Im Vorfeld des EU-Gipfels geht Bundespräsident Alexander Van der Bellen nach Informationen der Kleinen Zeitung beim Schengen-Veto wie auch beim Verbrennungsmotor auf Distanz zu Bundeskanzler Karl Nehammer. In einer Unterredung mit EU-Botschafter Martin Selmayr unterstrich Van der Bellen dieser Tage, dass Rumänien wie auch Bulgarien reif für den Schengen-Beitritt sind.
"Mache mir Sorgen um Österreichs Ansehen"
"Natürlich müssen wir wissen, wer in die EU und nach Österreich einreist, wer um Asyl ansucht. Und natürlich muss die EU ihre Außengrenzen kontrollieren", so der Bundespräsident laut einer Gesprächsnotiz, die der Kleinen Zeitung auf Nachfrage aus der Präsidentschaftskanzlei übermittelt wurde. "Rumänien und Bulgarien erfüllen die Kriterien für einen Schengen-Beitritt. Ich mache mir Sorgen um das Ansehen Österreichs bei unseren europäischen Partnern."
"Ein falsches Signal an Pflegekräfte"
Van der Bellen verweist explizit auf kritische Stimmen aus Kreisen der heimischen Wirtschaft. "Wenn namhafte Unternehmen aus Österreich, die in Rumänien erfolgreich tätig sind, sagen, dass sie besorgt über die aktuelle österreichische Politik sind, sollte man diese Stimmen ernst nehmen. Es geht um reale Aufträge, reale Umsätze und um reale Jobs. Sowohl in Rumänien als auch hier in Österreich. Insofern hoffe ich, dass eine Lösung bald zu einer Beruhigung beitragen kann." Ein Nein sei auch das falsche Signal an die Pfleger: "Wenn wir jetzt diesen Menschen signalisieren: 'Ihr seid nicht willkommen', dann setzt das eine Entwicklung in Gang, die für pflegebedürftige Menschen in Österreich und deren Familien negative Auswirkungen haben wird."
"Sollten nicht zurückbuchstabieren"
Der ehemalige Grünen-Chef erteilte dem Festhalten am Verbrennungsmotor eine Absage. "Wir wollen raus aus fossilen Energien, um die bedrohliche Klimaerhitzung zu bremsen und unsere fatale Abhängigkeit von Putins Russland rasch zu verringern. Dazu haben wir uns in Europa auf mehrere große Maßnahmenpakete geeinigt", so Van der Bellen. "Jetzt sollten wir nach vorne schauen und diesen Plan auch umsetzen. Wenn jetzt einzelne Staaten, sei es Deutschland, sei es Österreich, seien es andere Staaten, beginnen hier zurückzubuchstabieren, bringt uns das nicht weiter. Ich hoffe daher, dass es gelingt, auch in Sachen Antriebstechnologie für Pkw eine zukunftsfähige Lösung zu erzielen."
"Manchmal muss Politik den Schalter umlegen"
EU-Botschafter Selmayr sieht ein Aufschnüren des Verbrenner-Deals skeptisch. "Es ist manchmal wichtig, dass der Gesetzgeber dem Markt die Richtung vorgibt." Ein erhellendes Beispiel sei die Abschaffung der Glühbirne, die weit mehr Wärme als Licht abgegeben habe. Heute gebe es LED-Lampen in allen Varianten und allen Farben – und niemand trauere mehr der Glühbirne nach. "Manchmal muss der Gesetzgeber eben den Schalter umlegen, um Veränderungen zum Wohle der Umwelt und letztlich der Gesellschaft auszulösen. Sonst treten wir auf der Stelle oder drehen uns im Kreis."
Laut Selmayr werde ein Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien "die Sicherheit weiter erhöhen, denn dann wird die Außengrenze dieser Länder als gemeinsame EU-Grenze gesehen". Selmayr erinnert daran, dass ab 2023 das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (Etias) in Kraft trete. "Wer visumfrei in die EU einreisen möchte, muss im Vorfeld ein Formular ausfüllen – ähnlich wie es für die USA üblich ist."
Mehr illegale Migranten in den USA trotz Mauer
Europa als der reichste und sicherste Kontinent der Welt werde "immer das Ziel von Migration sein. Diese Eigenschaft teilen wir mit anderen Kontinenten wie den USA." Im vergangenen Jahr wurden 330.000 irreguläre Grenzübertritte in die EU verzeichnet. "Die USA hatten im selben Zeitraum zwei Millionen irreguläre Grenzübertritte, obwohl sie eine sehr viel kürzere Außengrenze haben." Und generell: "Es gibt kein Patentrezept für den Umgang mit den Herausforderungen, die Migration mit sich bringt. Vielmehr bedarf es einer sachlichen Zugangsweise. Migration kann nicht gestoppt werden, sie muss gemanagt werden."