Wenn die Landeshauptfrau kommt, gibt es in Niederösterreich einen klaren Plan, wann was passiert. Punkt zehn Uhr haben sich ein paar Dutzend Fans (Bürgermeister Helmut Doschek wird in ein paar Minuten, euphorisiert, von "mehreren Hundert Menschen" sprechen) vor einer blau-gelben Wahlkampfbühne am Kirchplatz von Zistersdorf eingefunden. Es ist Montagvormittag, deswegen sind vor allem Seniorinnen und Senioren gekommen, zwischen ihnen wuseln ein Dutzend Parteifunktionäre in knallgelben Jacken, sie verteilen Mannerschnitten und Kaffeebecher voller Wahlkampfgoodies – wiederverwendbar, der ÖVP ist wichtig, ihr Wahlkampf sei "nachhaltig".
Mehr als eine Stunde vor Beginn ist die Wahlkampftruppe in ihrer blau-gelben Fahrzeugflotte schon angereist, wenn "die Hanni" kommt, muss alles bereit sein. Punkt zehn Uhr sieben fährt sie schließlich im schwarzen BMW vor. Mikl-Leitner steigt aus, begrüßt zunächst eine kleine Abordnung der Parteifreunde vor Ort – Orts- und Bezirksfunktionäre, Bürgermeister, lokale Abgeordnete zum Landtag und Nationalrat –, die sie über die Lage im Bezirk Gänserndorf briefen.
Das Besondere in Zistersdorf, einer ansonsten unauffälligen Kleinstadt im Weinviertel, ist die Energie. An der Ortseinfahrt wirbt man stolz mit dem Titel "Erdölstadt", am Kirchplatz steht das Modell eines OMV-Bohrturms, in den sanften Hügeln rundherum prägen Dutzende Windräder mittlerweile genauso das Ortsbild wie die alten Ölpumpen.
Mikl-Leitner kennt ihr Geschäft. 20 Wahlkampftermine wie diesen absolviert die Landeshauptfrau und Spitzenkandidatin, einen in jedem Bezirk des Landes, die Themen in ihrer Rede sind auf die Region zugeschnitten. In Zistersdorf ("wir waren und werden immer eine Energiegemeinde sein", sagt der Bürgermeister einleitend) feiert sie die Erneuerbaren-Förderungen ab, spricht über Energiewende und Taktverdichtungen im öffentlichen Verkehr, aber auch über neue Hochwasserschutzbauten. Die ansonsten in der türkisen Themenwelt omnipräsente Migration ist hier, elf Kilometer von der tschechischen Grenze, kein Thema für die ÖVP.
Am Sonntag wählt Niederösterreich einen neuen Landtag, und Mikl-Leitner kämpft gegen den Abstieg. Dass die ÖVP ihre absolute Mehrheit verliert, ist praktisch fix – schon alleine, weil sie sie 2018, am Höhepunkt der Türkisen unter Sebastian Kurz, mit 49,6 Prozent nur noch knapp gehalten hat.
Diesmal fehlt der Rückenwind aus dem Bund nicht nur, er bläst der ÖVP sogar scharf entgegen. Mikl-Leitner weiß das – und zeichnet die Politik in der Bundeshauptstadt – in düsteren Tönen: "Schauen wir nach Wien, dort gibt es seit Jahren Untergriffe und anonyme Anzeigen!", sagt Mikl-Leitner (dass dort von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Kanzler Karl Nehammer abwärts türkise Niederösterreicher das Sagen haben, sagt sie nicht dazu).
In den verbleibenden Tagen bis zur Wahl gehe es auch darum, "jene, die mit der bundespolitischen Situation unzufrieden sind, zu überzeugen, dass es um Niederösterreich geht", beschwört die 58-Jährige ihre Parteifreunde. Darum, dass der Stil aus Wien nicht ins Land getragen werde, darum, dass SPÖ und FPÖ nicht "blau-gelb in Opposition schicken" (was unwahrscheinlich ist, siehe Faktencheck rechts). "Net anpatzen, anpacken! Das ist unser Motto!", schließt Mikl-Leitner ihre Ansprache.
