) von Frauen bekommt. Und ihre klare Positionierung als Bollwerk gegen die FPÖ. Das, und nichts anderes, soll in der Auseinandersetzung um die Parteiführung ihr Alleinstellungsmerkmal gegen ihren größten Kontrahenten, Hans Peter Doskozil, sein.

"Bleib stark." Rendi-Wagner mit der 97-jährigen Widerstandskämpferin Käthe Sasso.

Alle SPÖ-Mitglieder werden nach der Landtagswahl in Salzburg dazu befragt, ob sie weiterhin Rendi-Wagner als Parteichefin behalten wollen, oder ob der burgenländische Landeshauptmann, der Traiskirchner Bürgermeister oder einer der anderen über 70 Bewerber die Partei führen sollen.

Davon, dass mit Andreas Babler auch ein dezidiert linker Genosse gegen sie antritt, und dessen Unterstützer ihr das Vertrauen entziehen, weiß sie am Dienstag noch nichts. Unmittelbar bevor das große Bewerben auf den Chefsessel der Partei beginnt, gibt sich Rendi-Wagner gelassen. "Ich habe den schönsten Job der Welt. Ich mache keinem streitig, ihn haben zu wollen", sagt sie, und klingt dabei fast trotzig.

Der schönste Job der Welt

In den vergangenen vier Jahren hat sie die Selbstverteidigung perfektioniert: Kein halbes Jahr, nachdem sie im November 2018 Parteichefin wurde, gab es die ersten Ablösegerüchte. So ganz rissen sie nie ab. Immer wieder war sie mit mehr oder weniger offenen Rücktrittsaufforderungen konfrontiert. In regelmäßigen Abständen zog Doskozil in Zweifel, ob sie bei einer Nationalratswahl die beste Spitzenkandidatin sei. „Sie kann es nicht“, sagt der Bezirkspolitiker Nikolaus Kowall, der mit seiner (mittlerweile wieder zurückgezogenen) Kandidatur den Weg für andere Bewerber eröffnete, unverhohlen.

Wie, fragt man sich, kann das in Rendi-Wagners Augen der schönste Job der Welt sein?

Um eine Erklärung dafür zu finden, muss man in ihrer Biografie weit zurück gehen. Pamela Rendi-Wagner wuchs als Tochter einer jungen, alleinerziehenden Mutter in einer Gemeindebausiedlung am Stadtrand von Wien auf. Obwohl der Weg nicht vorgezeichnet war, machte sie Matura, studierte Medizin, forschte in London. Später wurde sie Professorin, dann Spitzenbeamtin, dann Gesundheitsministerin. Ihre Lebensgeschichte ist die Verkörperung von sozialem Aufstieg. „Dass mein Leben so verlaufen ist, liegt daran, dass zuvor die richtigen politischen Entscheidungen getroffen wurden“, sagt sie.

In keinem Job, ist Rendi-Wagner überzeugt, hat man so viel Auswirkung auf das Leben von Menschen, wie in der Politik. Auf dem Höhepunkt der Pandemie, als die Oppositionsführerin auf Augenhöhe mit der Regierung agierte, verdichtete sich dieser Eindruck. In Umfragen kletterte die SPÖ auf bis zu 30 Prozent – bevor sich der Trend umkehrte und die Partei kontinuierlich an Zuspruch verlor.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Als Rendi-Wagner 2018 SPÖ-Chefin wurde, unterstützte Hans Peter Doskozil sie dabei.
Ein Bild aus besseren Zeiten: Als Rendi-Wagner 2018 SPÖ-Chefin wurde, unterstützte Hans Peter Doskozil sie dabei. © (c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)


Viele gewichtige Sozialdemokraten halten ihr trotzdem die Stange. Man schätzt ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ihren konstruktiven Zugang, ihre unaufgeregte Art. Von anderen wird ihr genau das als Schwäche ausgelegt: Nicht nur innerhalb der Partei habe sie zu lange Konflikte gescheut. Und vor allem: Bisher fuhr die SPÖ in allen Wahlen (bis auf Wien und – ausgerechnet – im Burgenland) Verluste ein oder stagnierte, seit Rendi-Wagner Parteichefin ist.

Sie greift nach der Macht nicht zum Selbstzweck, sondern um etwas zu bewirken, sagen ihre Fürsprecher. Aber vielen ist nicht klar, was sie mit Macht – so sie nach einer Nationalratswahl damit ausgestattet würde – anstellen möchte. Dabei hat Pamela Rendi-Wagner in den letzten Jahren viele Pläne vorgelegt: Zu Pflege, Energie- und Industriewende, gegen Ärztemangel oder Teuerung. Warum bleiben die bei vielen nicht haften? Weil die Querschüsse aus dem Burgenland alles überlagern, sagen die einen. Weil der Absenderin das Sendungsbewusstsein fehlt, um die Botschaft rüberzubringen, sagen anderen.

"Ich mache keinen Wahlkampf"

Das Rampenlicht, das für manche zu den schönsten Aspekten des Politikerlebens zählt, ist für Rendi-Wagner eher lästige Pflicht. Dafür profitiert sie von ihrer gewinnenden Art im persönlichen Gespräch. Davon wird Rendi-Wagner in den nächsten Wochen wohl viele führen. Dabei besteht sie darauf: „Ich mache keinen Wahlkampf, ich mache meine Arbeit.“

Nach der Buchpräsentation kommen zwei Passantinnen vorbei, sie wünschen ihr viel Erfolg. Auch, wenn Rendi-Wagner es nicht so nennen will: Der Wahlkampf liegt in der Luft.