Warum will Nehammer Sozialleistungen für Menschen halbieren, die noch nicht fünf Jahre in Österreich leben?
Es geht ihm, das hat er in dem Zusammenhang in seiner Rede vom vergangenen Freitag klargemacht, um den Kampf gegen „irreguläre Migration.“ Auch Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP), die am Montag ihre Unterstützung erklärte, stellte einen Zusammenhang zu Migration her.
Von welchen Sozialleistungen dabei die Rede ist, war auf Nachfrage nicht herauszufinden. Versicherungsleistungen wie Pensionen oder Arbeitslosengeld wären rechtlich kaum umsetzbar. Bleiben Leistungen wie die Sozial- und Familienbeihilfe. Vor Journalisten ging Nehammer am Montag nicht weiter auf Details ein, das Modell werde bis zum Herbst mit Experten ausgearbeitet.
Welche Sozialleistungen bekommen Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft?
Das lässt sich aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen Aufenthaltstiteln nicht eindeutig zu beantworten. Doch schon jetzt müssen Drittstaatsangehörige und EU-Bürger fünf Jahre warten, ehe sie überhaupt Sozialhilfe bekommen. Das gilt laut Gesetz nur dann nicht, wenn die Auszahlung „aufgrund völkerrechtlicher oder unionsrechtlicher Vorschriften zwingend geboten ist“.
Asylberechtigte erhalten Sozialhilfe und Familienbeihilfe, das schreibt die Genfer Flüchtlingskonvention vor. Asylsuchende bekommen ohnehin nur die Grundversorgung, einen Betrag, der ein menschenwürdiges Leben ermöglichen soll. Je nach Art der Unterbringung beträgt er zwischen 40 und 515 Euro monatlich.
Welchen rechtlichen Spielraum hat die Regierung bei einer „Wartezeit“ für Sozialleistungen?
Keinen großen. Die niederösterreichische Landesregierung beschloss 2017 ein Gesetz, das vorschrieb, dass Menschen, die in den letzten sechs Jahren weniger als fünf Jahre in Österreich gelebt hätten, nur rund 60 Prozent des Regelsatzes bekommen sollten. Der VfGH hob diesen Passus allerdings auf.
Einerseits, weil damit gleichheitswidrig zwischen Österreichern und Ausländern unterschieden werde, und andererseits, weil europarechtlich allen Asylberechtigten „Zuwendungen aus der öffentlichen Fürsorge“ zustünden. Für „schwer vorstellbar“ hält Verfassungsrechtler Peter Bußjäger deswegen die Pläne.
Ist der Vorschlag neu?
Nein, die „Wartezeit“ für Sozialleistungen hat eine längere Vorgeschichte. Sie war bereits im türkis-blauen Regierungsprogramm 2017 angedacht. Als die Regierung dann die Mindestsicherung gesetzlich neu regelte – sie heißt seither wieder Sozialhilfe – wurde dieses Vorhaben nur bedingt umgesetzt, wohl auch wegen der Entscheidung in Niederösterreich. Seither gilt die „Wartezeit“ bundesweit für Drittstaatsangehörige und EU-Bürger.
Wie fielen die Reaktionen auf Nehammers Vorschlag aus?
Der Koalitionspartner erteilte ihm eine Absage. „Eine Umsetzung steht nicht zur Diskussion“, hieß es vom Grünen Klub in der „ZiB 2“ am Sonntag. Auch der Wiener Caritasdirektor Klaus Schwertner war überrascht, nicht im positiven: „In persönlichen Gesprächen habe ich zuletzt den Eindruck gehabt, dass die zuständigen Politiker ein Bewusstsein für die verfassungsrechtlichen Fragen solcher Vorschläge haben.“ Man müsse „sehr, sehr aufpassen, dass man nicht in eine Stimmung komme, wo sich alles gegen Ausländer richtet“, sagte der Chef des Fiskalrates, Christoph Badelt, am Sonntag in der „Pressestunde“.
Wie will Nehammer das dann umsetzen?
ÖVP-Chef Nehammer stellte in seiner Rede explizit seine Vision für Österreich 2030 vor. Die Halbierung der Sozialleistungen sei ein Thema, das über die aktuelle Regierung hinausgehe, erklärte er am Montag. Eine bewusste Spitze gegen die Grünen sei es dennoch nicht: „Wenn wir uns politisch matchen, dann sind nicht die Grünen mein strategisches Ziel“.
Moritz Ablinger