Barbara Blaha, Chefin des Momentum-Instituts, meint: "Unsere Produktivität wächst, wir können in weniger Zeit immer mehr produzieren. Eine kürzere Arbeitswoche hilft den Familien."

Die Löhne erhöhen, die Arbeitszeit verkürzen, den Wohlstand halten? Kein Märchen, sondern Wirklichkeit in Österreich über viele Jahrzehnte. Durch den technologischen Fortschritt können wir in immer weniger Zeit immer mehr produzieren. Der Fortschritt wurde bis 1985 an die Arbeitnehmer alle paar Jahre weiter gereicht: Wir mussten weniger Stunden in der Woche arbeiten und konnten mehr Urlaubstage genießen. Unsere Löhne stiegen.

Wir stellen heute knapp doppelt so viel her wie noch in den 1980er Jahren, unsere Produktivität wächst ungebrochen. Aber verteilt wurden die Wohlstandsgewinne seither nicht mehr so gerecht. Die Arbeit wird immer dichter und intensiver. Jeder zweite Chef erwartet Erreichbarkeit auch in der Freizeit. Doch eine Verkürzung der Arbeitswoche gab es seit gut 40 Jahren nicht mehr. Die Mehrheit der Vollzeitkräfte würde gern kürzer arbeiten. Die notwendige Reserve für die überfällige Verkürzung haben sie sich längst erarbeitet.

Tausende britische Angestellte haben an der weltweit größten Pilotstudie zur 4-Tage-Woche teilgenommen. Von 61 Unternehmen, die ihre Arbeitszeit auf 34 Stunden verkürzten, sagen 56 Betriebe: Wir behalten die kürzere Arbeitswoche. Lange Arbeitswege und sinnlose Besprechungen fielen weg, die Organisation der Betriebe wurde besser. Die Umsätze wurden gehalten. Die Beschäftigten sind gesünder und weniger gestresst, die Burn-out-Rate ist stark gesunken. Von gesunden Mitarbeitern hat auch der Chef was. Weniger Krankenstand, hohe Produktivität, die Loyalität der Mitarbeiter:innen wächst und offene Stellen werden spielend leicht besetzt.

Für die Arbeitgeber ist der richtige Zeitpunkt für eine Arbeitszeitverkürzung nie. Schon vor hundert Jahren, als wir von 66 auf 48 Stunden verkürzt haben, wurde der wirtschaftliche Untergang prophezeit. Passiert ist das Gegenteil: Die Produktivität stieg. Trotzdem musste jede Verkürzung den Arbeitgebern abgerungen werden. Die Chancen dafür stehen jetzt günstig: Die Babyboomer verlassen den Arbeitsmarkt in die Pension, Unternehmen tun sich nicht mehr so leicht, Stellen nachzubesetzen. Das Kräfteverhältnis verschiebt sich. An Arbeitskraft mangelt es uns derzeit noch nicht: Auf 370.000 Arbeitssuchende kommen 110.000 offene Stellen. Verteilen wir die Arbeitszeit doch auch auf diese Schultern.

Eine kürzere Arbeitswoche hilft den Familien. Arbeitsmarkt und Sozialsystem basieren auf dem Modell der 50er Jahre. Papa schafft Geld ran, Mama schupft Kinder und Haushalt. Heute verdient sie Teilzeit dazu. In der Pension rächt sich das bitter, den Preis zahlen die Frauen in Altersarmut. Für Frauen funktioniert unser System offensichtlich nicht, auch Männer wünschen sich Zeit für ihre Familien.

Barbara Blaha
Barbara Blaha © Ingo Pertramer

Kurt Egger, ÖVP-Nationalratsabgeordneter und Generalsekretär des Wirtschaftsbundes, glaubt: "Angesichts fehlender Arbeitskräfte wären kürzere Arbeitszeiten eine Gefahr für den Wohlstand. Es gäbe höhere Kosten und Inflation."

Österreichs Sozialsystem gehört zu den besten der Welt. Pensionsversicherung, Unfallversicherung, Arbeitslosenversicherung etc. – sie werden ermöglicht durch jene, die arbeiten und Steuern zahlen. Arbeit schafft Wohlstand für den einzelnen, den Sozialstaat und für alle. Das hat jahrzehntelang gut funktioniert. Nun geht aber die Generation der Babyboomer in Pension. Es gibt mehr Arbeit als Arbeitskräfte: Schon über 220.000 fehlen am Arbeitsmarkt. Weil Mitarbeiter fehlen, können Unternehmen Aufträge nicht annehmen, Gasthäuser müssen öfter schließen als bisher, die Pflegeeinrichtungen stöhnen unter der Belastung. Der Schaden sind entgangene Wertschöpfung, entgangene Einnahmen für unseren Sozialstaat und überforderte Mitarbeiter.

Deshalb scheint mir die Diskussion zur 4-Tage-Woche mit einer Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 32 Stunden wie aus einer fremden Welt. Im Elfenbeinturm gesponnen: Süß anzusehen, aber bitter im Geschmack. Heute leisten vier Mitarbeiter mit 40 Stunden genauso viel wie fünf Mitarbeiter bei 32 Stunden. Das bedeutet für gesamt Österreich zum Beispiel, dass wir 7.000 Polizisten mehr brauchen, um gleich viel Polizei auf die Straßen zu bekommen.

Wir brauchen Tausende Pflegerinnen im Gesundheitspersonal zusätzlich, wo heute schon Tausende fehlen. Insgesamt würden mit der 4-Tage-Woche à la SPÖ 434 Millionen Arbeitsstunden im Jahr weniger geleistet werden. Es wird weniger gebaut, weniger erzeugt, weniger gepflegt, weniger erwirtschaftet. Über 200.000 Vollzeitmitarbeiter bräuchte Österreich zusätzlich, damit bei der 4-Tage-Woche gleich viel geleistet wird wie bisher, da sind die aktuell fehlenden 220.000 Arbeitskräfte nicht eingepreist.

Weniger Arbeitszeit bedeutet auch nicht mehr Produktivität, wie so oft behauptet. Sind ein Koch, eine Krankenpflegerin oder ein Lkw-Fahrer produktiver, wenn sie weniger Stunden arbeiten? Natürlich nicht. In den meisten Berufen lässt sich Arbeit nicht in noch weniger Stunden pressen.
Besonders produzierende Unternehmen und die Industrie haben wenig Möglichkeiten, noch effizienter zu werden. Für Unternehmen steigen lediglich die Kosten, was zu höheren Preisen führt und die Inflation weiter anfeuert. Statt einer Arbeitszeitverkürzung muss die Politik die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, damit sich Arbeit lohnt.

Wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein. Eine Arbeitszeitverkürzung über alle Berufe hinweg ist angesichts des Arbeitskräftemangels eine Gefahr für unser Land. Wollen wir unseren Wohlstand und unsere Gesellschaft erhalten, müssen wir alle dafür sorgen, dass gearbeitet wird und die Arbeit wertgeschätzt wird. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

Kurt Egger
Kurt Egger © Wirtschaftsbund