Ein "Projekt-Ballhaus-Burgenland" gebe es nicht – "und wenn, dann würden wir das anders machen", versicherte der burgenländische SPÖ-Landesgeschäftsführer Roland Fürst noch Ende November. Damals hatte die Partei des burgenländischen Landeshauptmannes Hans Peter Doskozil eine Umfrage in Auftrag gegeben, um herauszufinden, ob der Burgenländer nicht doch besser ins Kanzleramt passen würde als die jetzige SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner.
Am gestrigen Dienstag stellte sich heraus: Doskozil will es doch wissen – und kämpft nun auch offiziell um den Parteivorsitz der SPÖ. Sollte er dies erreichen, wäre sein nächstes Ziel klar: bei einer Nationalratswahl Platz 1 erreichen und Schwarz-Blau verhindern. Im kleinen Burgenland zeigt er seine Linie vor. Die Sozialdemokratie geht konkret (und mit dem großzügigen Einsatz von Steuergeld) auf die Sorgen der "kleinen Leute" ein und stellt dafür grundsätzlichere Debatten der Identitätspolitik hinten an. Mit absoluter Macht ausgestattet, sorgt Doskozil für mehr Staat und weniger privat – und mehr rotes Machen als Rücksicht. Wobei man im Burgenland lieber von "Konsequenz" als Rücksichtslosigkeit spricht.
Rote Freunde
Um diese im kleinen Burgenland umzusetzen, holte sich der frühere Verteidigungsminister gleich eine Reihe von rotem Spitzenpersonal aus Wien mit nach Eisenstadt. Nicht nur die burgenländische Opposition hegte den Verdacht, dass der Landeshauptmann in Eisenstadt ein schlagkräftiges Team versammelt, das ihn auch nach Wien begleiten könnte. So wurde die Zahl der Regierungsmitglieder 2020 zwar auf fünf verkleinert, die Büros aber aufgebläht, kritisiert die ÖVP.
Top-Team
Nicht immer gelingt dabei die Auswahl: Für Aufregung sorgte im Februar 2020, dass der Landeshauptmann seine damalige Verlobte und heutige Gattin, Julia Jurtschak, ohne Ausschreibungsverfahren als Referentin in sein Büro holen wollte. "Ich bin hier einem Denkfehler aufgesessen", entschuldigte sich der Burgenländer wenige Tage später bei seiner erneuten Wahl zum Landeschef. Es sei zwar gesetzlich möglich, das politische Büro mit Vertrauten zu besetzen, er habe aber nicht bedacht, "dass es hier darüber hinaus Maßstäbe gibt".
Auch wenn Jurtschak in der Privatwirtschaft blieb, soll sich hinter den Kulissen im Burgenland wenig geändert haben, kritisiert die Opposition. Die Parteibuchwirtschaft erlebe selbst in den Burgenländischen Krankenanstalten (Krages) ein Revival. Leitende Positionen in landeseigenen oder -nahen Betrieben sind ohnehin fast ausschließlich in der Hand von SPÖ-Mitgliedern, kritisiert die ÖVP. In Doskozils Umfeld will man sich das nicht gefallen lassen: In den Vorständen der Landesbetriebe seien durchaus auch ehemalige ÖVP-Politiker zu finden. So wurde etwa der frühere ÖVP-Landesparteiobmann Franz Steindl erst 2021 interimistischer Geschäftsführer des Joseph-Haydn-Konservatoriums.
Dennoch kann Doskozil seine Vision nicht nur im Landtag, sondern auch in den Institutionen mit nahezu absoluter Macht umsetzen. Dass Burgenlands Haushalte per Post über die Erfolge der rein roten Landesregierung informiert werden, dürfte helfen, bei Wahlen Stimmen zu halten – und bei der letzten Gemeinderatswahl sogar deutlich auszubauen. Im Bund ist der Widerstand größer – auch innerhalb der eigenen Partei.
Mindestlohn und Wohnbau
Denn selbst Doskozils Vorzeigeprojekte haben – mit Ausnahme des kostenlosen Kindergartens – in der SPÖ nicht nur Freunde. Der 2000 Euro hohe Mindestlohn für Landesbedienstete und eine hohe Zahl an landeseigenen Firmen sorgt für sichere Jobs im Land, bringt die burgenländische Privatwirtschaft aber teils unter Druck. Teile der Gewerkschaft fürchten, dass die Sozialpartnerschaft langfristig ausgehebelt werden und eine neoliberale Regierung den Mindestlohn wieder senken könnte.
Ob die Bedenken im Bund beseitigt werden, hängt vor allem an Doskozil selbst: Im Burgenland konnte er die Gewerkschaft überzeugen. Der designierte Bundeschef der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG), Josef Muchitsch, gilt hingegen nicht als Freund des Burgenländers: "So geht das nicht weiter", richtete er Doskozil im Dezember medial aus.