Die Botschaft zieht hier in Zistersdorf. Dreimal bekommt Mikl-Leitner in ihrer kurzen Rede heftigen Applaus: auf den "anpacken"-Schluss, als sie sich – "damit unsere Bäuerinnen und Bauern ihren Hof weitergeben können" – als Bollwerk gegen Vermögens- und Erbschaftssteuern stellt, und als sie den lokalen Landtagsabgeordneten René Lobner für seinen größten Erfolg lobt: "Er hat es geschafft, dass sich jetzt ein Kinderarzt hier niederlässt."
Zistersdorf, 5400 Einwohner, ist ein Heimspiel für Mikl-Leitner. Im Gemeinderat hält die ÖVP 19 von 29 Sitzen, 2018 haben hier 59 Prozent die Volkspartei gewählt. Fast eine halbe Stunde dauert es, bis die Landeshauptfrau beim Bad in der Menge, nach Selfie-Gelegenheiten mit Pensionistinnen ("des kummt aufs Facebook") und deren Enkerln ihre geplante Tour durch den Ortskern antreten kann.
In den Geschäften – Zistersdorf kämpft wacker gegen die Verödung, trotz etlicher Leerstände halten sich noch kleinere Unternehmen entlang der Hauptstraße – bekommt Mikl-Leitner auch Probleme zu hören. Die Konditorei Baumhackl, wo Bürgermeister Doschek dem Publikum nach der Rede Coffee to go spendiert, findet kaum noch Personal und überlegt eine Viertagewoche zu bieten. Während Mikl-Leitner sich mit Chef und Chefin unterhält, kauft ihr eine Pensionistin eine Marzipanrose. "Die soll Ihnen Glück bringen am Sonntag", sagt sie. Die Landeshauptfrau verspricht, sie in Ehren zu halten.
In der örtlichen Raiffeisenbank erzählt der Filialleiter von den Schwierigkeiten, jungen Familien Wohnraum zu finanzieren und rechnet das Beispiel eine Paares vor, das aus Wien wieder nach Niederösterreich ziehen will: "Er arbeitete beim Libro, sie beim Spar, beide fleißig – aber es geht sich einfach nicht aus." Mikl-Leitner versucht, mit der neuen Haftungsübernahme durch das Land zu werben, aber das reiche nicht – zu niedrig die Gehälter, zu teuer der Wohnbau angesichts der letzten Preissteigerungen. "Das schauen wir uns noch einmal an", verspricht die Politikerin.
Auch eine Straße weiter, in der Spielzeug- und Buchhandlung Rasch, hat sich Frustration breit gemacht. Im ORF habe ein Experte zuletzt gesagt, vor allem Großbetriebe bräuchten noch eine Förderung, sagt der Verkäufer – "und für uns Kleine gibt’s wieder nix". "Nein, nein", widerspricht Mikl-Leitner, die in den vergangenen Monaten auch im Bund immer wieder auf neue Förderungen gedrängt hat, "für euch gibt’s auch was." Noch diese Woche werde die Wirtschaftskammer eine neue Übersicht ausschicken, "lest’s das, es gibt sicher was".
Von Wechselstimmung ist in Zistersdorf an diesem Montag wenig zu spüren, von direkter Kritik an der Landeshauptfrau und ihrer ÖVP ebenfalls nicht. Das ziehe sich durch den ganzen Wahlkampf, heißt es aus der Partei – Sorgen machen der Volkspartei aber jene, die sich (etwa im Zuge der Coronakrise) aus klassischen Medien oder dem öffentlichen Leben zurückgezogen hätten. So jemanden erreicht man nicht mit einem persönlichen Wahlkampf – und schon gar nicht am Montagvormittag in Zistersdorf.
Georg Renner