Es ist der Beginn eines neuen politischen Zeitalters in Niederösterreich: Zum ersten Mal seit der Trennung des Landes von Wien 1922 hält die ÖVP nicht mehr die Mehrheit der Sitze in der neunköpfigen Landesregierung. Mit einem Minus von 9,7 Prozent der Stimmen stellt die Volkspartei künftig nur noch vier Mitglieder der nach Proporz besetzten Regierung, auch die Absolute im Landtag ist dahin. Die FPÖ legte massiv zu und nahm der SPÖ Platz zwei ab, die Stimmen verlor. Grüne und NEOS schafften den Wiedereinzug problemlos.
FPÖ legt stark zu
Die FPÖ legte stark zu und erreichte nach den 14,76 Prozent von 2018 nun 24,19 Prozent. Damit überholten die Freiheitlichen die SPÖ, die gut drei Prozentpunkte einbüßte und auf 20,6 Prozent kam (2018: 23,9 Prozent). Die Sozialdemokratie musste damit wie auch die ÖVP das historisch schlechteste Wahlergebnis hinnehmen (bisher 21,57 Prozent im Jahr 2013). Die Grünen erreichten 7,58 Prozent und konnten gegenüber 2018 (6,43) etwas dazugewinnen. Die NEOS kamen bei ihrem zweiten Antritt auf 6,67 Prozent (2018: 5,15).
Die Wahlbeteiligung stieg auf 71,6 Prozent - das war deutlich mehr als bei der vorangegangenen Wahl (66,56 Prozent).
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Das Resultat bedeutet den historischen Tiefststand für die Volkspartei, bisher schwächstes Ergebnis waren 44,23 Prozent (bei der Landtagswahl 1993).
Für die türkise Spitzenkandidatin und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner „ein schmerzhafter Tag“ und Folge einer „Protestwelle, die das ganze Land überrollt und auch an den Grenzen Niederösterreichs nicht haltgemacht hat, ausgelöst durch weltweite Krisen und vor allem durch Unzufriedenheit mit der Bundespolitik“. Obwohl die 58-Jährige ihr Wahlziel von 40 Prozent plus verfehlt hat, will sie an der Landesspitze bleiben: Sie wolle daran arbeiten, „die Gräben zuzuschütten“ und werde der siegreichen FPÖ und der ebenfalls vom Wähler abgestraften SPÖ eine Zusammenarbeit anbieten.
Die nächsten Tage und Wochen in Niederösterreich werden nun von Koalitionsmikado geprägt sein. Die FPÖ unter Udo Landbauer hat zwar ausgeschlossen, Mikl-Leitner zur Landeshauptfrau zu wählen. Weil eine Mehrheit für einen nicht von der ÖVP gestellten Kandidaten im Landtag aber praktisch ausgeschlossen ist, hat sie dennoch gute Chancen darauf, ihren Sessel zu halten.
Bisher hatte die ÖVP das Land in separaten Arbeitsübereinkommen mit SPÖ und FPÖ regiert, finanzstarke und einflussreiche Ressorts aber ihren Landesräten vorbehalten.
Das wird nun nicht mehr möglich sein – weil die Ressorts aber per Mehrheitsbeschluss in der Landesregierung selbst verteilt werden, wo jeweils zwei der drei vertretenen Parteien miteinander eine Mehrheit hätten, sind unterschiedliche Varianten möglich: Die ÖVP könnte in Verhandlungen FPÖ und SPÖ gegeneinander auszuspielen versuchen, mit nur einer von ihnen eine Koalition eingehen – theoretisch könnten Blau und Rot aber auch gemeinsam eine Allianz gegen die ÖVP eingehen und sich die Macht in der Regierung sichern.
Dass die Niederlage in ihrem Kernland – bei der Nationalratswahl 2019 kam jede vierte ÖVP-Stimme aus Niederösterreich – die ÖVP weit über St. Pölten hinaus erschüttern wird, zeigt schon die dichte Präsenz der Bundespolitik im Landhaus am Sonntag: Bundeskanzler Karl Nehammer, einst Mitarbeiter der Landespartei, traf eine halbe Stunde vor Präsentation der Hochrechnungen im Büro der Landeshauptfrau ein – auf die traditionelle Einladung von Journalisten ins Büro zur Verkündung des Wahlergebnisses wurde diesmal verzichtet, stattdessen wurde dort an einer Kommunikationslinie für das Ergebnis gefeilt. Auch Klubobmann August Wöginger war da, um seinen Parteifreunden den Rücken zu stärken.
Das universelle „Wording“ für die türkise Niederlage in Blau-Gelb war schnell gefunden, noch bevor das Ausmaß der Niederlage klar war: In der internationalen Gemengelage sei es für Regierende generell schwer – das Ergebnis sei daher „auch nicht unerwartet“, weil es seit Wochen in Umfragen vorausgesagt worden sei, so Mikl-Leitner am Sonntagabend. „Zumindest konnten wir knapp verhindern, dass es eine blau-rote Mehrheit gibt“, hielt die Landeshauptfrau fest. (Gemeint ist damit wohl im Landtag, wo die Parteien zusammen nur auf 26 der 56 Mandate kommen.) Das sei vor einigen Wochen noch alles „andere als sicher“, vor Tagen „noch möglich“ gewesen.
„Eines muss man ganz unverblümt zugeben: FPÖ-Chef Kickl ist es gelungen, unsere Landtagswahl zu einer Bundeswahl zu machen – ist auch überall sichtbar mit einer eigenen Plakatkampagne Kickls in Niederösterreich“, so Mikl-Leitner.
Am Sessel der Parteichefin und Landeshauptfrau rüttelt in der ÖVP vorerst aber niemand – Mikl-Leitner habe in den vergangenen Tagen und Wochen „wie eine Löwin“ gekämpft, so Landesgeschäftsführer Bernhard Ebner am Sonntag.
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