Eine kleine Grundsatzdebatte entfachte sich auch um Doskozils "neues Verständnis von sozialem Wohnbau": Über die Landesgesellschaft soll leistbarer Wohnraum geschaffen werden, dessen Mieter nach 30 Jahren zu Eigentümern werden. Das widerspreche dem Grundgedanken von sozialem Wohnbau, kritisierte etwa SPÖ-Ökonom Nikolaus Kowall im "Standard": Eigentum konzentriere sich "früher oder später immer in einer begrenzten Zahl von Händen".
Spannender Pflegecoup
Dass pflegende Angehörige sich im Burgenland beim Land anstellen lassen können, wirkt im kleinen Bundesland hingegen größer, als es ist. Zwischen 280 und 350 Personen nehmen das im Schnitt in Anspruch. Neben Einkommen und Sozialversicherung können sie auch eine Pflegeausbildung erhalten. Kontroversieller ist der Umbau des Mittelbaus: Bis Ende 2024 sollen 71 Pflegestützpunkte Hauspflege, Betreuung und Beratung organisieren. Pro Region soll ein Träger die gesamte nicht stationäre Versorgung leisten.
Selbst die sozialdemokratische Volkshilfe kritisiert, dass dadurch Wahlfreiheit durch Kunden wegfällt – wenn sie die Pflege nicht zur Gänze selbst zahlen wollen. Doskozil selbst sieht hingegen Einsparungs- und Effizienzsteigerungspotenzial. Und hat sich – wie so oft – persönlich detailliert in das Projekt eingearbeitet. Künftig sollen etwa die Wege für Pflegekräfte kürzer und nur noch gemeinnützige Anbieter gefördert werden. Bei Erfolg ließe sich das Modell auf andere Regionen ausbreiten, heißt es aus dem Burgenland. Interesse bestehe etwa bereits jetzt in Südtirol. Im städtischen Bereich bräuchte es aber andere Lösungen. Widerstand ist aber vorprogrammiert.
Große Pläne für die Gesundheit
Denn dass Doskozil auf die ÖGK verzichten könnte, stößt der Arbeitnehmervertretung vor den Kopf. Auch hier wird ein Machtverlust der Sozialpartnerschaft befürchtet. Während Doskozil im Land über die Gesundheitskasse nur klagen kann, könnte er im Bund durchaus in die Selbstverwaltung eingreifen. Die türkis-blaue Regierung zeigte mit ihrer Kassenreform vor, wie einfach das möglich ist, wenn man den Aufschrei der Arbeitnehmervertretung ignoriert.
Ärzte mit Rekordgehältern zu locken, ist indes aus burgenländischer Sicht sinnvoll. Nur lässt sich ein solches Modell schlecht auf ganz Österreich umsetzen, ist die Zahl der Mediziner in Österreich doch stark beschränkt. Gegensteuern will Doskozil für das Burgenland mit vom Land finanzierten Studienplätzen an Privatuniversitäten. Im Gegenzug müssen die fertigen Mediziner aber auch im Burgenland arbeiten. Die Pflicht zur Arbeit in Österreich hat zuletzt auch die ÖVP für sich entdeckt. Klar ist: Gerade in der Gesundheitspolitik steht der frühere Polizist aus dem Burgenland für einen konfrontativen Kurs als die Wiener Medizinerin Rendi-Wagner.
Lieber sozial als grün
Obwohl das Burgenland aufgrund günstiger geografischer Lage und EU-Förderungen schon früh und stark auf grüne Energie gesetzt hat, gilt Doskozil nicht als "Grüner": Die Gewinne der Energieunternehmen fließen über einen Sozial- und Klimafonds etwa als "Wärmepreisdeckel" oder Wohnbeihilfe an die Haushalte. Eine drastische Erhöhung der Abgaben auf Wind- und Photovoltaikanlagen hat der Bund im Sinne des Erneuerbaren-Ausbaus verhindert. Dass man die Sozialpolitik vor den Kampf gegen den Klimawandel stelle, will man sich in Eisenstadt aber nicht gefallen lassen: Das Burgenland will bereits 2030 energieautark werden. Dafür werden auch Freiflächen für neue Photovoltaikanlagen versiegelt.
Dass der Landeshauptmann mit Ungarn zusammenarbeitet, um ein Austrocknen des Neusiedlersees zu verhindern, wird von Umweltschützern kritisiert. Man solle den Binnensee zum Schutz des einzigartigen Ökosystems lieber austrocknen lassen, anstatt Wasser zuzuführen. Vielen Burgenländerinnen und Burgenländern sinkt der Wasserspiegel hingegen zu schnell.
Obwohl das Burgenland gerade Rekordeinnahmen erzielt, werden die hohen Ausgaben in der Krise nicht auf Dauer aufrechtzuerhalten sein, weiß man auch in der Landesregierung. Der hohe Schuldenstand wurde zuletzt nicht nur von der Opposition, sondern auch vom Landesrechnungshof kritisiert. Mit 4322 Euro Schulden pro Kopf liegt das Burgenland aber noch hinter Kärnten, Niederösterreich und dem Sonderfall Wien. Auch im Bund würde ein Kanzler Doskozil einen belasteten Haushalt übernehmen. Um dorthin zu kommen, muss er aber erst einmal eine Mehrheit der SPÖ-Mitglieder von sich und seinen Inhalten überzeugen.
Maximilian Miller