Laut EU-Plänen soll noch heuer eine überarbeitete Richtlinie zu gentechnisch veränderten Pflanzen Gestalt annehmen. Angesichts der zuletzt tiefgreifenden Neuerungen, die vor allem der Einsatz der "Genschere" mit sich gebracht hat, sei das auch notwendig, hieß es seitens Forschern vor Journalisten am Donnerstag. Die Wissenschaftsgemeinde fordert, in der Diskussion in dem ideologisch umstrittenen Feld gehört zu werden und eine Orientierung am Produkt und nicht an der Methode.
Was heute unter dem Begriff "Grüne Gentechnik" zusammengefasst wird, sei im Endeffekt nichts anderes als das Weiterdenken der rund 10.000 Jahre alten "Kulturtechnik" der Pflanzenzüchtung nach dem Prinzip der Auslese natürlich entstandener erwünschter Eigenschaften bei landwirtschaftlich genutzten Pflanzen. Das betonten Ortrun Mittelsten Scheid vom Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Hermann Bürstmayr vom Institut für Biotechnologie in der Pflanzenproduktion der Universität für Bodenkultur Wien (Boku) bei einem von der ÖAW organisieren "Science-Update" in Wien.
Abkürzung bei der Auswahl gewünschter Eigenschaften
Seit den 1930er-Jahren hilft der Mensch der Ausbildung von Genveränderung etwa durch gezieltes Unter-Druck-Setzen von Pflanzen oder Bestrahlung auf die Sprünge. Die so angestoßenen zufälligen Mutationen werden dann seit Jahrzehnten auf erwünschte Eigenschaften, wie bessere Trockenheitsresistenz, abgeklopft. Das ist ein wichtiger Faktor für die heute leistungsfähigere Landwirtschaft.
Der nächste Schritt war die Möglichkeit des Einbauens von Fremderbgut (Transgenen) in Kulturpflanzen. Mit der u. a. in Wien vorangetriebenen Entwicklung der Genschere "Crispr" kann seit einigen Jahren mit noch nie da gewesener Genauigkeit auch das Genom von Getreide, Obst und Gemüse modifiziert werden. Während gentechnisch veränderte Produkte aus der Biotechnologie, Medizin oder Umwelttechnologie ganz selbstverständlich in unserem Alltag angekommen seien, wie Mittelsten Scheid erklärte, ist das bei der "Grünen Gentechnik" in Europa anders.
Zwar sind solche Produkte etwa aus den USA auch hierzulande weitverbreitet, weil genveränderte Tierfuttermittel breit eingesetzt werden, die Erprobung außerhalb von Labors sei in Europa aber äußerst hürdenreich. Grundlage dafür ist ein EU-Rahmenwerk aus dem Jahr 2001, wo etwa das Verändern des Erbguts innerhalb einer Art und das Einbringen von Fremdgenen gleich streng gehandhabt werden, so ÖAW-Präsident Heinz Faßmann. Damit seien die Wissenschaft und viele EU-Mitgliedsstaaten "nicht zufrieden". Um neue Herangehensweisen wird aktuell gerungen. In einem EU-weiten Konsultationsverfahren gab es um die 70.000 Beteiligungen.
"Es geht nicht um Kreuzung von Paradeiser und Erdapfel"
In der u. a. vor allem in Österreich stark ideologisch aufgeladenen Debatte um die "Grüne Gentechnik" hoffe die Forschungsgemeinde nun mit ihrem "vielen Wissen" auch Gehör zu finden, so Faßmann. "Zuerst prüfen, dann entscheiden", sollte daher die Prämisse bei der Novellierung der geltenden Regulierung sein. Es brauche viel Aufklärung, etwa dahin gehend, dass es nicht um eine Kreuzung von Paradeiser und Erdapfel geht, meinte Faßmann.
Mittelsten Scheid wünscht sich, dass neue Regelungen vom Fokus auf die Methode zur Genveränderung wegkommen und man sich stärker "am Produkt" und seinen Eigenschaften orientiert. So würden etwa neue, auf klassischem Weg mehr oder weniger zufällig veränderte Getreidesorten "auf Herz und Nieren geprüft", bevor sie breiter im Feld eingesetzt werden dürfen. Es sei nicht ersichtlich, warum es bei gezielten Modifikationen mit der Genschere andere Voraussetzungen geben sollte, so die Wissenschaftlerin.
Aus Sicht der Forschung könne man nun erstmals gezielt testen, welche Genänderungen etwa die Trockenheitsresistenz tatsächlich erhöhen. Das eröffne eine "elegante Beweisführung" und sei ein wichtiges Werkzeug zum Verstehen des Genoms, sagte Bürstmayr. Genschere hin oder her, in Österreich würde sich momentan keine Forschungsinstitution auf den hürdenreichen Weg begeben, eine so veränderte Pflanze außerhalb eines Labors zu testen. Will man etwas im Freiland erproben, wende man sich an Kollegen in den USA oder Kanada, wo die Vorgaben lockerer sind, betonte Bürstmayr. Unter diesen Bedingungen wandere Forschung und Know-how auch ab, konstatierte Mittelsten Scheid.
Würde Europa hier weiter auf der Bremse stehen, laufe man Gefahr, den technologischen Anschluss zu verlieren. Auf den Einsatz der Genschere im Nutzpflanzen-Bereich zu verzichten, sei in etwa so, als wenn man darauf verzichtet, auf Einzelpersonen zugeschnittene Therapien in der Medizin nicht einzusetzen, so Mittelsten Scheid. Leider befinde man sich hier seit den 1980er-Jahren in einer "sehr schwierigen" Debatte, obwohl es keine Beweise dafür gebe, dass gentechnisch veränderte Pflanzen per se "gefährlicher sind".