Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer hat am Freitag eine großspurig als "Kanzlerrede" titulierte Ansprache gehalten. Nehammer habe dort "die Weichen für ein zukunftsfittes Österreich" gestellt, jubilierte das Parteisekretariat gleich nach Ende der eineinhalbstündigen Rede.
Abgesehen davon, dass Nehammer von seinem Vorgänger Sebastian Kurz rhetorisch einiges trennt (dieser hätte in der Hälfte der Zeit denselben Punkt x-Mal gehämmert, bis er hängengeblieben wäre): Was bleibt von der Rede an messbaren Ankündigungen?
- "Programmieren" soll ein Pflichtfach ab der 5. Schulstufe werden
- Ab der 7. Schulstufe sollen Schüler e-Paper-Ausgaben aller im Presserat vertretenen Medien gratis bekommen
- Die Meisterprüfung soll gratis werden
- Medizin-Studenten sollen verpflichtend in Österreich arbeiten müssen
- Ein Nostrifizierungsgipfel mit den Ländern soll dafür sorgen, dass Immigration für Pflegekräfte einfacher wird
- Die Grunderwerbssteuer für das erste Eigenheim soll gestrichen werden
- Die Wohnbau-Fördergelder, die der Bund den Ländern überweist, sollen wieder für Wohnbauförderung zweckgewidmet werden
- Das Arbeitslosengeld soll reformiert werden und stärker degressiv gestaltet sein: höhere Zahlungen zu Beginn der Arbeitslosigkeit, danach aber ein rascher Abfall
- Sozialleistungen soll es erst nach fünf Jahren legalen Aufenthalts in Österreich voll geben – bis dahin nur die Hälfte
- Energiekonzerne sollen gesetzlich verpflichtet werden, Gas zur Versorgung Österreichs zu bevorraten
- Österreich wird bei einem eventuellen EU-Gipfel das Aus für den Verbrennungsmotor blockieren
Drei Dinge fallen an dieser Liste auf. Erstens: Übersteigerten Populismus wird man Nehammer kaum vorwerfen können. Niemand verliebt sich in einen Nostrifizierungsgipfel. Das war keine Rede, die sich an eine breite Wählerschaft richtet, sondern eine für Funktionäre, die sich orientieren sollen, in welcher Partei sie eigentlich sind.
Zweitens: Es ist – was nicht allzu überraschend ist – eine konservative Rede. Nehammer schildert da keine großen Visionen, sondern eine Vielzahl kleiner Schrauben, an denen er drehen möchte. Eine große Reform des Bildungswesens? Nein, aber Pflichtfach Programmieren. Ein Umbau des Föderalismus? Nein, aber Zweckbindung der Wohnbauförderung? Verkehrswende? Bitte nicht, schon gar nicht den Verbrenner verbieten. Es sind "Nein, aber ..."-Visionen, keine Rede von einem Systemwechsel oder einem grundlegenden Umbau, den Österreich an etlichen Fronten (etwa in der Klimapolitik) wohl bräuchte.
Was zum dritten Punkt führt: Diese Rede markiert inhaltlich den Abschied der ÖVP von der Koalition mit den Grünen und einen erneuten Kurswechsel nach rechts. Eine Fortsetzung der Koalition nach der nächsten Wahl 2024 ist angesichts der gemeinsamen Umfragewerte um die 30 Prozent ohnehin sehr unwahrscheinlich, aber viele der konkret genannten Punkte – die Kürzung von Sozialleistungen etwa – werden mit den Grünen kaum konsensfähig sein.
Georg Renner